Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Verhältnismäßigkeit eines „Sitzungshaftbefehls“, also § 230 Abs. 2 StPO.
Dazu führt das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 13.03.2023 – 7 Qs 17/23 – aus:
„Die zulässige Beschwerde ist begründet, weshalb der Haftbefehl vom 07.03.2023 aufzuheben war.
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO insoweit vor, als der Angeklagte zum Termin am 07.03.2023 ordnungsgemäß mit der Belehrung über die Folgen unentschuldigten Fernbleibens geladen wurde und ohne (genügende) Entschuldigung zum Termin nicht erschienen ist.
Allerdings verstößt der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO im vorliegenden Fall gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht – wie das Amtsgericht auch erkannt hat – ein Stufenverhältnis, d.h. grundsätzlich ist zunächst zwingend das mildere Mittel – nämlich die polizeiliche Vorführung – anzuordnen (OLG Nürnberg. Beschluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21). Dieser ist nach dem Willen des Gesetzgebers stets der Vorrang vor dem Haftbefehl zu geben.
Wie das OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 10.08.2021 (Ws 734/21) ausführte, kommt der Erlass eines Haftbefehls in der Regel nur dann in Betracht, wenn der Versuch der Vorführung zum Termin gescheitert ist und/oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass die Anwesenheit des Angeklagten durch eine Vorführung sichergestellt werden kann (OLG Nürnberg, Be-schluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21). Eine Verhaftung des Angeklagten ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Er-wartung gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte zu dem (nächsten) Hauptverhandlungstermin erfolgreich vorgeführt werden kann. Ohne eine Vorführung versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig, etwa wenn feststeht, dass der An-geklagte auf keinen Fall erscheinen will oder die Vorführung wahrscheinlich deshalb aussichtslos sein wird, weil der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist oder die begründete Sorge besteht, dass der Angeklagte vor einer Vorführung untertauchen wird (OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21).
Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Der Beschwerdeführer hat einen festen Wohnsitz. Zum Termin am 07.03.2023 war er zwar nicht im Sitzungssaal erschienen, bot jedoch nach telefonischer Rücksprache mit seinem Verteidiger an, sich unverzüglich von Bayreuth aus auf den Weg zum Gericht zu machen. Es ist mithin nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer auf keinen Fall zum Termin erscheinen will oder untertauchen wird, um sich der Verhandlung zu entziehen. Die Gesamtschau ergab damit für die Kammer, dass eine Vorführung durchaus geeignet ist, die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung zu gewährleisten.
Von einer eigenen Entscheidung über die Vorführung sieht die Kammer angesichts der Verfahrenslage – noch ist kein neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt – ab.“