StGB I: Verteidiger gibt Kindesnamen an SV, oder: (Keine) Verletzung von Privatgeheimnissen?

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Ich stelle heute StGB-Entscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem LG Hamburg, Urt. v. 11.10.2024 – 704 NBs 41/24 – zur Frage, ob der Rechtsanwalt sich wegen Verletzung von Privatgeheimnissen strafbar macht, wenn er Zeugennamen an Sachverständige weitergibt.

Folgender Sachverhalt:

„Zu dem gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist zugelassener Rechtsanwalt und in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg zu dem Aktenzeichen pp. (Sexualdelikt zum Nachteil des Kindes R.H.) als Verteidiger des dortigen Beschuldigten mandatiert. Unter dem 5.8.2020 fertigte die Hamburger Diplom-Psychologin pp. im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hamburg eine 11-seitige „vorläufige sachverständige Stellungnahme“ zur Glaubwürdigkeit des kindlichen Opfers nach aussagepsychologischen Maßstäben allein anhand des Aktenmaterials. Gegenstand der Stellungnahme war die Beurteilung, ob Angaben des kindlichen Opferzeugen anlässlich zweier polizeilicher Anhörungen aus dem Jahre 2020 Erlebnisbezug begründen können. In der an die Staatsanwaltschaft Hamburg übersandten Stellungnahme waren Vor- und Nachnamen sowie das Geburtsdatum des kindlichen Opferzeugen klar ausgeschrieben sowie die angeblichen Tathandlungen benannt worden. Der Angeklagte, dem diese Stellungnahme von der Staatsanwaltschaft Hamburg zur Kenntnisnahme übersandt worden war und der die Ergebnisse der Verfasserin anzweifelte, übersandte diese – in Absprache mit seinem Mandanten – zwischen dem 19.1.2022 und 5.2.2022 per E-Mail bzw. per Link bei Dropbox an den Rechtspsychologen Prof. Dr. pp. mit der Bitte um Beurteilung, ob in der Stellungnahme der Diplom-Psychologin … methodische Fehler zu erkennen seien. Bei Prof. Dr. pp. handelt es sich um einen am Institut für Psychologie der Christain-Albrechts-Universität Kiel lehrenden anerkannten Experten auf dem Gebiet der Aussagepsychologie, der seit mehr als 30 Jahren aussagepsychologische Gutachten erstellt – ganz überwiegend für Staatsanwaltschaften und Gerichte – und der im Rahmen der ihm dienstlich bekannt werdenden Verfahren der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt. Der Angeklagte übersandte dabei die Stellungnahme der Diplom-Psychologin … ohne jegliche Änderungen, insbesondere ließ er Vor- und Zunamen sowie das Geburtsdatum des kindlichen Opferzeugen ungeschwärzt. Prof. Dr. pp. gab sodann unter dem 5.2.2022 eine eigene gutachterliche Stellungnahme ab, welche der Angeklagte noch am selben Tag an die Staatsanwaltschaft Hamburg zur Kenntnisnahme und mit der Anregung weiterleitete, Prof. Dr. pp. offiziell mit der Exploration des kindlichen Opfers und der anschließenden Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu beauftragen.

Das AG hat frei gesprochen, die Berufung der StA hatte keinen Erfolg. Das LG sagt: Das Verhalten des Rechtsanwalts erfüllt zwar den Tatbestand des § § 203 Abs. 1 S. 1 StGB, es ist aber nicht rechtswidrig:

