Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zur Wiedereinsetzung, allerdings im Zivilrecht.
Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 28.07.2022 – III ZB 65/21. Folgender Sachverhalt: Der Kläger hatte den Beklagten als Inhaber einer Detektei mit Recherchearbeiten zu seinem früheren Arbeitgeber beauftragt. Mit seiner hat er dann Ansprüche auf Rückzahlung des Honorars geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Am 01.03.2021 ist um 17.21 Uhr beim OLG über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ein Berufungsbegründungsschriftsatz eingegangen, der mit einer ungültigen qualifizierten elektronischen Signatur des Prozessbevollmächtigten des Klägers versehen gewesen ist. Im Prüfprotokoll der Empfangsstelle heißt es: „Die mathematische Prüfung der Signatur ist fehlgeschlagen. Die Inhaltsdaten oder die Signatur wurden nach der Signatur verändert.“
Nachdem der Kläger hierauf hingewiesen worden war, hat er mit Schriftsatz vom 01.06.2021 wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet. Zur Begründung des Antrags hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass die Fristversäumung auf einem Versehen einer bis dahin stets zuverlässigen, regelmäßig geschulten und stichprobenartig überprüften Kanzleiangestellten beruhe. Diese habe nach der Signierung des Schriftsatzes durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers die Datei mit der Berufungsbegründung mitsamt der dazugehörigen, übereinstimmend bezeichneten Signaturdatei über die Anwaltssoftware WINMACS per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) an das Gericht versandt und anschließend den Sendebericht abgerufen und kontrolliert. Aus dem Bericht sei ersichtlich, dass die Datei „Berufungsbegründung [2].pdf“ sowie die Signaturdatei „Berufungsbegründung [2].pdf.p7s“ übersandt worden seien. Einen Fehler habe der Sendebericht nicht angezeigt.
Dem BGH reicht das für eine Wiedereinsetzung nicht:
„2. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen.
a) Nach 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen das Fristversäumnis beruht und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 2008 – IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 15; vom 10. Januar 2013 – I ZB 76/11, AnwBl 2013, 233 Rn. 7 und vom 11. November 2015 – XII ZB 257/15, MDR 2016, 110 Rn. 10). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (zB Senat, Beschluss vom 26. August 2021 – III ZB 9/21, NJW-RR 2022, 204 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 20. August 2019 – VIII ZB 19/18, NJW 2019, 3310 Rn. 15).
b) Dies zugrunde gelegt, kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden.
So lässt der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 1. Juni 2021 eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen vermissen. Denn darin wird einerseits darauf abgestellt, dass „die Fristversäumung auf einem Versehen einer bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten, Frau G.K. , beruht“, andererseits – wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt – aber nicht deutlich, worin das Versehen der Kanzleiangestellten bestanden haben soll. Des Weiteren hebt die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 1. Juni 2021 – anders als die Rechtsbeschwerdebegründung – nicht darauf ab, „dass es im Bereich der technischen Vorgänge zu Fehlfunktionen kommen kann, die für den Benutzer nicht ersichtlich sind“. Eine im Verantwortungsbereich des Berufungsgerichts liegende oder eine anderweitige, dem Übermittlungsmedium immanente, technische Ursache kann jedoch nicht einfach unterstellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 54). Infolgedessen bleibt Raum für die Möglichkeit, dass den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein (Mit-)Verschulden daran trifft, dass – entsprechend dem Prüfprotokoll – „die Inhaltsdaten oder die Signatur … nach der Signatur verändert“, mithin zwischen der Erzeugung der Signatur und dem Versand des elektronischen Dokuments noch Veränderungen am Dokument oder an der Signatur vorgenommen worden sind, deswegen die mathematische Prüfung der Signatur fehlgeschlagen und die Berufungsbegründung (nur) mit einer ungültigen qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen ist.
c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, steht der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts nicht im Widerspruch zu dem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. November 2020 (NJW 2021, 1604 35 ff). Die dortige Konstellation eines für den Prozessbevollmächtigten erkennbaren, bei der OCR-Umwandlung des zu versendenden Schriftsatzes erfolgenden Warnhinweises liegt nicht vor. Aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig können auch keine für den vorliegenden Fall relevanten Rückschlüsse gezogen werden, wie es entschieden hätte, wenn der Warnhinweis nicht angezeigt worden wäre.“