Nach dem BGH-Beschluss vom 16.12.2021 zur Revisionsrücknahme, mit dem ich heute Morgen begonnen habe, hier dann ebenfalls eine schon etwas ältere Entscheidung des BGH, die aber jetzt erst auf der Homepage des BGH eingestellt worden ist. Sie befasst sich mit einer sog. Verteidigererklärung, mit der sich der Angeklagte, der sich die Erklärung zu eigen gemacht hatte, zur Sache eingelassen hat. Der BGH, Beschl. v. 21.12.2021 – 3 StR 380/21 – zeigt, welche Gefahren dann doch in diesen Erklärungen, die in der Praxis ja gar nicht so selten sind, lauern können:
Das LG hatte den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Dagegen die Revision, die beim BGH keinen Erfolg hatte:
„2. Die auf die allgemeine Sachrüge hin veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung durch eine Erklärung seines Verteidigers, die er sich ausdrücklich zu eigen gemacht hat, zur Sache eingelassen. Nachfragen hat er nicht zugelassen. Mit der Verteidigererklärung hat der Angeklagte eingeräumt, dem Tatopfer die tödliche Verletzung zugefügt zu haben. Er hat jedoch geltend gemacht, der Geschädigte sei ohne für ihn erkennbaren Anlass auf ihn zugelaufen und habe ihn geschlagen. Er habe ein Messer gezückt, um seinen Kontrahenten von weiteren Angriffen abzuhalten. Dieser habe ihn gleichwohl erneut attackiert, woraufhin sie beide zu Boden gegangen seien. In diesem Zusammenhang müsse der Geschädigte in das Messer gefallen sein.
b) Dieser Einlassung ist die Strafkammer, soweit mit ihr eine Notwehrlage und eine ungewollte Verletzung des Opfers behauptet worden sind, nicht gefolgt. Dabei hat sie nicht nur gestützt auf ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten ausgeführt, das Verletzungsbild passe nicht zu einem Sturz des Opfers in das Messer, sondern sei plausibel allein mit einem gezielten und kraftvoll geführten Messerstich erklärbar.
Vielmehr hat das Landgericht der Einlassung des Angeklagten auch deshalb keinen Glauben geschenkt, weil sie zum einen in Form einer Verteidigererklärung ohne Möglichkeit der Überprüfung durch kritische Nachfragen vorgebracht worden sei und zum anderen ihrem Inhalt nach ein Teilschweigen des Angeklagten darstelle, aus dem für diesen nachteilige Schlüsse gezogen werden dürften. Denn die Verteidigererklärung habe sich zu wesentlichen Aspekten des Tatgeschehens, zu denen eine Darlegung naheliegend gewesen sei, nicht verhalten. Sie habe keine Angaben zum Gegenstand des Streits zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer sowie zum Grund ihrer abendlichen Verabredung enthalten. Dies deute darauf hin, dass das Tatvorgeschehen gegen eine Notwehrsituation spreche, denn ansonsten hätte der Angeklagte zu diesem erwartbar Angaben gemacht. Ferner habe die Verteidigererklärung nicht Stellung dazu bezogen, inwieweit die beiden weiteren Personen, bei denen es sich ausweislich einer sichergestellten WhatsApp-Kommunikation um unmittelbare Tatzeugen gehandelt habe, in das Geschehen involviert gewesen seien. Da diese ihrerseits eine Anwesenheit bei der Tat wahrheitswidrig bestritten hätten, deute dies auf eine Absprache zwischen dem Angeklagten und diesen Personen hin, die Zeugen sollten zum Tatgeschehen schweigen. Das wiederum gebe Anlass zu der Annahme, der Angeklagte habe sich nicht in einer Notwehrsituation befunden. Denn hätte die geltend gemachte Notwehrsituation vorgelegen, hätten die beiden weiteren Personen naheliegend zu dieser bekundet. Das Schweigen der Verteidigererklärung zu wesentlichen Teilen des Tatgeschehens spreche mithin gegen ihre Richtigkeit.
