Archiv für den Monat: Juni 2024

Wochenspiegel für die 22 KW., das war beA, YouTube, Temu, Mogelpackung und große „nicht geringe Menge“

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Ich starte dann in den Sonntag mit dem Wochenspiegel für die ablaufendes 22. KW. Ist jetzt immer etwas mühsam(er) den zu erstellen, seotdem es JuraBlogs und seinen Nachfolger nicht mehr gibt. Aber ich will es noch weiter versuchen, bevor ich dann vielleicht doch umstelle auf etwas anderes. Mal sehen.

Jedenfalls kommen hier dann folgende Hinweise:

  1. beA-Update 3.26 Korrespondenz mit Mandanten über „Mein Justizpostfach“ (MJP)
  2. EU-Kommission: TEMU ist eine sehr große Online-Plattform im Sinne des Digital Services Act (DSA) – Gesetz über digitale Dienste
  3. BGH: Wettbewerbswidrige Mogelpackung liegt in der Regel dann vor wenn sie nur bis zu zwei Drittel gefüllt ist
  4. Kanzleifunk 215: SteuerGPT – mit StB WP Florian Lang
  5. Israel als “Virus” bezeichnet – Aussage durfte als “Antisemitisch” erklärt werden
  6. Die Anhebung der Regelaltersgrenze und ihre Bedeutung für die Betriebsrente

  7. Kostenloses Webinar: Hackerangriff aus Sicht der Angreifer und IT-Forensik

  8. und aus meinem Blog: KCanG II: „Neue“ „nicht geringe Menge“ liegt bei 75 g, oder: Fortbildung des AG Mannheim für den BGH?

beA II: Anforderung an sorgfältige Ausgangskontrolle, oder: Zivilrecht gilt auch für Strafverteidiger

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Und als zweite Entscheidung der LG Limburg, Beschl. v. 16.04.2024 – 2 Qs 123/23 -, in dem das LG zum beA-Versand bzw. dem Nachweis über den Zugang durch eine sorgfältige Ausgangskontrolle Stellung nimmt.

Wir befinden uns nach Freispruch des Betroffenen im OWi-Verfahren im Kostenfestsetzungsverfahren. Das AG hat die Kosten nur zum Teil festgesetzt. Ob der Verteidiger dagegen wirksam rechtzeitig per beA Beschwerde eingelegt hat, ist streitig. Er hat einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, der beim AG und LG keinen Erfolg hatte:

„1. Die gemäß §§ 464b S. 3, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RpflG statthafte sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gem. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden ist.

Bei dem Amtsgericht ist auch nach interner Prüfung, soweit dies unter Mitwirkung des Verteidigers möglich war, kein Schriftsatz eingegangen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde war nicht zu gewähren.

Über den Wiedereinsetzungsantrag wegen Fristversäumung des Beschwerdeführers entscheidet gem. §§ 46 Abs. 1, 464b S. 3 StPO die Kammer als Beschwerdegericht in der für das Strafverfahren üblichen Besetzung mit dem gesamten Spruchkörper. § 568 S.1 ZPO, wonach das Beschwerdegericht durch den Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Rechtspfleger erlassen wurde, findet keine Anwendung (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 464b Rn. 7).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO).

In dem Antrag ist ein Lebenssachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen, der das fehlende Verschulden des Betroffenen an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung entgegenstehen. Der Antrag ist binnen 1 Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) (BGH, Beschl. v. 5.9.2023 – 3 StR 256/23 = NStZ-RR 2023, 347, beck-online).

„Verhindert“ bedeutet, entgegen seinem Willen eine Frist nicht wahren zu können. „Ohne Verschulden“ handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Eigenschaften unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mögliche und zumutbare Sorgfalt beachtet. Dabei dürfen im Interesse der materiellen Gerechtigkeit keine allzu hohen Anforderungen an den Säumigen gestellt werden (MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 44 Rn. 38, 40).

Der Bundesgerichtshof stellt an die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) Sorgfaltsanforderungen.

a) Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Maßstab an den sorgfältigen Umgang mit dem beA gilt nicht nur in der Ziviljustiz. Seit dem 01.01.2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument gemäß § 130d S. 1 ZPO über das besondere elektronische Postfach (beA) bei Zivilgerichten eingereicht werden. Eine für die Strafjustiz gleich umfangreiche Regelung hat der Gesetzgeber bislang nicht getroffen. Mit der Einführung der §§ 32 ff. StPO hat der Gesetzgeber (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017, Bl. 2208) indes die Grundlagen für die elektronische Akte und die elektronische Kommunikation im Strafverfahren gelegt. Durch Inkrafttreten des § 32d StPO sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht für die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage.

