Mord II: Wenn das Opfer ggf. die Gefahr erkannt hat, oder: Mordmerkmal der Heimtücke

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In der zweiten „Mord-Entscheidung“, dem BGH, Beschl. v. 21.01.2021 – 4 StR 337/20 – nimmt der BGH zum Mordmerkmal der Heimtücke Stellung. Das LG hatte den Angeklagten nur wegen Totschlags seiner Ehefrau verurteilt. Dagegen die Revision der StA mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten Heimtückemordes. Die Revision hatte Erfolg:

„Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer das Mordmerkmal der Heimtücke mit nicht tragfähigen Erwägungen verneint hat.

1. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 41; vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382 , 383 f.; Beschluss vom 2. Dezember 1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139 , 143). Arglos ist ein Opfer, das sich keines erheblichen Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. März 2020 – 4 StR 134/19, NStZ 2020, 609 Rn. 13 mwN; Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ 2018, 97 , 98; Beschlüsse vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29 , 30; vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8; Urteile vom 21. Januar 1970 – 3 StR 182/69, GA 1971, 113 ; vom 21. Dezember 1951 – 1 StR 675/51, BGHSt 2, 60 , 61).

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. So ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat das heimtückische Vorgehen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB auch gerade in den Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Für die Erfüllung des Heimtückemerkmals ausreichend ist, dass der mit Tötungsvorsatz handelnde Täter das Tatopfer im Vorbereitungsstadium der Tat unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeiten bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. Ob das Opfer zu Beginn des Tötungsangriffs noch arglos war, ist in diesen Sachverhaltskonstellationen ohne jede Bedeutung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 – 5 StR 124/20 Rn. 10 f.; Beschlüsse vom 26. März 2020 – 4 StR 134/19, aaO; vom 31. Juli 2018 – 5 StR 296/18, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 42; vom 6. November 2014 – 4 StR 416/14, NStZ 2015, 31 ; Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450 ; Beschluss vom 6. Mai 2008 – 5 StR 92/08, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 36; Urteile vom 1. Juni 1988 – 2 StR 168/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 6; vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382 , 386 f.; vom 17. Januar 1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77 ).

Für das in subjektiver Hinsicht für einen Heimtückemord erforderliche Ausnutzungsbewusstsein genügt es schließlich, dass der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatausführung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 – 4 StR 482/19, NStZ 2020, 602 Rn. 53; vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17, aaO).

2. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe halten die Erwägungen der Strafkammer zur Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Soweit das Landgericht die Arglosigkeit des Tatopfers verneint hat, weil L. B. nach den getroffenen Feststellungen möglicherweise bereits vor dem ersten mit Tötungsabsicht abgegebenen Schuss mit einem gewalttätigen Vorgehen des Angeklagten gegen sie rechnete, liegt den Ausführungen ein zu enges Verständnis des Mordmerkmals der Heimtücke zugrunde. Die Strafkammer hat bei ihren Überlegungen vielmehr übersehen, dass die für eine heimtückische Tötung erforderliche Arglosigkeit des Opfers in Fällen, in denen der mit Tötungsvorsatz handelnde Täter das ahnungslose Opfer planmäßig in eine bis zur Tatbegehung fortbestehende Lage zumindest stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeiten gebracht hat, nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass das Opfer die ihm drohende Gefahr noch vor Beginn des eigentlichen Tötungsangriffs erkennt. Die Strafkammer hätte sich daher näher mit der Frage befassen müssen, ob der bereits am 4. März 2019 bedingt gefasste Tatplan des Angeklagten darauf abzielte, seine ihn ahnungslos in seiner Wohnung aufsuchende Ehefrau im Falle des Scheiterns seiner Umstimmungsversuche noch in der Wohnung unter Ausnutzung ihrer wehrlosen Lage mit den bereitgelegen Schusswaffen zu töten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2008 – 5 StR 92/08, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 36). Ein solcher Tatplan liegt angesichts der getroffenen Feststellungen, wonach der bedingt zur Tötung entschlossene Angeklagte die geladenen Schusswaffen in der Erwartung, dass seine Ehefrau ihn in Bälde wieder besuchen werde, in der Flurkommode verwahrte, um sie bei Bedarf zur Hand zu haben und gegen seine Frau richten zu können, jedenfalls nicht fern. Für den Tattag hat das Landgericht zudem festgestellt, dass der Angeklagte vor dem abgesprochenen Besuch seiner Ehefrau mit der entscheidenden Konfrontation bei dieser Begegnung rechnete, er an seinem zuvor bedingt gefassten Tatentschluss festhielt und für dessen Ausführung die Waffen in greifbarer Nähe wusste. Dass sich die Strafkammer nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte das entscheidende Gespräch gezielt im Wohnzimmer der Wohnung herbeiführte, macht die Erörterung eines auf die Tötung innerhalb der Wohnung abzielenden Tatplans nicht entbehrlich.

b) Die Ausführungen des Landgerichts zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten leiden an demselben Erörterungsmangel. Auch bei der Prüfung, ob der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzte, hätte die Strafkammer in ihre Überlegungen mit einbeziehen müssen, ob der Tatplan des Angeklagten gerade dahin ging, seine ihn ahnungslos aufsuchende Ehefrau unter Ausnutzung ihrer wehrlosen Situation in der Wohnung mit den bereitgelegten schussbereiten Pistolen zu töten.

c) Schließlich begegnet die Begründung, mit der das Landgericht eine Wehrlosigkeit des Tatopfers verneint hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die tatsächliche Annahme der Strafkammer, das Tatopfer habe bei dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten im Bereich der Wohnzimmertür vor dem ersten mit Tötungsabsicht abgegebenen Schuss noch die Möglichkeit gehabt, den Angeklagten durch eine kurze Bemerkung umzustimmen, beruht auf einer Beweiswürdigung, die sich unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18 , 20 ff. mwN; Franke in Löwe/ Rosenberg, StPO , 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) als nicht tragfähig erweist. Einen der revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegenden Rechtsfehler weist eine Beweiswürdigung unter anderem dann auf, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt, indem er mit Blick auf den Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten von Annahmen ausgeht, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 26. April 2018 – 4 StR 364/17 Rn. 8; vom 21. November 2017 – 1 StR 261/17 Rn. 20; vom 29. September 2016 – 4 StR 320/16, NStZ-RR 2016, 380 , 381; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 ). So liegt der Fall hier. Dafür, dass zwischen dem Zusammentreffen im Bereich der Wohnzimmertür und dem ersten mit Tötungsabsicht abgefeuerten Schuss eine zeitliche Zäsur lag, die es dem Tatopfer ermöglicht hätte, erfolgversprechend verbal auf den Angeklagten einzuwirken, um ihn von seinem Tötungsvorhaben abzubringen, bietet das in dem angefochtenen Urteil mitgeteilte Beweisergebnis keinerlei tatsächliche Grundlage. Insbesondere gibt die vom Landgericht als glaubhaft gewertete Schilderung des Angeklagten in seiner noch in der Tatnacht durchgeführten polizeilichen Vernehmung, wonach er mit den aus dem Sideboard im Flur geholten Pistolen in das Wohnzimmer zurückgekehrt sei und seiner ihm entgegenkommenden Ehefrau die Kleinkaliberpistole vor ihren Kopf auf die Stirn gehalten und zweimal abgedrückt habe, für eine solche zeitliche Unterbrechung des Handlungsablaufs keinen Anhalt.“

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