Und dann als letztes Posting des Tages noch etwas zum sog. Konfrontationsrecht. Dau hat sich noch einmal der BGH, Beschl. v. 13.01.2022 – 3 StR 341/21 – geäußert.
Der Angeklagte ist wegen Verstöße gegen das BtMG verurteilt worden. Der Verurteilung sind Angaben eines S. zugrunde gelegt worden, die dieser in der Hauptverhandlung des gegen ihn geführten Verfahrens als Angeklagter im Rahmen einer umfassend geständige Einlassung abgegeben hatte. In der Hauptverhandlung im Verfahren gegen den Angeklagaten hat S. ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO geltend gemacht, das ihm – ungeachtet der Rechtskraft seiner Verurteilung – vom Vorsitzenden zugebilligt worden ist. Die Strafkammer hat daraufhin einen an dem gegen S. geführten Verfahren beteiligten Richter als Zeugen vernommen. Sie hat ihre Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten und damit zu dessen Verurteilung wesentlich auf die Angaben des S. in dessen Strafverfahren gestützt. Der BGH hat das nicht beanstandet:
„(2) Die Beweiswürdigung genügt auch den besonderen Anforderungen, die daraus resultieren, dass der Zeuge S. in der Hauptverhandlung nicht hat vernommen werden können und damit das aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK resultierende Recht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (Konfrontationsrecht), nicht gewährleistet worden ist.
(a) Das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen stellt eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK dar. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründet, hängt daher von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10,StV 2017, 213Rn. 100 f.; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08 , NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16 , NStZ 2018, 51, 52; Beschlüsse vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09 , BGHSt 55, 70 Rn. 16; vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06 , BGHSt 51, 150 Rn. 16; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 95, 97 f., 109). Dabei ist nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10,StV 2017, 213Rn. 107 ff.; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16 , NStZ 2018, 51, 52 ff.; Beschluss vom 26. April 2017 – 1 StR 32/17 , NStZ 2017, 602, 603).
(b) Bei Nichtgewährleistung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK ist daher zum einen eine besonders sorgfältige und kritische Überprüfung der Aussage des betreffenden Belastungszeugen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08 , NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16 , NStZ 2018, 51, 53 f.; Beschluss vom 22. Juni 2005 – 2 StR 4/05 , BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5; Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00 , BGHSt 46, 93, 106 ; s. auch EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10,StV 2017, 213Rn. 126; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 106). Dies gilt auch in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der es um die Würdigung der früheren Einlassung eines möglichen Mittäters geht, der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2021 – 5 StR 223/21 , juris Rn. 3, 8; vom 12. Mai 2020 – 1 StR 596/19 , NStZ 2021, 183 Rn. 7; vom 15. Januar 2020 – 2 StR 352/18 ,StV 2020, 805Rn. 23 f.; vom 9. Januar 2020 – 2 StR 355/19 , juris Rn. 11; Urteile vom 19. Februar 2015 – 3 StR 597/14 , juris Rn. 6; vom 16. April 2014 – 1 StR 638/13 , NStZ-RR 2014, 246, 248 f.; Beschluss vom 22. Juni 2005 – 2 StR 4/05 , BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5).
Zum anderen darf eine Feststellung zu Lasten des Angeklagten regelmäßig – allerdings nicht zwingend (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10,StV 2017, 213Rn. 107 ff.; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16 , NStZ 2018, 51, 52 ff.) – nur dann auf eine frühere Aussage des Zeugen gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und in unmittelbarem Tatbezug stehende Gesichtspunkte außerhalb der Aussage selbst bestätigt worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08 , NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 5 StR 223/21 , juris Rn. 8; Urteil vom 19. Februar 2015 – 3 StR 597/14 , juris Rn. 6; Beschlüsse vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09 , BGHSt 55, 70 Rn. 16 f.; vom 22. Juni 2005 – 2 StR 4/05 , BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5; Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00 , BGHSt 46, 93, 106 ; s. auch EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10,StV 2017, 213Rn. 123 ff.; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 107).