Bedient sich der Strafverteidiger – unabhängig einer ggf. nur fakultativen Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks an das Strafgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs dem beA, gelten für ihn zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Sorgfaltspflichten.

b) Neben der Eingangskontrolle beim Empfang von Nachrichten verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere eine umfangreiche Ausgangskontrolle beim Versand von beA-Nachrichten. Ein Rechtsanwalt hat ggf. durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809 Rn. 8, beck-online)

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erteilt worden ist (BGH Beschluss vom 11.1.2023 – IV ZB 23/21 = NJW-RR 2023, 425, beck-online). Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war (BGH, Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 94/21 = NJW 2021, 3471, beck-online).

Die Ausgangskontrolle eines Schriftsatzes an das Gericht per beA beschränkt sich nicht auf die bloße Kenntnisnahme der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 ZPO (NJW 2023, 1537 Rn. 3, beck-online). Die Kontrollpflicht umfasst die erforderliche Überprüfung, ob die Übermittlung vollständig, an den richtigen Empfänger und bezogen auf den ggf. angefügten Schriftsatz erfolgreich erfolgt ist (BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online). Für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA bei fristgebundenen Schriftsätzen genügt jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen an das Gericht erfolgt ist, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens ist auch zu prüfen, welcher Art der Schriftsatz war (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online; BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809, beck-online). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax, bei dem das Original des Schriftsatzes zur Übermittlung in das Telefax-Gerät eingelegt wird – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online).

Bei der Vergabe eines „sinnvollen“ Dateinamens, der ohne Weiteres auch Rückschlüsse auf den Inhalt des Dokuments zulässt, kann sich der sorgfältige beA-Nutzer an den formalen Anforderungen der am 20.09.2017 erlassenen Verordnung der Bundesregierung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) orientieren. Zu den formalen Anforderungen an elektronische Dokumente sieht § 2 Abs. 2 ERVV vor:

Der Dateiname soll den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten. Der Dateiname des Schriftsatzes soll der üblichen Bezeichnung in der jeweiligen Prozessordnung entsprechen, also beispielsweise als Klageschrift, Klageerwiderung, Berufungs- oder Revisionsschrift oder Kostenfestsetzungsantrag bezeichnet werden. Der Schriftsatz und die Anlagen sollen neben der Inhaltsbezeichnung durch die Voranstellung einer Nummerierung (etwa 01, 02, 03 …) geordnet werden (BR-Drs. 645/17, S. 2, 13).

Mit der Vergabe eines sinnvollen Dateinamens ist nicht nur der Reduzierung des Aufwands für Gerichte, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher bei der Führung einer elektronischen Akte gedient (BR-Drs. 645/17, S. 13), sondern auch dem Rechtsanwalt, der Fehlerquellen bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke auf elektronischem Wege möglichst zu eliminieren gesucht.

c) Die dem Rechtsanwalt auferlegten Überprüfungspflichten sind zumutbar. Die Ausgangskontrolle ist über die Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung, anhand des Übermittlungsprotokolls mittels der dort verfügbaren Informationen unter der Überschrift „Anhänge“ sowie anhand des Abschnitts „Zusammenfassung und Struktur“ des Prüfprotokolls möglich (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online).

Die Bundesrechtsanwaltskammer stellt beA-Nutzern zum erleichterten Umgang über ihren frei zugänglichen Internetauftritt (vgl. https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak, zuletzt aufgerufen am 09.04.2024) eine umfangreiche Anwenderhilfe und Support im Umgang mit der Nutzung des beA zur Verfügung, deren sich beA-Nutzer bedienen können, und informiert insbesondere zum Nachweis über den Zugang von Nachrichten bei Gerichten am Maßstab höchstrichterlicher Rechtsprechung praxis- und anwenderfreundlich.

Diesen Anforderungen ist die Ausgangskontrolle des Verteidigers des Beschwerdeführers unter Zugrundelegung des Wiedereinsetzungsvortrags nicht gerecht geworden.

Die verteidigerseits vorgelegte Dokumentation zur beA-Nachricht lässt nicht den Schluss zu, dass die sofortige Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 464b S. 4 StPO beim Amtsgericht eingegangen ist. Den Darlegungen des Betroffenen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Verteidiger eine hinreichende Ausgangskontrolle in Eigenverantwortung gewährleistet hat. Ohnehin würde die Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung führen (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online).

