Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich dann das OLG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2020 – 1 Ss 166/20 – vor.
Entschieden hat das OLG über folgenden Sachverhalt:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es im Zusammenhang mit einem Fußballländerspiel zwischen der niederländischen und der deutschen Nationalmannschaft am TT.MM 2018 in der Innenstadt von Amsterdam vor dem Café „(pp.)“, Straße1, zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Deutscher und einer Gruppe Niederländern, die aus Anlass des Fußballspiels nach Amsterdam gereist waren, wobei diese aufeinander einschlugen und eintraten und sich mit Stühlen aus dem Außenbereich des Cafés bewarfen. Der Angeklagte, der zunächst an einer Grachtenfahrt teilgenommen hatte, entschloss sich, an dieser Auseinandersetzung teilzunehmen. In der Folge wirkte er in der aus mindestens 25 Personen bestehenden deutschen Gruppe mit, indem er sich gewalttätig gerierte und in der Folgezeit insgesamt drei Caféstühle aus Metall mit Lehnen in Richtung der niederländischen Gruppe warf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, einen Niederländer zu treffen und zu verletzen. Ob durch den ersten geworfenen Stuhl jemand getroffen wurde, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Der zweite Stuhl ging bereits vor Erreichen der Niederländer zu Boden. Beim dritten Wurf war ein Niederländer gezwungen, eine Ausweichbewegung zu machen, um nicht von dem Stuhl getroffen zu werden.“
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist der Angeklagte wegen Landfriedensbruchs unter Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls (§ 125a Satz 1 StGB) verurteilt worden. Dagegen die Revision, die im Ergebnis keinen Erfolg hatte:
3. Auch die Strafzumessung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Prüfung stand.
a) Das Landgericht hat die Tat als unbenannten besonders schweren Fall im Sinne des § 125a Satz 1 StGB eingestuft. Zwar liege keines der Regelbeispiele vor. Indem aber der Angeklagte dreifach Gegenstände auf Personen geworfen habe, wobei es Zufall sei, dass keine erheblichen Verletzungen entstanden seien, sei die Tat den Regelbeispielen vergleichbar. Wenngleich die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen nicht bestanden habe, gehe das Verhalten deutlich über den bereits ohne die Stuhlwürfe erfüllten Grundtatbestand des § 125 StGB hinaus.
b) Diese Erwägungen sind – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 14. September 2020 zu Recht hinweist – nicht unbedenklich.
Die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles erfordert, dass die Tat im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut mit den benannten Regelbeispielen vergleichbar ist. Indem das Landgericht zwar auf eine mögliche erhebliche Verletzung abstellt, indessen ausdrücklich das Fehlen der Voraussetzungen des § 125a Satz 2 Nr. 3 StGB feststellt, liegt insoweit eine Vergleichbarkeit gerade nicht vor. Das wiederholte Werfen allein vermag die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles ebenfalls nicht zu begründen.
c) Indessen beruht die Strafzumessung nicht auf diesem Rechtsfehler.
Denn entgegen der Auffassung der Strafkammer ist durch das Werfen mit einem Metallstuhl das Regelbeispiel des § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB erfüllt. Anders als bis zur Änderung dieser Vorschrift durch das 44. Strafrechtsänderungsgesetz (m.W.v. 05.11.2011) erfordert dieses Regelbeispiel nicht mehr das Beisichführen einer anderen Waffe als einer Schusswaffe in Verwendungsabsicht, sondern lässt hierfür das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs ausreichen. In der aktuellen und auch zur Tatzeit gültigen Fassung das 52. Strafrechtsänderungsgesetz (m.W.v. 30.05.2017) bedarf es nicht einmal mehr der Verwendungsabsicht beim Beisichführen.
Ein Beisichführen liegt bereits dann vor, wenn sich der Täter des Gegenstandes ohne Schwierigkeiten bedienen kann, also etwa durch Ergreifen eines auf dem Boden liegenden Pflastersteines während der Tat (vgl. MüKo-Schäfer, StGB, 3. Aufl., § 125a Rz. 19). Die von dem Angeklagten geworfenen Metallstühle stellen auch gefährliche Werkzeuge im Sinne dieses Regelbeispiels dar. Hierunter fallen auch Gegenstände, die zwar nicht bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wohl aber nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dazu zählen nicht nur Flaschen, Steine etc., sondern etwa auch als Wurfgeschoss verwendete Plastikklappstühle (vgl. KG, Urteil v. 06.07.2010, 1 Ss 462/09, bei juris Rz. 20). Das Werfen von Caféstühlen aus Metall erfüllt daher, wovon bereits die unverändert zugelassene Anklage vom 29. Oktober 2019 zutreffend ausgegangen ist, erst Recht das Regelbeispiel. Die Kommentierung bei Fischer (StGB, 67. Aufl., § 125a Rz. 4) steht dem nicht entgegen. Diese bezieht sich, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, allein auf die Frage, ob mitgeführte Alltagsgegenstände auch ohne Verwendungsabsicht schon geeignet sind, das Regelbeispiel zu erfüllen. Hierauf kommt es aber angesichts der durch die Würfe dokumentierten tatsächlich vorliegenden Absicht, die Gegenstände als Werkzeug gegen Personen einzusetzen (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 26.03.2019, 4 StR 381/18, bei juris Rz. 21; LK-Krauß, StGB, 12. Aufl., § 125a Rz. 17), nicht an.
Eine über diese Gebrauchsabsicht hinausgehende Verletzungsabsicht ist hingegen nicht erforderlich. Soweit das Kammergericht in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2010 (a.a.O., Rz. 22) dahingehende Feststellungen für erforderlich gehalten hat, um zur Bejahung eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs zu gelangen, ist dieses der damaligen, andere gefährliche Werkzeuge nicht umfassenden Ausgestaltung des Regelbeispiels in § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB geschuldet. Angesichts des damaligen Wortlauts der Vorschrift wäre es mit dem Analogieverbot nicht vereinbar gewesen, durch die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles im Sinne von § 125a Satz 1 StGB das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsabsicht ohne Weiteres dem das Regelbeispiel des § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB erfüllenden Beisichführen einer Waffe in Verwendungsabsicht gleichzustellen. Der deswegen durch das Kammergericht aufgestellten weitergehenden Anforderungen an die subjektive Tatseite bedarf es aber nach der Erweiterung des Regelbeispiels auf andere gefährliche Werkzeuge nicht mehr.
Angesichts der Ausführungen des Landgerichts schließt der Senat aus, dass dieses bei Annahme eines benannten statt eines unbenannten Regelbeispiels gleichwohl zu Gunsten des Angeklagten von der Anwendung des für besonders schwere Fälle vorgegebenen Strafrahmens abgewichen wäre. Die Festsetzung der danach zulässigen Mindeststrafe beschwert den Angeklagten nicht. Gleiches gilt auch für Strafaussetzung zur Bewährung.“