(c) Da sich S. auf ein ihm zugebilligtes Auskunftsverweigerungsrecht und damit die auch konventionsrechtlich anerkannte Selbstbelastungsfreiheit berufen hat, liegt der Nichtgewährung des Konfrontationsrechts kein justizielles Verschulden zu Grunde (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 1 StR 638/13 , NStZ-RR 2014, 246, 248 mwN; EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 – 29881/07, JR 2013, 170 Rn. 58 ff.; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 102). Das Landgericht hat den Umstand der unterbliebenen konfrontativen Befragung des Zeugen gesehen und in eine kritische Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Angaben eingestellt. Vor allem aber hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nicht ausschließlich auf die nur mittelbar in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des S. gestützt. Denn sie hat frei von Rechtsfehlern den Bekundungen der Zeugen Se. und S. N. sowie der vernommenen Polizeibeamtin zu dem Vorfall am 2. November 2019 insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch S. zu den bedrohten und zur Zahlung aufgeforderten Personen gehörte und dieser zudem einen “ “ als zur Gruppe der „Geldeintreiber“ gehörend bezeichnet hat, Indizwert für die Richtigkeit der Einlassung des S. in dem gegen ihn geführten Verfahren und damit für die Schuld des Angeklagten beigemessen. Damit ist auch den besonderen konventionsrechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung Genüge getan.
(3) Zwar hat sich die Strafkammer in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich beweiswürdigend damit auseinandergesetzt, dass der Zeuge S. sich in der Hauptverhandlung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen und keine Angaben gemacht hat. Dies stellt hier jedoch – anders, als der Angeklagte und diesem folgend der Generalbundesanwalt meinen – keinen Rechtsfehler dar.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat dem S. ausweislich der Urteilsgründe ein Auskunftsverweigerungsrecht zugebilligt, obgleich dieser wegen seiner Tatbeteiligung zum Vernehmungszeitpunkt bereits rechtskräftig verurteilt war. Das Urteil verhält sich nicht zu den vom Zeugen insofern geltend gemachten Gründen, insbesondere nicht dazu, ob der Zeuge vorgebracht hat, bei einer wahrheitsgemäßen Aussage laufe er Gefahr, sich im Hinblick auf den Verdacht der Straftat einer falschen Verdächtigung selbst zu belasten, weil sich herausstellen könne, dass er bei seiner Einlassung als Angeklagter in dem gegen ihn geführten Strafverfahren eine andere Person zu Unrecht einer Straftat bezichtigt habe (vgl. zur Ungeeignetheit einer solchen Behauptung, bei Fehlen konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für frühere Falschangaben ein Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen, OLG Hamm, Beschluss vom 28. Oktober 2014 – 5 Ws 375/14 , NStZ-RR 2015, 49, 50; KK-StPO/Bader, 8. Aufl., § 55 Rn. 9 mwN; s. auch BGH, Urteil vom 6. April 2017 – 3 StR 5/17 , NStZ 2017, 546, 547; Beschluss vom 1. Juni 1994 – StB 10/94 , BGHR StPO § 55 Abs. 1 Auskunftsverweigerung 4 ).
Die Strafkammer ist indes nicht in sachlich-rechtlicher Hinsicht gehalten gewesen, sich mit dem vom Zeugen vorgebrachten und vom Gericht akzeptierten Rechtsgrund für seine Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO in der Beweiswürdigung explizit auseinanderzusetzen. Ob eine derartige Erörterung geboten ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig (vgl. zur Pflicht einer kritischen Würdigung der Berufung eines Belastungszeugen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO und zu deren Darlegung in den Urteilsgründen BGH, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 StR 596/19 , NStZ 2021, 183 Rn. 11 f.; Urteil vom 23. Januar 2002 – 5 StR 130/01 , BGHSt 47, 220, 223 f. ; Beschluss vom 14. Februar 1984 – 5 StR 895/83 ,StV 1984, 233).
Vorliegend lassen die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Nachprüfung des Urteils allein maßgeblichen Urteilsgründe keine Umstände aufscheinen, die ein solches Erörterungserfordernis begründen würden. Vielmehr zeigen sie gewichtige Beweisanzeichen auf, die für die Richtigkeit der früheren Angaben des S. sprechen. Hinweise, die auf eine frühere Falschbelastung des Angeklagten durch S. hindeuteten, sind ihnen nicht zu entnehmen. Zudem enthalten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge ein Auskunftsverweigerungsrecht tatsächlich mit der vorgenannten Behauptung für sich in Anspruch genommen hat und sich eine solche Begründung gerade auf vermeintlich falsche frühere Angaben zum Nachteil des Angeklagten bezog.“