Aus dem vom Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers vorgelegten Prüfprotokoll für den 28.07.2022 über Schriftsätze in dieser Sache ergibt sich, dass hier die der beA-Nachricht angehängte Datei „A-b-e-l-.pdf“ versandt worden war. Für diese Tatsache genügt der vorgelegte beA-Sendenachweis. Soweit der Verteidiger darüber hinaus mit der Vorlage auch den Nachweis zu erbringen versucht, dass es sich bei dem Anhang inhaltlich um die sofortige Beschwerde handelt, kann ihm dies nicht gelingen. Eine sorgfältige Ausgangskontrolle anhand eines sinnvoll gewählten Dateinamens hat der Verteidiger versäumt.

Bei dem von dem Verteidiger frei gewählten Dateinamen handelt es sich um den Nachnamen des Beschwerdeführers, wobei die einzelnen Buchstaben jeweils mit einem „Bindestrich“ voneinander getrennt sind. Anhand der verkürzten Form des Dateinamens ist noch erkennbar, dass hier ein Schriftstück mit Bezug zum Betroffenen versandt worden war. Nicht feststellbar ist hingegen, ob das Schriftstück einen Bezug zum hiesigen Bußgeldverfahren aufweist. Der Dateiname ist nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen. Eine Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren oder eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ist durch den gewählten Dateinamen nicht möglich. Rückschlüsse auf den Inhalt des angehängten Dokuments lässt der gewählte Dateiname nicht zu. Der Verteidiger hat zudem die reale Gefahr einer Verwechslung hervorgerufen: Für die Übersendung eines vorangegangenen Schriftsatzes vom 25.04.2022 und eines nachfolgenden Schriftsatzes vom 02.12.2022 hat der Verteidiger ebenfalls die gleichlautende Dateibezeichnung „A-b-e-l-.pdf“ gewählt. Aufgrund des unklaren Dateinamens kann der vorgelegte beA-Sendenachweis nicht dem Nachweis dafür dienen, dass Inhalt des am 28.07.2022 übermittelten Anhangs die vermeintlich unter dem 27.07.2022 erhobene sofortige Beschwerde ist.

Für das Verschulden seines anwaltlichen Vertreters hat der Betroffene einzustehen.

Eine solche Zurechnung findet im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme ist jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setzt. So ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gem. § 44 Abs. 1 S. 1 StPO ein Verschulden trifft (vgl. BVerfG NJW 1994, 1856). Den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, kennt die Strafprozessordnung nicht (vgl. BVerfGE 60, 253 = NJW 1982, 2425). Auf dieses Privileg kann sich ein Beschuldigter nur berufen, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können. Bei anderweitigen Rechtsbehelfen muss dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betrifft etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar ist, so dass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet wird (BGH Beschluss vom 4.7.2023 – 5 StR 145/23 = NJW 2023, 3304, beck-online).

Dem steht die Kostenfestsetzung nach § 464b StPO gleich. Der Beschwerdeführer muss sich das Verschulden des Verteidigers im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO zurechnen lassen (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 44 Rn. 19). In diesem Fall besteht nicht das besondere Schutzbedürfnis, das allein die Ausnahme von dem Grundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO für den sich verteidigenden Beschuldigten rechtfertigt.“

beA I: Streit um das Zustellungsdatum des Urteils, oder: Anordnung der Vorlage des beA-Nachrichtenjournals

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Und dann auf in die neue Woche, und zwar zunächst mit beA-Beiträgen

Den Opener macht hier der OLG München, Beschl. v. 26.4.2024 – 23 U 8369/21. Gestritten wird in dem Verfahren um das Zustellungsdatum des erstinstanzlichen Urteils. Das OLG hat die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals angeordnet:

„1. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der Einwände des Klägervertreters im Schriftsatz vom 09.02.2024 an seiner Einschätzung aus dem Hinweisbeschluss vom 02.02.2024 fest, dass weder dem Beweisantrag der Klägerin auf Vorlage der Mandantenkorrespondenz des Beklagtenvertreters mit dem Beklagten noch dem Antrag auf Parteieinvernahme des Beklagten stattzugeben ist. Auf die im Hinweisbeschluss hierfür angeführten Gründe wird Bezug genommen.

2. Im Schriftsatz vom 09.02.2024 (S. 3) nimmt die Klägerin indes nunmehr ausdrücklich auf das beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters für die Übersendung des Landgerichtsurteils Bezug. Der Senat beabsichtigt daher, gemäß § 142 Abs. 1 ZPO anzuordnen, dass der Beklagte dieses Journal betreffend die Übersendung des Landgerichtsurteils in ausgedruckter Form als Urkunde vorlegt.

2.1. Die Klagepartei hat sich auf das Nachrichtenjournal bezogen im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO.

