Und heute dann drei StPO-Entscheidungen, alle drei haben mit Zustellung bzw. Vollamcht zu tun, aber es passt weder „Zustellung“ noch „Vollmacht“ als (Unter)Kategorie, daher dann eben „StPO“. Das passt immer.
Den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.02.2023 – 201 ObOWi 49/23 – zum Umfang der Unterrichtungspflicht der Verteidigung bei Zustellungen an Betroffene.
Gegen die Betroffene ist ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Gegen diesen der Betroffenen am 20.04.2022 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Verteidiger form- und fristgerecht Einspruch ein und legte eine von der Betroffenen erteilte schriftliche Strafprozessvollmacht vom 02.05.2022 vor (!). Das AG verurteilte die Betroffene aufgrund der Hauptverhandlung vom 20.10.2022, an der sowohl die Betroffene als auch ihr Verteidiger teilnahmen. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.10.2022, beim AG eingegangen über das besondere Anwaltspost-fach (beA) am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein. Die Amtsrichterin ordnete unter dem 11.11.2022 die Zustellung des Urteils an die Betroffene und die formlose Übersendung der Entscheidungsabschrift an den Verteidiger mit Zusatz „Die Zustellung erfolgt an Ihren Mandanten“ an. Die Zustellung an die Betroffene ist am 18.11.2022 erfolgt. Die Begründung der Rechtsbeschwerde, mit welcher der Verteidiger die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist am 21.12.2022 formgerecht beim AG eingegangen.
Es wird jetzt um Wiedereinsetzung gestritten und zur Begründung ausgeführt, dass dem Verteidiger das Urteil des Amtsgerichts erst am 21.12.2022 zugestellt worden sei und ihm – unter Verstoß gegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO auch nicht vorab mitgeteilt worden sei, wann das Urteil des AG an die Betroffene zugestellt wurde. Der Antrag hatte keinen Erfolg:
„Die Frist zur Begründung der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde wurde versäumt. Die Frist begann mit der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an die Betroffene am 18.11.2022 (§ 345 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und endete mit Ablauf des 19.12.2022, nachdem der 18.12.2022 ein Sonntag war.
Die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG richterlich angeordnete Zustellung an die Betroffene erweist sich als wirksam. Nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ist im Fall der Zustellung an den Betroffenen auch der Verteidiger zu benachrichtigen, dessen Vollmacht nicht nachgewiesen ist; erst recht gilt dies demnach für den schriftlich bevollmächtigten Verteidiger.
Zwar gilt der Verteidiger gemäß § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen. Die Vorschrift gestattet demnach Zustellungen an den Verteidiger, begründet jedoch keine Rechtspflicht, entsprechend zu verfahren. Daher sind an den Betroffenen persönlich gerichtete Zustellungen gleichwohl wirksam und setzen die Rechtsmittelfristen in Lauf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 145a Rn. 6 m.w.N.). Nichts anderes folgt daraus, dass eine solche Verfahrensweise der Regelung in Nr. 154 Abs. 1 RiStBV widerspricht (vgl. BGH, Beschl. v. 18.09.2018 – 3 StR 92/18 bei juris = NStZ-RR 2019, 24 = BeckRS 2018, 28285 und 12.02.2014 – 4 StR 556/13 bei juris = BeckRS 2014, 5620; KG, Beschl. v. 27.11.2020 – [5] 161 Ss 155/20 [47/20] bei juris = StraFo 2021, 69 = OLGSt StPO § 145a Nr 7 = NJW-Spezial 2021, 58 = BeckRS 2020, 36756), die als bloße Verwaltungsvorschrift den Richter nicht bindet. Selbst ein etwaiger Verstoß gegen die in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO normierte Ordnungsvorschrift, den Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zu unterrichten, begründet nicht die Unwirksamkeit der Zustellung, sondern kann lediglich im Einzelfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.01.2006 – 4 StR 403/05 bei juris = wistra 2006, 188 = BGHR StGB § 44 Verschulden 9 = NStZ-RR 2006, 211 = BeckRS 2006, 1918; KG, a.a.O; KK/Willnow StPO 9. Aufl. § 145a Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 14; i.E. so auch BGH, Beschl. v. 13.09.2022 – 5 StR 279/22 bei juris = BeckRS 2022, 27294).
