Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 06.08.2021 – 201 StRR 66/21 – zum Begriff der „derselben Rechtssache“ i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB.
Das LG hat den Angeklagten frei gesprochen und hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
„1. Die Ehefrau des Zeugen Z ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Gemeinde B, die der Verwaltungsgemeinschaft N (künftig: VG) angehört. Zwischen ihrem Grundstück und dem benachbarten Grundstück des T verläuft ein ca. 80 cm breiter Fußweg (Pfad), der als öffentlicher Weg in das Bestandsverzeichnis für öffentliche Straßen der Gemeinde eingetragen war. Im Jahr 2015 hatte die Gemeinde das Grundstück, auf dem der Pfad verläuft, an T veräußert, ohne die Eheleute Z hiervon in Kenntnis zu setzen. Dabei war seitens der Gemeinde übersehen worden, den noch als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeten Pfad einzuziehen.
Am 28.08.2017 richtete der Zeuge Z an den als Rechtsanwalt tätigen Angeklagten per E-Mail eine Anfrage in Bezug auf den genannten Weg. Er machte darin deutlich, dass er den Pfad weiterhin nutzen möchte und fragte an, ob es ein Gewohnheitsrecht oder eine sonstige Rechtsgrundlage gäbe, auf die er sich berufen könne. Er wies darauf hin, dass ihm an einem guten Verhältnis zum Nachbarn gelegen sei und der Angeklagte daher mit diesem keinen Kon-takt aufnehmen solle.
Der Angeklagte antwortete dem Zeugen Z mit E-Mail vom 30.08.2017 und forderte ihn auf, zunächst bei der VG nachzufragen, ob das Wegegrundstück vor dem Verkauf als öffentliche Wegfläche im Straßenverzeichnis eingetragen war bzw. noch eingetragen ist, und ließ eine anwaltliche Handakte „Z gegen T wegen Wegerecht, Mandant: Z, Gegner: T“ anlegen. Der Zeuge Z erfuhr bei seiner Nachfrage bei der VG, dass der Pfad noch als öffentliche Wegfläche im Straßenbestandsverzeichnis eingetragen und dies beim Verkauf des Grundstücks an den Nachbarn offensichtlich übersehen worden ist. Dieser Fehler müsse nach Auskunft der VG korrigiert und die Entwidmung des Pfades in die Wege geleitet werden. Dies teilte der Zeuge Z dem Angeklagten mit E-Mail vom 01.09.2017 mit und machte deutlich, dass gegen die beabsichtigte Entwidmung „Einspruch“ eingelegt werden müsse; sein Nachbar plane, auf dem Weggrundstück einen Fahnenmast zu errichten. Der Angeklagte antwortete mit E-Mail vom 04.09.2017 dahingehend, dass die VG veranlasst werden könne, Baumaßnahmen auf dem Pfad zu verhindern, solange dieser noch öffentlich gewidmet ist.
Der Zeuge Z hatte mit weiterer E-Mail vom 03.09.2017 dem Angeklagten den Entwurf eines Schreibens an den damaligen Geschäftsstellenleiter der VG beigefügt, in welchem er auf die Bedeutung der Nutzung des Pfades für die Eheleute Z hinwies und aufzeigte, welche Möglichkeiten für ihn in Betracht kämen, um den Pfad weiter nutzen zu können. Dabei sprach er auch an, dass im Fall einer Entwidmung die Eheleute Z eine Klage gegen die Gemeinde beabsichtigen. Nachdem der Zeuge Z auf seine E-Mail vom 03.09.2017 entgegen seiner Erwartung keine Antwort erhalten hatte, rief er den Angeklagten zwischen dem 04.09.2017 und dem 08.09.2017 in der Kanzlei an. Der Angeklagte, der sich zu diesem Zeitpunkt möglicherweise in einem Mandantengespräch befand und an einem raschen Ende des Gesprächs mit dem Zeugen Z interessiert war, gab die Auskunft, dass der Zeuge Z allenfalls gegen den Nachbarn vor-gehen könne und nicht gegen die Gemeinde, gegen die er keine Chancen habe.
Nachdem der Angeklagte bis zum 16.11.2017 (Wiedervorlagetermin) nichts mehr von dem Zeugen Z gehört hatte, fragte er bei diesem an, ob sich die Angelegenheit für ihn erledigt habe, was dieser mit E-Mail vom selben Tag bejahte. Mit Schreiben vom 17.11.2017 übersandte der Angeklagte daraufhin eine Rechnung in Höhe der Erstberatungsgebühr.