2.2. Der Ausdruck aus dem beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters ist als Ausdruck eines elektronischen Dokuments eine sonstige Unterlage im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO (Muslielak/Voit/Stadler, 2. Aufl. 2023, ZPO, § 142 Rn. 2). Sie befindet sich im Besitz der beklagten Partei. Hierzu genügt der mittelbare Besitz der Partei, der dadurch begründet wird, dass sich das Journal in den Händen des seinen Anweisungen unterliegenden Rechtsanwalts befindet (Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3). Dass der Beklagtenvertreter den Ausdruck u.U. erst noch erstellen muss, hindert die zumindest analoge Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO nicht (BGH NJW 2013, 1003 Tz. 9 ff. für die Anfertigung einer Eigentümerliste; Anders/Gehle/Bünnigmann, 82. Aufl. 2024, ZPO, § 142 Rn. 11).

2.3. Nach derzeitiger, vorläufiger Ansicht des Senats entspricht es in vorliegendem Einzelfall pflichtgemäßem Ermessen, die Vorlage anzuordnen.

2.3.1. Das beA-Nachrichtenjournal protokolliert im System des Rechtsanwalts, wann eine Nachricht eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat (Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 15; Ultsch WuB 2023, 298, 301). Dies kann ein gewichtiges Beweismittel für die Klagepartei sein, die vorliegend die Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters genannten Zustelldatums behauptet.

2.3.2. Ein das Klägerinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der beklagten Partei oder ihres Prozessvertreters ist nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Frage, wann das Urteil des Landgerichts erstmals seitens des Beklagtenvertreters geöffnet wurde, hat der Beklagte kein schützenswertes Interesse, die Information aus dem Verfahren herauszuhalten. Im Gegenteil: Die für die Zulässigkeit der Berufung wesentliche Vorfrage ist – wie die Zulässigkeit der Berufung – von Amts wegen zu klären. Anders als bei der Vorlage von Mandantenkorrespondenz geht es hierbei nicht um die interne Kommunikation eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten etwa über die Prozessstrategie.

2.3.3. Allerdings ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F. (§ 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO n.F.) grundsätzlich allein das Empfangsbekenntnis als Nachweis der Zustellung genügt. Die gesetzliche Wertung darf nicht vorschnell dahin abgeändert werden, dass der Zustellempfänger zusätzlich auch noch das beA-Nachrichtenjournal vorlegen muss, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Eine Anordnung der Vorlage des Journals ist daher nur dann gerechtfertigt und angemessen, wenn konkrete Umstände vorgetragen oder sonst verfahrensgegenständlich sind, die im Einzelfall einen besonderen, gegenüber dem Normalfall gesteigerten Überprüfungsbedarf indizieren (vgl. Anders/Gehle/Anders, a.a.O., § 130 a Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3, Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 23).

Nach diesen Grundsätzen dürfte die Anordnung hier zu treffen sein: Zwischen der Absendung des Teilurteils am 07.10.2021 und der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters am gleichen Tag einerseits und dem 22.10.2021 als Zustelldatum gemäß dem Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters andererseits lagen mehr als zwei Wochen. Diese erhebliche Dauer belegt zwar für sich nicht die Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses (BGH NJW-RR 2021, 1584 Tz. 11; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 13; hierzu bereits Hinweis vom 02.02.2024). Sie rechtfertigt – in Verbindung mit den übrigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls – hier indes, die Vorlage des Nachrichtenjournals zur näheren Überprüfung anzuordnen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Ernpfangsbekenntnisse befugt sein muss und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen hat (vgl. BeckOK BRAO/Günther, 22. Ed. 1.2.24, BRAO § 54 Rn. 8 f.; BeckOK BORA/Günther, 42. Ed. 1.12.23, BORA § 14 Rn. 8; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Tz. 8). Der Beklagtenvertreter hat bislang nicht erklärt, wie und warum es gleichwohl zu der deutlich über eine Woche hinausgehenden Zustellverzögerung kam. Hinzu kommt, dass der Beklagtenvertreter – gleichfalls bislang ohne Erläuterung – das Empfangsbekenntnis erst unter dem Datum 04.11.2021 gezeichnet und dann erst mit Fax vom 19.11.2021 (9:41 Uhr) an das Landgericht übersandt hat, nachdem er zuvor bereits dreimal (am 21.10.21, am 4.11.21, am 17.11.21) vom Landgericht dazu gemahnt worden war.

Insgesamt dürfte sich aus der gegebenen Situation ein weiterer, besonderer Aufklärungsbedarf ergeben, der das Beweisinteresse der Klägerin überwiegen und die Anordnung gemäß § 142 ZPO angemessen erscheinen lassen dürfte.“