Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2023 – 3 ORs 42/23. Ein Klassiker, nämlich die Begründung der kurzfristigen Freiheitsstrage (§ 47 StGB).
Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zu Bewährung ausgesetzt wurde. Dagegen die Sprungrevision, die Erfolg hatte. Es passt mal wieder nicht:
„Die Erörterungen im Rechtsfolgenausspruch begegnen hinsichtlich des Strafausspruchs rechtlichen Bedenken.
Die Tatrichterin ist von dem zutreffenden Strafrahmen ausgegangen. Die Ausführungen zu der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB halten rechtlicher Prüfung jedoch nicht stand.
§ 47 StGB ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten statt einer (möglichen) Geldstrafe darf nur verhängt werden, wenn besondere Umstände entweder in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters gegeben sind. Die Freiheitsstrafe muss nach einer Gesamtwürdigung der die Tat und Täterpersönlichkeit kennzeichnenden Umstände unerlässlich sein. Mit Blick auf diesen Ausnahmecharakter erfordert die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine eingehende und nachvollziehbare Begründung (vgl. BGH StV 1982, 366; 1994, 370; OLG Köln, Beschluss vom 18. Februar 2003 – Ss 36/03422; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 47 Rn. 1). Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275). Bejaht der Tatrichter – wie vorliegend – eine positive Sozialprognose iSv § 56 Abs. 1 StGB, bedarf es grundsätzlich einer eingehenden Darlegung und Würdigung der Gründe, welche die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter iSv § 47 Abs. 1 StGB (dennoch) unerlässlich machen (vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 399), dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen bislang nicht vorbelasteten Täter handelt (MüKoStGB/Maier StGB § 47 Rn. 59).
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Die Tatrichterin begründet die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe einzig damit, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „anhaltenden Betäubungsmittelkonsumenten“ handele.
Diese Annahme findet in den Urteilsgründen bereits keine hinreichende Tatsachengrundlage, die eine Überprüfung durch den Senat ermöglichen würde. In den Feststellungen des angefochtenen Urteils heißt es insoweit: „Sowohl bei der Durchsuchung am 3.2.22, wie auch an dem Tag der Hauptverhandlung, stand der Angeklagte unter dem Einfluss von unbekannten Betäubungsmitteln“. Die Annahme der Betäubungsmittelabhängigkeit stützt das Amtsgericht ausschließlich auf die Angaben des Zeugen Richter, dass der Angeklagte bei der Durchsuchung seiner Wohnung wie auch am Tag der Hauptverhandlung „einen typisch verklärten Blick gehabt, als würde er selbst Drogen konsumieren“, sowie aus dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung. Es handelt sich um eine bloße Annahme, die nicht mit Tatsachen belegt wird. Die Urteilsgründe verhalten sich weder dazu, warum der Zeuge oder die erkennende Richterin über die Sachkunde verfügten, eine etwaige Beeinflussung durch ein Betäubungsmittel feststellen zu können, noch wieso daraus auf einen anhaltenden Betäubungsmittelkonsum geschlossen werden kann. Objektive Beweismittel, die den Schluss einer Beeinträchtigung durch Betäubungsmittel am Tag der Durchsuchung stützen könnten, wie z.B. ein Protokoll über etwaige körperliche Auffälligkeiten des Angeklagten oder das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung etwaiger Blutproben oder andere Beweismittel, die auf einen Eigenkonsum hindeuten, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Dies gilt gleichermaßen für die Annahme einer (klinischen) Betäubungsmittelabhängigkeit wie auch für die Annahme, der Angeklagte habe am Hauptverhandlungstag unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden.
Unabhängig von den fehlenden objektiven Anknüpfungspunkten begegnet es auch erheblichen Bedenken, von einer (möglichen) zweimaligen Beeinflussung durch Betäubungsmittel auf eine Betäubungsmittelabhängigkeit zu schließen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme aus, dass Drogenabhängigkeit ein Zustand seelischer oder seelischer und körperlicher Abhängigkeit von einer legalen oder illegalen Droge mit zentralnervöser Wirkung ist, der durch die periodische oder ständig wiederholte Einnahme dieser Substanz charakterisiert ist, dessen Merkmale je nach Art der eingenommenen Droge variieren. Zur Feststellung einer Drogenabhängigkeit müssen die Einzelheiten über die Art der Droge, die Dauer des Konsums, die Dosierung sowie sonstige Umstände festgestellt werden, die Hinweise auf das Ausmaß der Abhängigkeit geben können, möglichst genau geklärt werden. Hieran fehlt es in dem angefochtenen Urteil gänzlich.
Unabhängig davon, dass die Feststellungen, auf denen das Tatgericht seine Entscheidung stützt, insoweit bereits lückenhaft sind, lässt die Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit vermissen. Das Tatgericht hat sich insoweit weder mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Angeklagte bislang unbestraft ist und sich vollständig zu seiner Tat bekannt hat, noch damit, dass eine positive Sozialprognose vorliegt. Diese gewichtigen Umstände werden jedoch heranzuziehen sein.“