„2. Der Angeklagte hat damit zwar tatbestandsmäßig, jedoch nicht rechtswidrig gehandelt, da sich Befugnisse zum Offenbaren von Geheimnissen bzw. Einzeldaten aus einfachgesetzlichen Regelungen ergeben können und solche hier einschlägig sind. Erfolgt nämlich die Mitteilung /Weitergabe aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe ist das darin liegende Offenbaren als rechtmäßig einzuordnen und das Handeln damit nicht „unbefugt“ im Sinne des § 203 StGB Abs. 1 S. 1 StGB, wobei sich vorliegend eine eindeutige Grundlage für ein Offenbarungsrecht aus der besonderen gesetzlichen Bestimmung des § 32f Abs. 5 S. 2 StPO, das qualifizierte Mitteilungspflichten und Auskunftsrechte enthält, ergibt. § 32f Abs. 5 S. 1 StPO normiert dabei eine datenschutzrechtliche Zweckbindung dergestalt, dass grundsätzlich Akten, Dokumente, Ausdrucke oder Abschriften, die im Rahmen einer Akteneinsicht überlassen wurden, weder ganz oder teilweise verbreitet werden noch Dritten zu verfahrensfremden Zwecken übermittelt oder zugänglich gemacht werden dürfen. Damit ist eine Übermittlung oder das Zugänglichmachen an Dritte allein zu Verfahrenszwecken grundsätzlich möglich, wobei nach § 32f Abs. 5 S. 2 StPO personenbezogene Daten einen erweiterten Schutz erfahren, da diese nur zu demjenigen Zweck verwendet werden dürfen, für den die Akteneinsicht gewährt wurde.

Hiernach war der Angeklagte zur Weitergabe der Personaldaten des kindlichen Opferzeugen an den externen Sachverständigen befugt. Vorliegend war dem Angeklagten die Stellungnahme der Diplom-Psychologin pp. nämlich im Rahmen des Rechts auf Akteneinsicht und rein zu Verteidigungszwecken überlassen worden. Die Weitergabe an den Sachverständigen Prof. Dr. pp. erfüllte dieses. Nach Auffassung der Kammer definiert sich der Verteidigungszweck dabei durch die – aus Sicht des Verteidigers! – erforderlichen Handlungen die für eine sachgemäße Verteidigung notwendig sind oder mit ihr im Zusammenhang stehen und muss die Einbindung weiterer Personen zum Zwecke einer effektiven Verteidigung grundsätzlich dem sachgemäßen Ermessen des Verteidigers überlassen bleiben, so dass letztlich nicht entscheidend ist, ob die Weitergabe der geschützten Daten im engeren Sinne erforderlich war, sondern ob der Verteidiger dies im Rahmen seiner Verteidigungsstrategie bei Abwägung der Mandanteninteressen und den Persönlichkeitsrechten Dritter nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für sachgerecht halten durfte (vgl. Gesetzesbegründung zu § 32f StPO in BT-Drucks. 18/9416, S. 55f.; MüKo- Kämpfer/Travers, StPO 2. Aufl. § 147 Rz. 44f; Beck-OK StPO § 147 Rz. 33; Meyer-Goßner/Schmitt, § StPO, § 32f Rz. 17; Travers/Schwerdtfeger, StV 2021, 750 ff.).

Das von dem Angeklagten im vorliegenden Fall ausgeübte Ermessen erweist sich unter Anlegung dieser Maßstäbe als rechtsfehlerfrei, als er entschied, den ihm bekannten, hochkompetenten und seit über 30 Jahre mit der Erstellung aussagepsychologischer Gutachten befassten, seinerseits zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen Prof. Dr. pp. die sachverständige Einschätzung der Diplom-Psychologin pp. zu weiteren Prüfung in ungeschwärzter Form, also mit allen von ihm selbst für wichtig gehaltenen Informationen, zu überlassen. Anhaltspunkte für willkürliches oder rechtsmißbräuchliches Verhalten liegen nicht vor. Nach Auffassung der Kammer war hier die Weitergabe auch der ungeschwärzten Stellungnahme der Diplom-Psychologin pp. die allein anhand vorhandenen Aktenmaterials ohne vorherigen Kontakt zu der Auskunftsperson und ohne Exploration erfolgt war, zum Zwecke einer sachverständigen Überprüfung und Untersuchung einer belastenden Zeugenaussage in einem Sexualprozess im Sinne pflichtgemäßer Wahrnehmung der Mandanteninteressen sachgerecht, wenn nicht sogar geboten.“

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