beA I: Entbindungsantrag wird per beA gestellt, oder: Wann ist der Antrag (noch) rechtzeitig eingegangen?

folgenden Text dazu nutzen:
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Und dann auf in die neue KW mit Beiträgen. Hier läuft ja alles rund (hoffentlich bleibt das so 🙂 ). Heute mache ich dann mal wieder einen beA-Tag.

Den beginne ich mit einer Entscheidung des OLG Düsseldorf, und zwar dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.05.2022 – IV – 2 RBs 78/22 -, den mir der Kollege Türker aus Berlin geschickt hat. Das OLG hat über eine Verwerfungsentscheidung des AG Duisburg entschieden. Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Hiergegen hat sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde gewandt, die er vor allem darauf gestützt hat, das AG habe einen knapp 35 min vor Terminbeginn bei Gericht eingegangenen Entbindungsantrag nicht beachtet. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„2.Auch die zulässig erhobene Rüge der gesetzwidrigen Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWIG ist nicht begründet, weil der Entbindungsantrag zu spät bei Gericht eingegangen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:

„a) Ein Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 1 OWiG sperrt im Falle des Vorliegens der Entbindungsvoraussetzungen eine Entscheidung ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs, 2 OWiG nur dann, wenn dessen Kenntnisnahme pflichtwidrig unterlassen wurde. Dies kann dann nicht der Fall sein, wenn der Antrag nicht rechtzeitig gestellt wurde (OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 — 21 Ss OWI 45/1[Z], juris).

b) Der Entbindungsantrag wurde jedoch nicht rechtzeitig gestellt.

(1) Bei Beantwortung der Frage, wann ein Entbindungsantrag noch als „rechtzeitig“ gestellt anzusehen ist, verbietet sich jede schematische Lösung.

Es ist zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht — unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt das Gericht von ihm Kenntnis hätte nehmen können und ihn deshalb einer Bearbeitung hätte zuführen müssen, Die reine Zeitspanne zwischen Antragseingang bis zum Hauptverhandlungstermin ist dabei nur ein Teilaspekt (OLG Rostock a.a.O.), wobei in diesem Zusammenhang die gewöhnlichen Geschäftszeiten des jeweiligen Gerichts nicht außer Acht zu lassen sind (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2007 — 2 Ss OWi 1409/07, BeckRS 2007, 19100). Außerdem ist zu berücksichtigen, ob – falls der Kommunikationsweg via Fax gewählt wurde – die Telekopie an den Anschluss der zuständigen Geschäftsstelle oder an einen allgemeinen Anschluss des Gerichts versandt wurde. Im letzteren Fall bedarf es eines Hinweises auf die Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter (OLG Bamberg, Beschl. V. 23.05.2017 — 3 Ss OWi 654/17 BeckRS 2017, 127442),

(2) Vorliegend war des dem Gericht trotz ordnungsgemäßer gerichtsinterner Organisation nicht mehr möglich, den Antrag der zuständigen Richterin am Amtsgericht vor dem Hauptverhandlungstermin zur Bearbeitung vorzulegen. Die Übersendung per beA erfolgt an das EGVP, bei welchem es sich um ein zentrales Postfach des jeweiligen Amtsgerichts handelt, Die Eingangspoststelle ist für die Annahme, den Druck und die Verteilung der gesamten elektronischen Post des Amtsgerichts zuständig. Der Antrag ist jedoch am Hauptverhandlungstermin erst um 11:46 Uhr dem EGVP zugeleitet worden und die Verhandlung war auf 12:20 Uhr anberaumt, Damit standen lediglich knapp 35 Minuten für die gerichtsinterne Weiterleitung des Schreibens zur Verfügung. Dass die notwendigen Arbeitsschritte ohne Weiteres in weniger als einer Stunde Arbeitszeit hätten vorgenommen werden können, ist gänzlich lebensfremd. Zumindest hätte es, wie bei der kurzfristigen Übersendung per FAX an einen allgemeinen Gerichtsanschluss, eines – ohne Weiteres zumutbaren – Hinweises auf die besondere Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter bedurft. Daran fehlt es.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und weist darüber hinaus auf folgende Gesichtspunkte hin:

