Vorab: Heute ist „Weiberfastnacht“, also ab heute Ausnahmezustand im Rheinland und drum herum. Aus dem Anlass, allen die (mit)feiern, viel Spaß. Hier oben läuft alles normal – Gott sei Dank.
Und ich stellen heute hier StPO-Entscheidungen vor, und zwar alle drei Entscheidungen zur Verständigung (§ 257c StPO) und was damit zu tun hat. Alle drei Entscheidungen sind obergerichtliche Entscheidungen, alle drei „rügen“ die beteiligten Instanzgerichte.
Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20 – zur Verurteilung eines Angeklagten (allein) auf der Grundlage eines verständigungsbasierten Geständnisses. Der Beschluss hat in etwa folgenden Sachverhalt.
Das AG Halle (Saale) hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Vorausgegangen war eine Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten gem. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO. Der Vorsitzende hatte für den Fall einer geständigen Einlassung dem Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten zugesichert, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle. Der Angeklagte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten der Verständigung zu. Der Pflichtverteidiger gab für den Angeklagten dann folgende Erklärung ab:
Herr D. bestätigt die Tatvorwürfe aus der Anklage (…). Herr D. war Geschäftsführer der Firma und beschäftigte viele Arbeitnehmer aus Osteuropa. Ob dieser Personenkreis unternehmerisch tätig war oder nicht, war ihm nicht wichtig. (…) Ihn hat nicht interessiert, ob die Arbeitnehmer anzumelden sind oder dies bereits geschah. Er hat sich um die Dinge nicht gekümmert, er nahm die Konsequenzen in Kauf. (…) Der Tatvorwurf wird als bestätigt eingeräumt (…).“
Der Angeklagte erklärte: „Das ist richtig so“.
Eine Beweisaufnahme zur Überprüfung der Einlassung fand dann nicht mehr statt. Die Angeklagten gegen das Urteil des AG eingelegte Sprungrevision hat das OLG Naumburg als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte Erfolg.
Ich stelle hier mal nicht Auszüge aus dem recht langen Beschluss des BVerfG ein, sondern empfehle den – dringend! – dem Selbststudium. Die Ausführungen lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:
- Es liegt Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor.
- § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO schließe jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Eine Verständigung kann niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden.
- AG und OLG haben die Mindestanforderungen an die Wahrheitserforschung verkannt.
- Die Qualität des Geständnisses ist/war insgesamt gering.
- Das amtsgerichtliche Urteil lässt besorgen, dass sich der Tatrichter keine ausreichend fundierte Überzeugung von der Schadenshöhe verschafft hat.
- Nach allem hätte sich dem AG die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen müssen.
Das sind deutliche Worte in/zu einem Fall, der dann doch überrascht. Nicht wegen der Entscheidung an sich, sondern wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts. Das ist nämlich m.E. einer der klassischen Fälle, die die Rechtsprechung des BVerfG und auch die des BGH vermeiden wollte: Der „Deal“ geringe Strafe gegen schnellen Abschluss des Verfahrens bzw. Einräumen des zur Last gelegten Sachverhalts, ohne dass dieser und die geständige Einlassung des Angeklagten vom Tatgericht überprüft wird. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung von Anfang an darauf hingewiesen, dass auch bei einer Verständigung die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts davon nicht betroffen sein soll. das verständigungsbasierte Geständnis soll nicht allein die Verständigung Grundlage des Urteils sein. Vielmehr soll auch weiterhin die Überzeugung des Gerichts von dem von ihm im Urteil später festgestellten Sachverhalt erforderlich sein (vgl. BT-Drucks 16/12310, S. 13), so ausdrücklich im Verständigungsurteil v. 19.3.2013 (BVerfG (NJW 2013, 1058, 1063). Allein ein verständigungsbasiertes Geständnis könne eine Verurteilung nicht rechtfertigen (s.a. BGH NStZ 2014, 53). Vielmehr sei es zwingend erforderlich, die geständige Einlassung des Angeklagten im Zuge einer förmlichen Beweisaufnahme auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BVerfG, a.a.O., m.w.N.). Das Gericht darf also nicht vorschnell auf eine Urteilsabsprache bzw. eine Verständigung ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben (vgl. u.a. BGH NStZ 2014, 53). Es darf also nicht etwa ohne nähere Überprüfung des Tatgeschehens eine bestimmte Sanktion zusagen. Das hat das AG übersehen und – was auch erstaunt – das OLG Naumburg im Revisionsverfahren ebenfalls. Ergebnis ist dann, dass jetzt noch einmal verhandelt werden muss. Schnelligkeit bei einer Entscheidung ist eben nicht immer gut.
Und dann mal wegen der Rechtsprechung zur Absprache/Verständigung: Die findet man <<Werbemodus an“ zusammengestellt in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 120 ff. Zur Bestellung geht es hier <<Werbemodus aus>>.