Verkehrsrecht I: Betrunkener Sozius auf dem E-Scooter, oder: Berührt geführt

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Und heute am 1. Dezember dann drei Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht. Ich beginne die Berichterstattung mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 07.11.2022 – 4 Qs 368/22. Es geht mal wieder um eine Fahrt mit dem E-Scooter. Allerdings dieses Mal eine besondere Variante. Das LG hatte nämlich die Frage zu entscheiden, ob dann, wenn zwei Personen auf einem E-Scooter fahren und sich der absolut fahruntüchtige Sozius mit am Lenker festhält, dieser eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB begeht.

Das LG hat sowohl die Frage als auch die Frage, ob es sich bei einem E-Scooter um ein Kfz handelt bejaht und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bestätigt. Wegen der Ausführungen zur Kfz-Eigenschaft verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zum „Führen“ i.S. des § 316 StGB führt es aus:

„c) Der Beschuldigte hat den E-Scooter zur Tatzeit auch „geführt“ i. S. d. § 316 StGB.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 18, 6 [8 f.]; BGHSt 35, 390 [393]; BGHSt 36, 343) ist Führer eines Fahrzeugs derjenige, der sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, also das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Alleinoder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. Danach ist Führer eines Fahrzeuges nicht nur derjenige, der alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt, sondern auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (wie z. B. das Bremsen oder Lenken).

bb) Diese überzeugenden Voraussetzungen, denen sich die Kammer anschließt, werden durch das Verhalten des Beschuldigten erfüllt.

Der Beschuldigte hat eingeräumt, dass er „die Hände am Lenker“ gehabt habe und diesen „festhielt“, wobei er allerdings „keine Lenkbewegungen“ ausgeführt habe. Allein das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt durch einen Sozius stellt – unabhängig von aktiven Lenkbewegungen nach links oder rechts, um eine Kurve zu fahren – ein Lenken des Fahrzeugs und damit das „Führen“ eines Fahrzeugs i. S. d. § 316 StGB dar. Denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters führt dazu, dass dieser in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird: nämlich geradeaus. Dieses Inder-Spur-Halten des E-Scooters ist ein genuiner Lenkvorgang, weil ein kontrolliertes Fortbewegen des E-Scooters durch den Verkehrsraum, wenn beide Personen auf dem Roller sich am Lenker festhalten, nur durch ein Zusammenwirken durch beide Fahrer möglich ist. Das bedeutet auch, dass der E-Scooter in einer Art „Mittäterschaft“ von beiden Fahrern gleichzeitig geführt wird.

Dass nach der Einlassung des Beschuldigten lediglich der vordere Fahrer Einfluss auf die Geschwindigkeit gehabt habe, ist nach der vorstehenden Rechtsprechung des BGH – welcher sich die Kammer anschließt – ohne Belang. Denn ein „Führen“ des Fahrzeugs kann hiernach auch dann vorliegen, wenn einzelne Bedienfunktionen – wie hier das Geradeauslenken – aufgeteilt werden. Dass sich der Beschuldigte nach den Ausführungen der Beschwerdebegründung über die Strafbarkeit der Handlung geirrt habe, stellt einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar.

Die Kammer würde ein Festhalten am Lenker eines E-Scooters auch dann als Lenken des Fahrzeuges einordnen, wenn – was hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist – der Sozius den Verkehr selbst gar nicht wahrnehmen kann, weil der vordere Fahrer des E-Scooters deutlich größer ist und der Sozius über diesen nicht hinwegsehen kann. Denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt sorgt – unabhängig von der Beobachtungsmöglichkeit des Verkehrs – für ein In-der-Spurhalten. Ein solches Verhalten stellte hernach vielmehr eine Geradeausfahrt im „Blindflug“ dar, die umso gefährlicher wäre, weil plötzliche Verkehrsvorgänge durch den Sozius, der auf die Lenkung einwirkt, optisch überhaupt nicht wahrgenommen werden könnten.

Diese Bewertung durch die Kammer hält auch dem Vergleich mit einem Sozius auf einem Kraftrad stand, welcher aus überzeugenden Gründen mangels eigenverantwortlicher Übernahme einer für die Fahrbewegung notwendigen technischen Teilfunktion nicht als „Führer“ eines Kraftrades angesehen wird (BGH, NZV 1990, 157 [157]). Denn anders als der Soziusfahrer eines Kraftrades beeinflusst der Soziusfahrer eines E-Scooters, der sich an der Lenkstange festhält, die Fahrtrichtung des Fahrzeugs unmittelbar. Vergleichbar mit dem Soziusfahrer eines Kraftrades wäre der Soziusfahrer eines E-Scooters nach Überzeugung der Kammer lediglich dann, wenn er sich – wie im Regelfall der Soziusfahrer eines Kraftrades – an seinem Vordermann festhielte (etwa am Bauch). Das ist hier allerdings ausdrücklich nicht der Fall gewesen.

Die Einordnung durch die Kammer steht auch mit dem Sinn und Zweck des § 316 StGB in Einklang. Denn diese Vorschrift schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt u. a. das Universalinteresse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gegen verkehrsinterne Bedrohungen von fahruntüchtigen Fahrzeugführern (z. B.: Kudlich, in: BeckOK § 316 StGB, Rn. 1 f. [Stand: 01.08.2022]). Die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs wird durch die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit eines fahruntüchtigen Sozius auf einem E-Scooter, der sich an dem Lenker festhält, erheblich gefährdet, weil er durch bewusste oder unbewusste Lenkbewegungen – sei es durch Zur-Seite-lenken oder Geradeaus-lenken – Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern hervorrufen kann, wenn er hierdurch den Lenkbewegungen des anderen Fahrers entgegenwirkt oder diese – bewusst oder unbewusst – verstärkt.“

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