Als zweite Entscheidung stelle ich dann den BGH, Beschl. v. 28.09.2022 – 5 StR 191/22 – vor. Er behandelt eine revisionsrechtliche Problematik, nämlich die Frage der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung der Akteneinsicht in die Originaldaten, also § 338 Nr. 8 iVm § 147 Abs. 1 StPO. Die war erhoben worden in einem sog. Encro-Chat-Verfahren. Die Ausführungen des BGH haben aber nichts mit Encro-Chat zu tun.
Der BGH hat die Rüge in erster Linie als unzulässig zurückgewiesen, er hat aber auch zur Begründetheit Stellung genommen:
„Der Senat bemerkt ergänzend:
Soweit der Beschwerdeführer eine „unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung der Akteneinsicht in die Originaldaten (§ 338 Nr. 8 iVm § 147 Abs. 1 StPO)“ rügt, entspricht das Revisionsvorbringen neben den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gesichtspunkten auch aus folgenden Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO: Nachdem das Landgericht die von der Verteidigung beantragte Beiziehung der „Rohdaten“ zu den – bei den Akten befindlichen – (Encro-)Chatprotokollen abgelehnt hatte, hat der Beschwerdeführer eine Gegenvorstellung hierzu erhoben und darin ein Protokoll des Bundeskriminalamts in Bezug genommen. Ausweislich der Revisionsbegründung sollen darin „Erkenntnisse(n) aus den Vernehmungen“ eines britischen und eines französischen Beamten enthalten sein, wonach die (Original-)Daten „in besonderer Weise bearbeitet und selektiert worden“ seien. Das Protokoll selbst oder dessen Inhalt hat er indes nicht mitgeteilt. Dazu war er aber verpflichtet. Denn ohne Kenntnis des Protokolls kann der Senat nicht prüfen, ob das Tatgericht durch die Ablehnung der Beiziehung der „Originaldaten“ den Beschwerdeführer in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt haben (§ 338 Nr. 8 StPO) oder seinen Aufklärungspflichten (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht nachgekommen sein könnte. Sollte dem Revisionsführer der Vortrag nicht möglich gewesen sein, weil ihm das Protokoll nicht vorlag, hätte er sich – damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird – jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge um dessen Erhalt bemühen und die entsprechenden Anstrengungen dartun müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 4 StR 599/09, NStZ 2010, 530 mwN; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 101).
Die Rüge wäre aber auch unbegründet.
Ein Verstoß gegen das Akteneinsichts- oder das Besichtigungsrecht von Beweisstücken nach § 147 Abs. 1 StPO liegt auf der Grundlage des Revisionsvorbringens nicht vor. Denn der Anspruch bezieht sich nur auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten und auf die in diesem Verfahren verwahrten Beweisstücke (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45, 60; BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 147 Rn. 13, 19). Diese Eigenschaft hätten die „Originaldaten“ aber erst durch ihre – von der Verteidigung indes erfolglos beantragte – Beiziehung erlangt.
Die Ablehnung der Beiziehung der „Originaldaten“ begegnet auf der Grundlage des Revisionsvortrags keinen rechtlichen Bedenken. Denn ausweislich der Ablehnungsbegründung lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne für das Verfahren relevante Chats aus den „Originaldaten“ zurückgehalten oder inhaltlich verändert worden seien.
Soweit die Rüge auch mit der Stoßrichtung der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK erhoben worden sein sollte, bliebe sie schon deshalb ohne Erfolg, weil der Beschwerdeführer ausweislich des Revisionsvorbringens nicht beim Bundeskriminalamt um Einsicht in die „Rohdaten“ ersucht hat. Sein Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend den Zugang zu den Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsübertretungen geht daher fehl. Denn der dortige Beschwerdeführer hatte sich vor dem gerichtlichen Verfahren (erfolglos) bei der Verwaltungsbehörde darum bemüht, die nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Rohmessdaten zu erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. November 2021 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455, 460; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45, 66).“