StPO I: Selbstläuferrevision: Fehler beim letzten Wort, oder: Wiedereintritt in die Beweisaufnahme

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Und dann heute noch einmal StPO-Entscheidungen.

Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 2 StR 308/22. Mal wieder eine dieser „Selbstläuferrevisionen“. Gerügt worden war die Verletzung des Rechts auf das letzte Wort (§ 258 StPO).

Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen dirigistischer Zuhälterei verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision hatte hinsichtlich der Strafaussprüche teilweise Erfolg.

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Die Beweisaufnahme wurde am 23. Hauptverhandlungstag, dem 7. Dezember 2021, geschlossen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter hielten ihre Plädoyers und stellten ihre Schlussanträge. Dabei beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auch die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen zugunsten der Nebenklägerinnen C. und M. Im darauffolgenden Termin am 13. Dezember 2021 plädierten die Verteidiger des Angeklagten. Dem Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Er hatte das letzte Wort. Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen; Termin zur Fortsetzung war auf den 22. Dezember 2021 festgesetzt. Einen Tag zuvor ging bei der Strafkammer ein Faxschreiben von Rechtsanwalt D. ein. Er übersandte zwei an den Angeklagten gerichtete Schriftstücke, zum einen einen Anwaltsschriftsatz, mit dem im Auftrag der Nebenklägerin C. ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € geltend gemacht wurde, zum anderen einen Antrag auf Prozesskostenhilfe der Nebenklägerin M. zur Durchführung eines Mahnverfahrens über 40.000 €. Rechtsanwalt D. kündigte an, im folgenden Termin den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, die Ansprüche, jedenfalls teilweise, anzuerkennen.

In der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 2021 stellte Rechtsanwalt D. einen entsprechenden Antrag. Die Vorsitzende erörterte dies mit den Verfahrensbeteiligten und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Dabei erklärten die Nebenklägerinnen über ihre anwaltlichen Vertreterinnen, nach wie vor keinem Täter-Opfer-Ausgleich zuzustimmen. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Bedarf, die Beweisaufnahme noch einmal zu eröffnen. Sodann gab die Vorsitzende bekannt, dass auch die Strafkammer keinen Grund sehe, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten. Nach geheimer Beratung wurde sodann das angefochtene Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde.

Diese Verfahrensweise verstieß nach Auffassung des BGH gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO:

„Dem Angeklagten hätte nach der Erörterung über den von Rechtsanwalt D. beantragten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erneut Gelegenheit gegeben werden müssen, zu seiner Verteidigung vorzutragen und Ausführungen im Rahmen des letzten Worts zu machen.

a) Nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung muss das Gericht die Möglichkeit zu umfassenden Schlussvorträgen und das letzte Wort erneut gewähren, auch wenn er nur einen unwesentlichen Aspekt oder einen Teil der Anklagevorwürfe betrifft, weil jeder Wiedereintritt den vorangegangenen Ausführungen ihre rechtliche Bedeutung als Schlussvorträge und letztes Wort nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 20 Rn. 6; Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632). Ein Wiedereintritt in die Verhandlung kann durch eine ausdrückliche Erklärung des Vorsitzenden beziehungsweise des Gerichts oder stillschweigend geschehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632 f.; Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 185/14, NStZ 2015, 105). Für letzteres genügt jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung fortzufahren, erkennbar zutage tritt, auch wenn das Gericht darin keine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickt oder diese nicht beabsichtigt. Dies ist der Fall bei jedem Vorgang, der die gerichtliche Sachentscheidung auch nur mittelbar beeinflussen könnte, indem er eine tatsächliche oder rechtliche Bewertung des bisherigen Verfahrensergebnisses zum Ausdruck bringt. Auf Umfang und Bedeutung der nochmaligen Verhandlungen kommt es dabei nicht an. Ob ein Wiedereintritt vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (s. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1633; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258 Rn. 28). Er kann auch darin liegen, dass Anträge erörtert werden, ohne dass ihnen letztlich stattgegeben wird (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258, Rn. 28; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl., § 258, Rn. 24).

b) Gemessen daran ist das Landgericht durch die Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten über den Antrag von Rechtsanwalt D. , die Beweisaufnahme zu eröffnen, stillschweigend wieder in die Hauptverhandlung eingetreten. Der Antrag zielte darauf ab, dem Angeklagten die Chance einzuräumen, durch eine zumindest teilweise Anerkennung der nunmehr gegen ihn außerhalb der Hauptverhandlung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens Schadenswiedergutmachung zu leisten. Er war insoweit darauf gerichtet, Einfluss auf die Strafzumessung durch das Landgericht zu nehmen, das gemäß § 46 Abs. 2 StGB das Verhalten des Angeklagten nach der Tat und dabei insbesondere auch ein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, in den Blick zu nehmen hatte. Dieser Antrag wurde nicht lediglich entgegengenommen, sondern war im Folgenden förmlicher Gegenstand der Erörterung, wie mit ihm umzugehen sei. Damit ging – da der Gegenstand des Antrags wie ausgeführt die gerichtliche Sachentscheidung zu beeinflussen geeignet war – der (faktische) Wiedereintritt in die Hauptverhandlung einher; belegt wird dies im Übrigen durch den unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Revision, die Nebenklägerinnen hätten klargestellt, einem Täter-Opfer-Ausgleich nach wie vor nicht zuzustimmen. Dass dem Antrag letztlich nicht stattgegeben wurde, das Gericht vielmehr ausdrücklich mitteilte, keinen Grund zu sehen, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten, ändert an dieser Feststellung nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415).

c) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler beruhen die Strafaussprüche in den Fällen II.2 bis II.5 der Urteilsgründe, nicht jedoch die ihnen zugrundeliegenden Schuldsprüche.

Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas Erhebliches zu den Schuldsprüchen hätte bekunden können. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten (vgl. zum Einverständnis zur förmlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Dies gilt hier insbesondere mit Blick auf die in dem ursprünglichen Schriftsatz von Rechtsanwalt D. angekündigte (teilweise) Anerkennung der geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche. Dies wäre über das bloße in der Hauptverhandlung bereits abgegebene Angebot, Schmerzensgeld zu zahlen, hinausgegangen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte auf die Herausgabe sichergestellten Bargelds in Höhe von 161.500 € auch gegenüber den Nebenklägerinnen M. und C. verzichtet hatte. Dass diese im Übrigen nicht bereit waren, sich weitergehend auf einen Täter-Opfer-Ausgleich einzulassen, ändert nichts daran, dass bereits einer möglichen förmlichen Anerkennung geltend gemachter Ansprüche eine weitergehende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.“

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