Ich hatte ja vorhin in dem ersten Tagesbeitrag auf die heute anstehende Entscheidung des BVerfG hingewiesen. Nun ist der BVerfG, Beschl. v. 09.08.2023 – 2 BvR 558/22 – dar. Und: Er ist enttäuschend. Und zwar sowohl für diejenigen, die „gegen EncroChat“ verteidigen, sondern vor allem auch für diejenigen,die sich vom BVerfG eine Klärung der Frage der Verwertbarkeit erhofft hatten. Denn das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LG Rostock und gegen den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21 – nicht zur Entscheidung angenommen, weil nicht ausreichend begründet.
Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Zusammenfassung des BVerfG in der PM ein. Da heißt es:
„Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh hat der Beschwerdeführer den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt.
Danach soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden. Im Strafverfahren verlangt der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt.
Vorliegend hat der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh nicht in zulässiger Weise mit der Revision gerügt. Er hat im Revisionsverfahren zu den Verfahrenstatsachen nicht ausreichend vorgetragen, um dem Revisionsgericht den Eintritt in die sachliche Prüfung der Beweisverwertung zu ermöglichen. Seinem Revisionsvortrag fehlt es insoweit an der Vorlage der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Aktenteile.
2. In Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan.
Ein Rechtsuchender kann seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann eine der einheitlichen Auslegung bedürftige Frage des Unionsrechts der Entscheidung des gesetzlichen Richters – des Gerichtshofs der Europäischen Union – vorenthalten und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV prüft das Bundesverfassungsgericht nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.
Eine solche Konstellation vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Es ist anhand des Beschwerdevortrags nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen hat. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Beantwortung von europarechtlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erhebung, Übermittlung und Verwertung von EncroChat-Daten konnte keinen Einfluss auf die Revisionsentscheidung nehmen, weil der Bundesgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung vorliegend nicht zu entscheiden hatte. Denn der Beschwerdeführer hat die Beweisverwertung durch das Landgericht mit der Revision nicht in zulässiger Weise gerügt.
3. Über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen ist damit in der Sache nicht entschieden.“
Entscheidend ist der letzte Satz: „…. in der Sache nicht entschieden.“. Die Frage der Verwertbarkeit bleibt also weiterhin (verfassungsrechtlich) offen. Allerdings sind derzeit fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten noch anhängig, und zwar 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23). Nicht zur Entscheidung angenommen sind übrigens mit sieben weiteren, nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 09.08.2023 die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren a BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23. Wegen der noch offenen Verfassungsbeschwerden geht das Warten also weiter. M.E. ein zumindest unschöner Zustand. Ich erinnere aber nur an das Verfahren 2 BvR 1167/20 – Stichwort: Rohmessdaten. Da hat das BVerfG letztlich auch gekniffen und hat sich auf die Unzulässigkeit zurückgezogen. Das scheint der „neue Weg“ zu sein.
Und: Mit dieser Entscheidung ist der Weg zum EuGH/EGMR „aufgegraben“.