Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zwei LG-Entscheidungen.
Hier zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 03.11.2022 – 10 O 39/20 -, das mir der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Gestritten worden ist in dem Verfahren um den Schadensersatz nach einem Unfall auf dem Nürburgring. Dem urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger hatte eine sog. Touristenfahrt auf dem Nürburgring unternommen. Bei dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug trat ein Betriebsmittelverlust auf. Aufgrund dieses Betriebsmittelbverlustes kam der Kläger mit seinem Porsche Cabrio bei der nachfolgenden Fahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings bei der Durchfahrt einer Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch wurde sein Fahrzeug erheblich beschädig.
Der Kläger hat nun die Kfz-Haftpflichtversicherung des vor ihm befindlichen Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Gestritten haben die Parteien über die entsprechende Haftungsquote und einen vom Kläger begehrten Nutzungsausfall. Durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten kontte dem Kläger frei von Zweifeln ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht nachgewiesen werden.
Ich stelle hier nur die Ausführungen des LG zur Haftungsquote ein. Das LG geht dabei von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten aus:
„1. Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG iVm § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich im Übrigen nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (jurisPK Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG, Rn. 15; zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04). Nach diesen Maßstäben war der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar. Dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre, hat dieser nicht vorgetragen. Eine Unabwendbarkeit lässt sich auch für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht darstellen. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des klägerischen Pkws nicht festgestellt werden könne. Dennoch ergibt sich nicht, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar gewesen wäre. Denn ein Idealfahrer hat auf der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Verunreinigungen der Fahrbahn durch Betriebsmittel zu rechnen. Ein vorsichtiger Fahrer hätte seine Fahrweise hierauf eingerichtet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können.
2. Die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG danach vorzunehmende Haftungsabwägung führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % (Beklagtenseite) zu 25 % (Klägerseite). Denn aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall des Klägerfahrzeugs durch Wegrutschen auf der vom Beklagtenfahrzeug verursachten Betriebsmittelspur allein verursacht worden ist. Jedoch ist aufgrund der Erkennbarkeit der Betriebsmittelspur auf der Strecke auf Klägerseite eine Mithaftung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen.
Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein aufgrund der – unstreitig von dem Beklagten-fahrzeug verursachten – Betriebsmittelspur von der Fahrbahn abgekommen und mit der Leitplanke kollidiert ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.08.2021 ausgeführt, dass wenn ein Fahrzeug allein infolge einer der Streckenführung nicht angepassten Geschwindigkeit zur kurvenäußeren Seite von der Fahrbahn abkommt, die Abkommensbewegung in der Regel nahe dem Kurvenende beginnt und häufig auch verbunden ist mit einer zunehmenden Querstellung der Fahrzeuglängsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung. Im vorliegenden Fall habe die Abkommensbewegung des klägerischen Fahrzeugs von der Fahrbahn bereits nahe des Kurvenbeginns eingesetzt und das Fahrzeug habe bis zur im Wesentlichen streifenden Leitplankenberührung keine ausgeprägte Winkelstellung seiner Längsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung eingenommen. Daher sei nicht zu bestätigen, dass das Klägerfahrzeug allein wegen einer für die Streckenführung nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit von der Fahrbahn angekommen war. Weiterhin konnte der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 120 km/h in der Abkommenssituation ausschließen und feststellen, dass als realistisch vielmehr ein Geschwindigkeitsbereich von rund 60 bis annähernd 80 km/h zum Zeitpunkt des Abkommens von der Fahrbahn in Betracht komme. Zudem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 nochmals erläutert, dass es ganz untypisch für einen Kontrollverlust wegen überhöhter Geschwindigkeit sei, wenn ein Fahrzeug zum Kurveneingang von der Fahrbahn abkomme. Vielmehr handele es sich vorliegend allein um ein Abkommen von der Fahrbahn aufgrund der verunreinigten Fahrbahnoberfläche. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich vollständig zu eigen. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist, sondern vielmehr aufgrund der verunreinigten Fahrbahn – wobei die Verursachung der Verunreinigung an sich zwischen den Parteien unstreitig ist.
Allerdings ist eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % anzunehmen.
Zwar kann dem Kläger kein Verstoß des Fahrers gegen das Gebot Fahren auf Sicht zur Last gelegt werden. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Gebot Fahren auf Sicht dem klägerischen Fahrzeug nicht nachgewiesen werden kann. Hierzu führt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.08.2021 überdies aus, dass wenn das klägerische Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 77 km/h im Mittel mit einer Verzögerung von 7,5 m/s2 bis zum Stillstand abbremst, ein Bremsweg von 30,2 m erforderlich sei und sich selbst bei einer nur unterdurchschnittlichen Vorbremsung von 1 s ein Anhalteweg von rechnerisch rund 52 m ergebe. Zudem konnte der Sachverständige feststellen, dass sowohl die bildliche Darstellung des Streckenverlaufs im Bereich der Rechtskurve in welcher das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen war, als auch das Videomaterial (vom streitgegenständlichen Unfall, insoweit wird Bezug genommen auf den zur Akte gereichten USB-Stick, Retent) abschätzen lasse, dass auch im Kurvenverlauf eine Sicht über diese Strecke auf die Fahrbahn versperrende Hindernisse zulasse. Es lasse sich daher rechnerisch nicht nachweisen, dass der Fahrer des klägerischen Pkws bis zum Abkommen von der Fahrbahn bei annähernd 80 km/h nicht auf Sicht gefahren sei.
Die von dem klägerischen Pkw ausgehende Betriebsgefahr tritt jedoch nicht vollständig hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) zurück. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Verunreinigung auf der Straße und die davon ausgehenden Gefahren hätte erkennen können. Zwar hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs glaubhaft bekundet, er habe von der Ölspur im Fahrzeug nichts mitbekommen; die Ölspur habe er im Auto nicht wahrnehmen können. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten in überzeugender und nachvollziehbarer Weise feststellen können, dass bei der abgebildeten Intensität der Fahrbahnverschmutzung diese bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahnoberfläche im Abstand von einer Größenordnung von 50 m vor dem Fahrzeug – möglicherweise auch wenig abgeschwächt – wahrnehmbar gewesen sein kann.
Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.“
Die Ausführungen des LG zum Nutzungsausfall überlasse ich dem Selbstleseverfahren im verlinkten Volltext. Dazu passt folgender Leitsatz:
Wird ein Porsche Cabrio nur als Sommerfahrzeug genutzt, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast bei dem Einwand, dass ihm ein zweites Fahrzeug zur Verfügung steht und daher ein Nutzungsausfall für den zeitweisen Gebrauchsverlust bei diesem Sportwagen ausscheidet.