Bei Pflichtverteidigungsfragen darf natürlich nicht das Posting zur Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers fehlen. Die Rechtsprechung dazu ist derzeit immer noch nicht einheitlich, aber: Man kann zumindest sagen, dass sich zwei etwa gleich starke Lager gegenüberstehen. Und: Die LG machen es nicht unbedingt immer so, wie die „übergeordneten“ OLG, so z.B. in Hamburg oder Bremen. Bei einem Rechtsmittel gegen eine AG-Entscheidung besteht also ggf. eine Chance auf rückwirkende Beiordnung, auch wenn es das zuständige OLG anders sieht.
Ich kann dann heute hier vorstellen:
Aus der Lager, das die rückwirkende Bestellung für möglich hält:
- LG Erfurt, Beschl. v. 16.06.2021 – 7 Qs 120/21: Die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, wonach die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen vorgenommen werden sollen, bezieht sich nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung nicht auf den Fall der Antragstellung durch den Beschuldigten nach Abs. 1, sondern nur auf den Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach Abs. 2 Satz 1. Nr. 2 und 3.
- LG Magdeburg, Beschl. v. 10.06.2021 – 23 Qs 39/21: Eine rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gern. § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.
Und aus dem Lager, dass eine rückwirkende Bestellung ablehnt bzw. nicht bestellt:
- LG Potsdam, Beschl. v. 10.6.2021 – 21 Qs 28/21, das sich zu den Voraussetzungen einer (rückwirkenden) Pflichtverteidigerbestellung äußert und zu den Voraussetzungen für eine Bestellung nach § 140 Abs. 2 StPO, wobei für mich die Entscheidung des LG nicht nachvollziehbar ist.
- LG Stendal, Beschl. v. 08.07.2021 -501 Qs 50/21: An einer nachträglichen, rückwirkenden Bestellung eines Verteidigers besteht auch nach der aktuellen Rechtslage, mithin nach Änderung der §§ 140 ff StPO, kein schutzwürdiges Interesse und zwar auch dann nicht, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der vormals Beschuldigte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, rechtzeitig seine Bestellung nach § 141 Absatz 1 StPO beantragt hat.