In die Rubrik: Was es nicht alles gibt, oder auch: Auch Revisionsgerichte machen Fehler, gehört der KG, Beschl. v. 30.03.2022 – (2) 121 Ss 110/21 (16/21). Das Berufungsgericht hat sein Urteil zur Akte gebracht – Umfang: 25 Seiten. Die von der Geschäftsstelle des LG erstellte „beglaubigte Abschrift“ des Urteils weicht dann aber in wesentlichen Teilen vom Original ab und hatte auch nur 22 statt 25 Seiten; es fehlten insbesondere Ausführungen zu § 47 StGB, die im Original indes enthalten waren. Die Differenz zwischen Original und Abschrift bleibt zunächst unbemerkt. Das hat zur Folge, dass den Verfahrensbeteiligten nur die (falsche) Abschrift zugestellt wird und diese dann auch den Weg ins sog. Revisionsheft findet.
Auch das KG bemerkt die Abweichung nicht und entscheidet auf der Gundlage der „Kurzfassung“ des Berufungsurteils. Es wird aufgehoben. Erst der Vorsitzende der „neuen“ Berufungskammer“ bemerkt den Fehler und weist dann das KG auf die Abwecichung hin. Das hat dann jetzt seinen Aufhebungsbeschluss aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens beschlossen:
„3. Der Beschluss des Senats vom 10. Januar 2022 ist aufzuheben, das Verfahren ist fortzusetzen. Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, die Revisionsbegründungsfrist hat mithin noch nicht begonnen zu laufen (§ 345 Abs. 1 Satz 3 StPO).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Entscheidungen des Revisionsgerichts grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil (§ 349 Abs. 5 StPO) rechtskräftig abgeschlossen wird (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61 – = BGHSt 17, 94, 95 und vom 24. März 2011 – 4 StR 637/10 – = StraFo 2011, 218; vgl. auch Beschluss vom 4. April 2006 – 5 StR 514/04 – = wistra 2006, 271 für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Auch ein allein nach § 349 Abs. 4 StPO gefasster Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Tatrichter zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich formelle Rechtskraft erlangt, ist regelmäßig nicht abänderbar und kann nicht aufgehoben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – 5 StR 449/91 – mwN). Das Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1962, aaO), es sei denn, die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO wären erfüllt, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist, was hier nicht der Fall ist.
b) Hier hat der Senat über das Rechtsmittel des Revisionsführers auf der Grundlage eines bloßen Urteilsentwurfs des Landgerichts entschieden und von diesem Umstand erst nach Erlass seiner Entscheidung Kenntnis erlangt.
Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit in Fällen, in denen eine Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision lediglich infolge Unregelmäßigkeiten oder Versehen oder wegen der Gegebenheiten des gerichtlichen Geschäftsgangs auf unvollständiger oder unzutreffender tatsächlicher Grundlage getroffen wurde und sich dies erst nachträglich herausstellt, das Bedürfnis nach einer Korrektur der getroffenen, formell oder materiell rechtskräftigen Entscheidung anerkannt. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebieten es in einem solchen Fall, den Widerspruch zwischen der auf einer unzutreffenden Grundlage ergangenen Entscheidung und der abweichenden Tatsachenlage zu beseitigen; der damit verbundene Eingriff in die Rechtskraft wiegt hier weniger schwer (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2015 – 4 StR 24/15 – mwN, juris).
Im vorliegenden Fall hat der Senat über das Rechtsmittel des Angeklagten weder in Verkennung der prozessualen Lage noch aus Rechtsirrtum entschieden, sondern auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage, die ihren Grund allein in einer Unregelmäßigkeit im Geschäftsgang des Landgerichts hatte. Denn die dem Senat vorgelegte Urteilsfassung, die lediglich einen Entwurf darstellte und die sich – anders als die Endfassung – auch im AULAK-Textverarbeitungssystem befand, wurde aus letztlich ungeklärten, im Geschäftsablauf des Landgerichts zu suchenden Gründen – entgegen der Anordnung des Vorsitzenden – dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt, zu den Senatsakten genommen und so zur Grundlage der Senatsentscheidung. Der Fall ist tatsächlich nahezu identisch mit dem durch den Bundesgerichtshof am 10. September 2015 entschiedenen (vgl. BGH aaO).
c) Die Zustellung der Entwurfsfassung des landgerichtlichen Urteils an die Verfahrensbeteiligten konnte die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf setzen (vgl. BGH aaO). Der Senat hebt daher seinen Beschluss vom 10. Januar 2022 auf. Dem Verfahren ist nunmehr durch Zustellung der richtigen Fassung Fortgang zu geben.“
Tja: Nobody is perfect! 🙂