c) Gegen diese Würdigung der Einlassung ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
aa) Bei einer Einlassung mittels Verteidigererklärung ohne Möglichkeit kritischer Nachfragen ist das Tatgericht nicht nur befugt, sondern sogar gehalten, im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu berücksichtigen, dass dieser von vornherein nur ein erheblich verminderter Beweiswert zukommt, weil es sich um ein – in der Regel im Vorfeld der Angaben schriftlich ausgearbeitetes – situativ nicht hinterfragbares Verteidigungsvorbringen handelt. Solche Einlassungen sind nur sehr eingeschränkt einer Glaubhaftigkeitsprüfung zugänglich. Anders als bei einer mündlich abgegebenen Sachäußerung kann aus ihnen kein unmittelbarer Eindruck des Aussageverhaltens gewonnen werden. Der Beweiswert eines solchen Einlassungssurrogats bleibt substanziell hinter dem einer dem gesetzlichen Leitbild der Einlassung entsprechenden, nicht nur persönlich und mündlich, sondern auch in freier Rede und vollständig getätigten Äußerung zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 68/21, StV 2021, 477 Rn. 8; Urteile vom 5. November 2020 – 4 StR 381/20, NStZ 2021, 574 Rn. 11; vom 11. März 2020 – 2 StR 69/19, NStZ 2021, 180 Rn. 23; Beschlüsse vom 21. Oktober 2014 – 5 StR 296/14, BGHSt 60, 50 Rn. 9; vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78 Rn. 17; vom 30. Oktober 2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476, 477; Urteil vom 24. April 2003 – 3 StR 181/02, NJW 2003, 2692, 2693; MüKoStPO/Miebach, § 261 Rn. 200; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn. 91; Miebach, NStZ 2019, 318, 322).
bb) Das teilweise Schweigen eines Angeklagten darf als Beweisanzeichen zu seinem Nachteil verwertet werden. Denn ein Angeklagter, der durch eine Einlassung zur Sache an der Aufklärung des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs mitwirkt, jedoch bei seinem Vorbringen einzelne Tat- oder Begleitumstände eines einheitlichen Geschehens verschweigt beziehungsweise auf einzelne Nachfragen und Vorhalte keine oder lückenhafte Antworten gibt, unterstellt aus freiem Entschluss seine Einlassung insgesamt einer Würdigung durch das erkennende Gericht. Allerdings dürfen aus einem Teilschweigen im Rahmen einer Einlassung zu einem bestimmten, einheitlichen Geschehen nur dann nachteilige Schlüsse für den Angeklagten gezogen werden, wenn nach den Umständen Angaben zu dem verschwiegenen Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht ersichtlich lediglich fragmentarischer Natur sind, es sei denn, der Angeklagte hat zu dem betreffenden Teilaspekt auch auf konkrete Nachfrage hin keine Antwort gegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. April 2015 – 2 StR 48/15, NStZ 2015, 601; vom 16. Dezember 2010 – 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118; Urteile vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148; vom 18. April 2002 – 3 StR 370/01, NJW 2002, 2260; vom 26. Oktober 1983 – 3 StR 251/83, BGHSt 32, 140, 145; vom 3. Dezember 1965 – 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298, 300; MüKoStPO/Miebach, § 261 Rn. 194 f.; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 163; Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl., § 261 Rn. 17 mwN; kritisch Schneider, NStZ 2017, 73, 75 ff.).
Diese Grundsätze zur Zulässigkeit der Würdigung eines Teilschweigens des Angeklagten zu seinem Nachteil gelten auch dann, wenn sich der Angeklagte in Form einer Verteidigererklärung zur Sache einlässt, die er sich zu eigen macht, und er Nachfragen entweder generell nicht zulässt oder nicht vollumfänglich beantwortet (KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 163).
Denn es macht insofern keinen Unterschied, ob der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung selbst mündlich zur Sache einlässt und dabei auf einzelne Punkte des Tatgeschehens nicht eingeht oder er sich der Hilfe seines Verteidigers bedient und diesen für sich unter Auslassung einzelner Teilaspekte zur Sache vortragen lässt. In beiden Fällen macht der Angeklagte in gleicher Weise seine Einlassung zum Gegenstand der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und muss daher eine umfassende Würdigung seines Vorbringens durch das Tatgericht hinnehmen. Dies gilt auch deshalb, weil der Angeklagte frei ist in seiner Entscheidung, sich Vorbringen seines Verteidigers als seine Einlassung zu eigen zu machen und Nachfragen nicht oder nicht vollständig zu beantworten.
Hieran gemessen hat die Strafkammer die ersichtliche Unvollständigkeit der Verteidigererklärung als Indiz dahin werten dürfen, dass die behauptete Notwehrlage tatsächlich nicht bestand und der Angeklagte mit Verletzungsabsicht zustach. Die Strafkammer hat nachvollziehbar dargetan, dass und warum bei einer wahrheitsgemäßen Einlassung Angaben auch zu den von ihr vermissten Teilaspekten zu erwarten gewesen wären. Das Landgericht hat zudem geprüft, ob es andere Ursachen für die Lückenhaftigkeit der Einlassung gegeben haben könnte, dies allerdings tragfähig ausgeschlossen.“