Bereits aus der Bezeichnung der Empfangsstelle „Elektronischen Gerichts -und Verwaltungspostfach“ (EGVP) ergibt sich zwanglos, dass es sich um eine zentrale Poststelle des Gerichts und nicht um das Postfach der Geschäftsstelle handelt – vergleichbar mit der zentralen Fax-Stelle des Gerichts. Hieraus ergibt sich auch, dass die eingehende elektronische Post für alle Abteilungen des Amtsgerichts von Mitarbeitern des Gerichts gesichtet und ggfs. – soweit wie hier die elektronische Akte noch nicht eingeführt worden ist, ausgedruckt und an die Geschäftsstelle der zuständigen Abteilung weitergeleitet werden muss. Angesichts dessen hätte der Verteidiger des Betroffenen in den zur Verfügung stehenden Textfeldern zu Bezeichnung der übersandten Datei etwa unter „Betreff‘ nicht nur „Bußgeldsache“ mit dem Namen seines Mandanten eingeben können, sondern auch den Gegenstand der Eingabe sowie den Zusatz „Eilt“, was sich angesichts der Umstände des Falles eigentlich, von selbst erklärt. Unabhängig davon gibt die Justizverwaltung auf ihrer Internetseite https://www.justiz.nrw/Gerichte_Behoerden/anschriften/elektronischer_rechtsverkehr/ERV_Hinweise/index.php Hinweise dazu, wie insbesondere auch eilige Eingaben gekennzeichnet werden können. Dort heißt es etwa:

Bei der Übermittlung soll, sofern bekannt, das gerichtliche Aktenzeichen angegeben werden. Dies ist in das dafür vorgesehene Feld „Aktenzeichen“ einzutragen. Wenn dieses Feld nicht zur Verfügung steht (wie z.B. bei der Versendung von DE-Mails) ist das Aktenzeichen im Feld „Betreff‘ einzutragen. Dabei ist vor und nach dem Registerzeichen jeweils ein Leerzeichen zu setzen. In Fällen, in denen das gerichtliche Aktenzeichen noch nicht bekannt ist, soll der Begriff „Neueingang“ verwendet werden. Handelt es sich um einen „echten Eilantrag“ (z.B. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, Antrag auf Anordnung des Arrestes, etc.) sollen zusätzlich der Begriff „EILT!“ sowie der spezifizierte Antrag verwendet werden.

Beispiele;

4[Leerzeichen]O[Leerzeichen]20/16 = 4 0 20/16

Neueingang

4[Leerzeichen]0[Leerzeichen]20/16, EILT!, Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung

Neueingang, EILT!, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.“

Tja. ein Hauch von „versteckter Entbindungsantrag zieht durch den Beschluss, obwohl eben nur ein Hauch. So richtig traut sich der entscheidende Einzelrichter beim OLG offenbar aber nicht; von „Rechtsmissbrauch“ zu schreiben. Da versteckt man sich mal lieber wieder hinter eine „Einzelfalllösung“ oder eben hinter: Bei der Justiz geht es nicht so schnell bzw. wo kommen wir da denn hin, wenn man eine zeitnahe Weiterleitung eines Antrags verlangen wollte. Mir erschließt sich nicht, warum das in 35 Minuten, die zur Verfügung standen, nicht möglich gewesen sein soll. Zudem ja auch wohl die Geschäftsstelle der zuständigen Abteilung über einen Telefonanschluss verfügt. Hoffentlich. So setzt man dann lieber die Rechtsprechung zur „Rechtzeitigkeit des Entbindungsantrags“ fort.

M.E. ist das unverständlich und kaum nachvollziehbar. Zu Recht hatte der Kollege beim OLG darauf hingewiesen, dass man sich zwar einerseits dazu entschlossen hat, die digitale Kommunikation gesetzlich festzuschreiben und Verfahrensbeteiligte teilweise sogar zur digitalen Kommunikation verpflichtet. Andererseits schafft man es aber nicht, die technischen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit eingehende Schriftsätze direkt anhand des Aktenzeichens nach Eingang an das entsprechende Empfangsgerät auf der betroffenen Geschäftsstelle digital, ohne manuelle Zwischenschritte, weitergeleitet werden. Und man bestraft mit dem Einwand: „nicht rechtzeitig“ dann den Betroffenen, dessen Verteidiger ja gerade durch die Korrespondenz über beA / EGVP dem gesetzgeberischen Willen zur Einführung der digitalen Kommunikation Folge leistet. Zudem dürfte der vom OLG hier gezogene Vergleich zum zentralen Faxgerät des Gerichts kaum passen. Denn beim Fax besteht die vorbezeichnete technische Möglichkeit nicht. Es ist also klar, dass das Fax in Papierform bei dem zentralen Faxgerät landet und erst körperlich zum zuständigen Richter bzw. zu seiner Geschäftsstelle transportiert werden muss. Von daher kann man auch kaum von „ordnungsgemäßer gerichtsinterner Organisation“ sprechen.

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