Ich erinnere: Im September 2021 haben der Bundestag und der Bundesrat das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) beschlossen (vgl. hier: Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen kommt, oder: Ist das “materielle Gerechtigkeit”?.
Ich hatte damals darüber berichtet und u.a. dazu ausgeführt:
„Damit wird das “Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit” seinen Weg (leider) gehen; ich glaube nicht, dass der Bundespräsident es so kurz vor der BT-Wahl stoppen wird. Das wird dann wahrscheinlich erst Karlsruhe tun.“
Inzwischen sind gut drei Monate vergangen und passiert ist nichts. Die Änderungen sind also bisher nicht im BGBl veröffentlicht worden. Das war mir bisher durchgegangen. Aufgefallen ist es mir erst, als ich in der vergangenen Woche einen Übersichtsaufsatz zur Wiederaufnahme für die ZAP vorbereitet habe. Da habe ich bemekrt, dass es in § 362 StPo eben noch nicht die beschlossenen Änderungen gibt.
Woran liegt das? Nun man kann dazu nur spekulieren. Es scheint aber wohl so zu sein, dass der Bundespräsident dann doch größere Bedenken hat, die Gesetzesänderungen auszufertigen. Das mutmaßt auch LTO (vgl. hier: Umstrittene StPO-Reform Verweigert der Bundespräsident die Ausfertigung?). Und LTO stellt folgende Frage:
„Bekommt die neue Bundesregierung rechtliches Gehör?
Wie geht es nun weiter? Bei fortdauernden verfassungsrechtlichen Zweifeln kann der Bundespräsident auch auf die Bundesregierung zugehen und um eine verfassungsrechtliche Stellungnahme bitten. Verfassungsrechtlich ist diese Einschaltung der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsorgantreue und unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs geboten. In der Vergangenheit haben die Bundespräsidenten bei komplizierten und verfassungspolitisch wichtigen Fragen außerdem verfassungsrechtliche Gutachten eingeholt. Ob derartige Schritte bereits unternommen wurden, wollte das Präsidialamt weder bestätigen noch dementieren.“
Von einem solchen Verfahren habe ich noch nicht gehört, es scheint es aber in der Vergangenheit schon gegeben zu haben. Ich bin gespannt, wie „man“ sich aus der Affäre zieht. Denn in der Welt sind die Änderungsbeschlüsse ja nun mal. Kann man das dann einfach so auf Eis legen oder muss man die Änderungsbeschlüsse noch einmal ändern oder gar aufheben? Interessante Frage. Vielleicht etwas für das mündliche Examen? 😀