Pflichti II: Keine Beiordnung des Wahlanwalts, oder: Wenn die Entbindung des Pflichtis erschlichen wurde

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Im zweiten Pflichtverteidigungsposting heute – dem vorletzten in 2021 🙂 – dann eine  obergerichtliche Entscheidung zu Entbindungsfragen bzw. in Zusammenhnag damit. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 28.10.2021 – 3 Ws 276/21 – zur Frage der Beiordnung des Wahlverteidigers, der zuvor die Entbindung des Pflichtverteidigers „erreicht“, das KG spricht von „erschlichen“, hat.

„3. Die damit zulässig erhobene sofortige Beschwerde ist aber unbegründet. Der Vorsitzende der großen Strafkammer hat den Beiordnungsantrag der Rechtsanwältin verfahrensfehlerfrei abgelehnt.

Zwar liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung bereits nach § 140 Abs. 1 StPO vor. Die Bestellung der Wahlverteidigerin zur Pflichtverteidigerin kommt aber nicht in Be-tracht, weil diese zuvor einen Kollegen aus seiner Stellung als Pflichtverteidiger ver-drängt hat und eine der in § 143a Abs. 2 StPO kodifizierten (Ausnahme-) Fallkonstel-lationen weder geltend gemacht wird noch ersichtlich ist (vgl. OLG Bamberg, Be-schluss vom 8. April 2021 – 1 Ws 195/21 – [juris]). Bereits vor Inkrafttreten des Ge-setzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung am 13. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) war anerkannt, dass ein Rechtsanwalt seine Bestellung als Pflichtverteidiger nicht dadurch erreichen kann, dass er zunächst durch die Über-nahme eines Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers be-wirkt und hiernach auf seine eigene Anordnung als Pflichtverteidiger anträgt (vgl. BGH StraFo 2008, 505; KG NStZ 2017, 64; OLG Köln, Beschlüsse vom 24. Sep-tember 2012 – III-2 Ws 678/12 – und vom 7. Oktober 2005 – 2 Ws 469/05 –). Ande-renfalls, so wurde argumentiert, könnten die Grundsätze über die Rücknahme einer Pflichtverteidigerbestellung und deren Grenzen allzu leicht unterlaufen werden (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 24. September 2012, a.a.O.).

Die Gesetzesnovelle gibt zu einer anderen Bewertung dieser gefestigten Rechtspre-chung keinen Anlass. § 143a Abs.1 Satz 2 StPO bekräftigt und kodifiziert diese Rechtsprechung vielmehr. Hiernach ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht aufzuheben, „wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat dem-nächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird“. Die von Rechtsanwältin Y. beabsichtigte Übernahme der Pflichtverteidigung ist damit von Gesetzes wegen ausdrücklich unerwünscht.

Der dem Senat vorliegende Sachverhalt gibt auch keinen Anlass, die Ausnahmevor-schrift des § 143a Abs. 2 Nr. 3 Var. 1 StPO anzuwenden. Hiernach gilt etwas ande-res, wenn „das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem end-gültig zerstört ist“. Der Beschwerdeführer macht über seine Verteidigerin lediglich geltend, die „Entpflichtung“ sei auf „eigenen Wunsch“ erfolgt. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, an welche mit guten Gründen hohe Anforderungen zu stel-len sind (vgl. grundlegend BGHSt 39, 310), wird hingegen nicht behauptet und erst recht nicht, was erforderlich wäre, substantiiert und überzeugend dargelegt. Sie ist auch nicht anderweitig ersichtlich.

Eine verbreitete Ansicht in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass dar-über hinaus auch ein „konsensualer Verteidigerwechsel“ möglich bleibt, wenn der Beschuldigte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfah-rensverzögerung eintritt und auch keine Mehrkosten entstehen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 – 2 StR 81/21 – [juris]; OLG Bremen NStZ 2014, 358; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Köln StraFo 2008, 348 und StV 2011, 659; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; OLG Jena JurBüro 2006, 366; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 143 Rn. 5a). Zwar hat Rechtsanwalt Z. ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls um seine Entpflichtung gebeten, was ein solches Einverständnis na-helegen könnte. Jedoch spricht alles dafür, dass diese Erklärung vor dem Hintergrund des § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO abgegeben worden ist. Denn für den Rechtsanwalt stellte sich die Situation im Zeitpunkt seines Entpflichtungsantrags so dar, dass sich eine Wahlverteidigerin gemeldet hatte, was nach dieser Vorschrift und da-mit von Gesetzes wegen zu seiner Entpflichtung führen musste. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Pflichtverteidiger diese Erklärung nicht abgegeben hätte, wenn er um den seiner Entpflichtung gesetzlich gerade entgegenstehenden (§ 143a Abs. 1 Satz 2 StPO) Vorbehalt der Rechtsanwältin gewusst hätte, die Verteidigung nur als Pflichtverteidigerin zu führen.

Lediglich informatorisch teilt der Senat noch mit: Im Falle der Beendigung des Mandats des Wahlverteidigers kommt es grundsätzlich nicht in Betracht, ihn als Pflicht-verteidiger beizuordnen. Vielmehr wird regelmäßig der frühere Pflichtverteidiger wieder zu bestellen sein (vgl. BGH StraFo 2008, 505; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. April 2021 – 1 Ws 195/21 – [juris]).“

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