Maßgeblich für den Fristbeginn war vorliegend insoweit allein die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG von der Tatrichterin angeordnete und von der Geschäftsstelle bewirkte Zustellung an die Betroffene am 18.11.2022. Die von der Tatrichterin angeordnete formlose Bekanntgabe des Urteils an den Verteidiger, die am 21.11.2022 erfolgt ist, war keine Zustellung im Rechtssinne, sodass der Eingang des Urteils bei dem Verteidiger entgegen der in seiner Gegenerklärung vom 31.01.2023 geäußerten Rechtsauffassung für den Fristbeginn ohne Bedeutung war. Die erst am 21.12.2022 eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung war daher verfristet.
2. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde, die voraussetzt, dass die Betroffene ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG), kommt nicht in Betracht. Der Antrag der Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist in mehrfacher Hinsicht bereits unzulässig, §§ 44, 45 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
a) Das Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigung vom 31.01.2023 erfüllt die Voraussetzungen eines zulässigen Wiedereinsetzungsantrags schon deshalb nicht, weil ihm nicht zu entnehmen ist, dass die Betroffene ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten; der Vortrag legt nämlich nicht dar, dass sie ihren Verteidiger überhaupt mit der Einlegung und Begründung des Rechtsmittels beauftragt hatte. Eine Frist versäumt nur diejenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat (BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 bei juris = BeckRS 2017, 119054; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 bei juris = BeckRS 2017, 106539; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 44 Rn. 5). Allein aus der Einlegung der Rechtsbeschwerde ergibt sich ein entsprechender Auftrag der Betroffenen nicht, da der Verteidiger seinerseits gemäß § 297 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Befugnis hat, selbstständig Rechtsmittel einzulegen.
b) Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen leidet darüber hinaus an weiteren durchgreifenden Mängeln im Tatsachenvortrag und dessen Glaubhaftmachung im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist muss der Antragsteller auch Angaben über den Wiedereinsetzungsgrund machen. Die erforderlichen Angaben sind, ebenso wie ihre Glaubhaftmachung, Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags (vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 bei juris = NStZ-RR 2015, 145). Ein Wiedereinsetzungsantrag muss daher unter konkreter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (vgl. LR/Graalmann-Scherer StPO 27. Aufl. § 45 Rn. 13). Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
So wird schon nichts zu der Frage vorgetragen, aus welchen Gründen die Betroffene nach Zustellung des Urteils an sie am 18.11.2022 davon abgesehen hat, sich an ihren Verteidiger zu wenden. Soweit die Betroffene im Rahmen ihres Wiedereinsetzungsantrags geltend macht, dass ihrem Verteidiger entgegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO nicht mitgeteilt worden sei, wann das Urteil an sie selbst zugestellt wurde, vermag dieses Vorbringen eine Wiedereinsetzung nicht zu begründen. Denn die von ihr in den Raum gestellte gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Die Verfahrensvorschrift des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verlangt im Falle der Zustellung an den Betroffenen, dass der Verteidiger hiervon zugleich unterrichtet wird. Das Gericht nimmt insoweit seine prozessuale Fürsorgepflicht wahr und gewährleistet einen ausreichenden Informationsstand der Verteidigung (vgl. BeckOK/Krawczyk StPO [46. Ed., Stand: 01.01.2023] § 145a Rn. 10). Die Regelung soll sicherstellen, dass der Verteidiger die nötigen Maßnahmen insbesondere zur Fristenkontrolle treffen kann, auch wenn ihn der Betroffene ihn nicht von sich aus benachrichtigt (vgl. MüKo/Kämpfer/Travers 2. Aufl. StPO § 145a Rn. 15). Insoweit ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zugleich zu unterrichten ist. Die Benachrichtigung soll also gleichzeitig mit der Zustellung zur Post gegeben werden (vgl. LR/Jahn a.a.O. § 145a Rn. 14). Eine darüberhinausgehende Verpflichtung des Gerichts, insbesondere die Unterrichtung des Verteidigers über den Zeitpunkt der Zustellung an den Betroffenen, welcher sich erst nach Eingang des Zustellungsnachweises bei Gericht feststellen lässt, beinhaltet die Vorschrift nicht. Die Pflicht zur Kontrolle der einzuhaltenden Fristen verbleibt bei dem bevollmächtigten Verteidiger (LR/Jahn a.a.O.), der sich erforderlichenfalls durch Rückfrage bei dem Betroffenen über den Zeitpunkt der Zustellung in Kenntnis setzen muss.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen ist nach alledem als unzulässig zu verwerfen.“
Gilt natürlich auch bei Zustellungen an den Beschuldigten.