Der Gemeinderat von B fasste in der Sitzung vom 17.11.2017 – was dem Angeklagten bis dahin nicht bekannt war – den Beschluss, den genannten Pfad als öffentlichen Weg einzuziehen. Dies wurde im Amtsblatt der Gemeinde vom 02.03.2018 bekannt gemacht. Mit Schriftsatz ihrer anwaltlichen Vertreter vom 28.03.2018 erhob die Ehefrau des Zeugen Z Klage zum Verwaltungsgericht gegen die VG mit dem Antrag, die Einziehung des Weges aufzuheben. Mit E-Mail vom 25.07.2018 bat die nunmehrige Geschäftsstellenleiterin der VG den Angeklagten darum, die Gemeinde B in der genannten Verwaltungsstreitsache anwaltlich zu vertreten. Der Ange-klagte machte nach Durchsicht der Handakte in Sachen „Z gegen T“ mit E-Mail vom 26.07.2018 darauf aufmerksam, dass er den Ehemann der Klägerin beraten und darauf hin-gewiesen habe, dass die verkaufte Wegfläche noch öffentlich gewidmet sei und “wir für die Verwaltungsgemeinschaft tätig sind und keine Möglichkeit sehen, gegen eine Entwidmung des Weges vorzugehen“; der Zeuge Z habe das Mandat mit E-Mail vom 16.11.2017 beendet. Er sei zur Vertretung der Gemeinde bereit, es solle aber zunächst beim zuständigen Bürgermeister nachgefragt werden, ob dieser aufgrund der Vorberatung für Herrn Z eine Befangenheit bzw. Interessenkollision sehe. Nachdem dies seitens der Geschäftsstellenleiterin verneint worden war, hat der Angeklagte mit E-Mail vom 03.08.2018 die Übernahme des Mandats bestätigt.
Mit Schriftsatz vom 27.08.2018 wiesen die gegnerischen Anwälte den Angeklagten darauf hin, dass er bereits einmal für ihre Mandantschaft tätig gewesen sei und baten um Überprüfung. Mit Schreiben vom 27.08.2018 antwortete der Angeklagte u.a., dass sich die vorgerichtliche Beratung auf den Hinweis beschränkt habe, dass der Weg erst noch entwidmet werden müsse und dass dagegen dann vorgegangen werden könne. An dieser Stelle sei sodann die Beratung einvernehmlich beendet worden.
Nachdem der Angeklagte die VG zunächst in der Verwaltungsstreitsache gegen Frau Z wegen Einziehung eines Weges vor dem Verwaltungsgericht vertreten hatte, zeigte er am 27.02.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht die Niederlegung seines Mandates an.“
Das BayObLG sieht das anders und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Hier die Leitsätze der Entscheidung:
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Ob das Tätigwerden eines Rechtsanwalts „dieselbe Rechtssache“ i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB betrifft, hängt entscheidend vom sachlich-rechtlichen Inhalt der anvertrauten Angelegenheit ab. Dieselbe Rechtssache ist daher auch gegeben, wenn in Verfahren verschiedener Art und ver-schiedener Zielrichtung ein und derselbe Sachverhalt maßgeblicher Verfahrensgegenstand ist. Zwar hängt es vom Willen des Rechtsanwalts ab, wie weit er ein Mandat übernehmen will, nicht aber, wie weit sich der Streitstoff erstreckt. Denn die rechtlichen Beziehungen eines Lebenssachverhaltes bestehen unabhängig vom Parteiwillen.
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Für die Pflichtwidrigkeit i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB kommt es auf die Identität des Verfahrens-stoffes und die Gegensätzlichkeit der sich aus diesem Verfahrensstoff ergebenden Interessen zu dem Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsanwalt von der weiteren Partei beauftragt wird; uner-heblich ist, ob eine solche Entwicklung vorauszusehen war, solange das frühere Auftragsver-hältnis Bestand hatte. Die rechtliche Gebundenheit des Rechtsanwalts an seinen Auftraggeber dauert über die Beendigung des Auftrags hinaus fort.
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Vorsatz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „in derselben Sache“ erfordert, dass sich der Täter der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses bewusst ist und in dem neuen Auftrag den alten Streitstoff wiedererkennt. Kennt er die Umstände nicht, aus denen sich der Begriff derselben Rechtssache ergibt, fehlt es am Vorsatz. Verkennt der Täter dagegen trotz Kenntnis der Sachlage die rechtliche Tragweite der Norm und irrt er über den gesetzlichen Begriff „derselben Rechtssache“, so unterliegt er einem Verbotsirrtum