Am „Money-Day“ dann zunächst eine Entscheidung des LG Hamburg, Das hat im LG Hamburg, Beschl. v. 06.04.2022 – 628 Qs 19/21 – zur Bemessung der Rahmengebühr bei einer Grudngebühr und zu den Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts Stellung genommen.
Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der falschen Verdächtigung freigesprochen und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Die geltend gemachten Auslagen sind nur zum Teil festgesetzt worden. Statt einer Grundgebühr von 200,- EUR, was der Mittelgebühr nach altem Recht entsprochen hat/hätte, wurden lediglich 110 EUR festgesetzt. Ebenfalls nicht festgesetzt wurden Fahrtkosten von 2 x 171,60 EUR für jeweils 572 km Anreise mit dem eigenen PKW und Abwesenheitsgelder bei einer Geschäftsreise in Höhe von 2 x 70 EUR. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte nur hinsichtlich der Reisekosten zu einem geringen Teil Erfolg:
„3. Die Beschwerde hat in der Sache nur zu einem kleinen Teil Erfolg.
a) Grundgebühr
Die beantragte Grundgebühr (Ziff. 4100 Anlage 1 zum RVG) in Höhe von EUR 200,- ist nur in Höhe von EUR 110,- festzusetzen.
Bei Rahmengebühren bestimmt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). So liegt der Fall hier.
Dritter in diesem Sinne ist insbesondere auch die Staatskasse, die nach § 467 Abs. 1 StPO dem freigesprochenen Angeklagten die Verteidigerkosten erstatten muss (vgl. v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht eines Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert wird, wenn sie lediglich „gut bemessen“ ist (LG Zweibrücken, Beschluss vom 12.02.2008 – Qs 68/07 = BeckRS 2008, 16655; Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 5) . Denn jede Ermessenausübung bewegt sich innerhalb eines durch die Umstände bestimmten Rahmens, und eine Ermessensausübung ist auch dann noch billig, wenn sie an den oberen Rand des durch die Umstände bestimmten Rahmens geht (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12). Erst, wenn sie diesen oberen Rand überschreitet, ist sie unbillig, und damit der Weg für das Gericht frei, das anwaltliche Ermessen durch eigenes Ermessen zu ersetzen (Mayer, a.a.O.; vgl. zum insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Gerichts auch: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 7). Diese engen Voraussetzungen liegen indes vor. Der Verteidiger des Freigesprochenen hat hier die sog. „Mittelgebühr“ angesetzt. In „Normalfällen“ (d.h. wenn sämtliche in § 14 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich genannten Umstände von durchschnittlicher Art sind) entspricht die Bestimmung der Mittelgebühr billigem Ermessen (v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 21). Das darf aber nicht dazu führen, dass der Rechtsanwalt ohne Abwägung der einzelnen Bemessungskriterien generell die Mittelgebühr abrechnet (v. Seltmann, a.a.O.). Vielmehr ist die Mittelgebühr lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen (v. Seltmann, a.a.O.). So liegt es hier.
Namentlich Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weichen hier maßgeblich nach unten vom Durchschnitt ab (vgl. zu diesen Kriterien im Einzelnen: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 28 ff., 34 ff.). Der Aktenumfang betrug bis zum Hauptverhandlungsprotokoll 62 Blatt (sowie 43 Blatt im Zeitpunkt erstmaliger Akteneinsicht). Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Vorfall in einem Kiosk. Neben der Einlassung des (ehemaligen) Beschuldigten erschöpfte sich das Beweisprogramm im Wesentlichen in zwei Zeugen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der „Geschädigte zum Beschuldigten“ wurde und es zwei „sich diametral gegenüberstehende Ermittlungsverfahren“ gab. Denn sowohl in dem hiesigen Verfahren als auch in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 2004 Js 499/19 (der hiesigen Beiakte) ging es im Kern um den gleichen Lebenssachverhalt; zumal der Umfang der Beiakte – den insoweit geltend gemachten Kopierkosten nach zu urteilen – sogar noch geringer war, als derjenige der hiesigen Akte. Auf der anderen Seite wich kein anderes relevantes Bemessungskriterium nach oben hin von der Norm ab, sodass auch insoweit keine „Kompensation“ erfolgen konnte, die eine Festsetzung der Mittelgebühr noch hätte rechtfertigen können (zu dieser Möglichkeit: Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 11; m.w.N.).
Dabei hat die Kammer auch bedacht, dass es nicht angängig ist, von den Kostenrechnungen eines Verteidigers „kleinteilige“ Abzüge vorzunehmen und sich vor diesem Hintergrund gewisse „Toleranzgrenzen“ herausgebildet haben. So werden etwa Abweichungen von bis zu 20% regelmäßig noch als verbindlich angesehen (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12; v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51; m.w.N.). Vorliegend sind diese Grenzen jedoch ersichtlich überschritten.
b) Fahrtkosten
Die geltend gemachten Fahrtkosten (Ziff. 7003 Anlage 1 zum RGV) waren nur in einer Höhe von EUR 25,20 festzusetzen.
Gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zu erstatten sind. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Sachgerecht ist die Beauftragung eines ortsansässigen Prozessbevollmächtigten. Wer darauf verzichtet und auswärtigen Beistand in Anspruch nimmt, kann den Mehraufwand grundsätzlich nicht erstattet verlangen (Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 71; Hüßstege, in Thomas/Putzo, ZPO, § 91 Rn. 42a; vgl. Herget, in Zöller, ZPO, § 91 Rn. 13, unter dem Stichwort: „Reisekosten b) des Anwalts“). Denn im Grundsatz wird der Partei zugemutet, einen an ihrem Gerichtsstandort zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen (Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169). Es gilt das Kostenschonungsgebot (Schulz, a.a.O.). Nur beim Vorliegen besonderer Umstände können diese Kosten notwendig sein (Gierl, in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 91 Rn. 52; m.w.N.).
Namentlich muss das schützenswerte Interesse der Partei an einem auswärtigen Anwalt so großes Gewicht haben, dass das Gebot der Kostenschonung dahinter zurücktritt (Jaspersen, a.a.O.). Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein entlegenes oder besonders schwieriges Rechtsgebiet die Fachkunde eines Spezialisten erfordert und ein geeigneter Anwalt vor Ort nicht verfügbar ist (Schulz, a.a.O.); wobei die Anforderungen hier im Allgemeinen hoch anzusetzen sind (Flockenhaus, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 91 Rn. 18).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Besondere Spezialkenntnisse waren weder erforderlich noch sind diese dargetan. Zwar mag es aufgrund des damaligen Verfahrensstands und dem bis dato erfolgten Verfahrensgang aus Sicht des Freigesprochenen nachvollziehbar gewesen sein, das vorherige Mandatsverhältnis mit dem hamburgischen Strafverteidiger zu beenden. Gleichwohl sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die Beauftragung eines anderen Verteidigers aus Hamburg nicht möglich gewesen sein soll. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem – in Strafsachen ganz besonders erheblichen – Grundsatzes des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant (vgl. zum „persönlichen Vertrauen“ etwa: Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 63). Vorliegend hat der Verteidiger des Freigesprochenen zwar in der Vergangenheit bereits Familienangehörige des Freigesprochenen vertreten, war für diesen selbst jedoch noch nicht tätig. Hieran vermag auch die „langjährige Freundschaft“ zwischen dem Freigesprochenen und seinem Verteidiger nichts zu ändern.
Gleichwohl bedeutet die fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Verteidigers nicht, dass für diesen überhaupt keine Fahrtkosten angesetzt werden können. Vielmehr sind tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte (BGH, Beschluss vom 09.05.2018 – I ZB 62/17 = BeckRS 2018, 14136; dort unter Rn. 8 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand; vgl. Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169).
Ersatzfähig ist daher derjenige Anteil der Fahrtkosten, welcher auf die Wegstrecke innerhalb des hiesigen Gerichtsbezirks entfällt. Von der kürzesten Route vom Amtsgericht HamburgHarburg bis zum Kanzleisitz des Verteidigers des Freigesprochenen (J. , S.) liegen 21 Kilometer innerhalb der Landesgrenzen Hamburgs. Der Verteidiger ist diese Wegstrecke viermal gefahren. Ersatzfähig sind daher EUR 25,20 (= 4 x 21 x EUR 0,30)….“
Im Großen und Ganzen ist gegen die grundsätzlichen Ausführungen des LG zur Bemessung der Rahmengebühren nichts auszusetzen. Allerdings ist die Behauptung, dass, wenn „eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, dies Anlass für den Rechtsanwalt ist, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen“, so nicht zutreffend. Denn es führt nicht schon zwangsläufig ein nach unten vom Durchschnitt abweichendes Kriterium aus § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu einer Gebühr unter der Mittelgebühr, sondern es ist auch dann eine Gesamtbewertung aller Kriterien vorzunehmen. Das tut das LG dann hier auch, bleibt aber eine Erklärung warum die Grundgebühr nur in Höhe von 110 EUR, also 45 % unter der Mittelgebühr, angemessen sein soll, schuldig. Die mitgeteilten Umstände tragen diese Bemessung nicht. Sie sprechen vielmehr für eine amtsgerichtlichen Normalfall mit immerhin zwei Zeugen, einer Beiakte und gegenseitigen Vorwürfen bzw. einem „gegenläufigen Ermittlungsverfahren.
Und: << Werbemodus an>>: Ich nehme dann dieses Posting mal wieder zum Anlass auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, hinzuweisen, den man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.