Auf geht es in die 44. KW. Schauen wir, was Sie Gutes bringt.
Hier starte ich zum Warmwerden mit zwei „kleinen“ Entscheidungen des BGH zur Hauptverhandlung. Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 2 StR 202/20.
Das LG hatte den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; gehandelt hat es sich wohl um dieses Verfahren. Die Revision des Angeklagten hat dann beim BGH Erfolg.
„1. Die Revision rügt eine Verletzung von § 252 StPO. Dem liegt zu Grunde, dass das Landgericht am ersten Hauptverhandlungstag die Mutter des Angeklagten als Zeugin vernommen hat. Sie wurde gemäß § 52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerte sodann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage. „Auf Befragen“ erklärte sie sich damit einverstanden, dass ihre Angaben aus dem Ermittlungsverfahren verwertet und die Polizeibeamten hierzu befragt werden dürfen. Hierauf gestützt hat die Strafkammer die Angaben der Zeugin sodann ausweislich der Urteilsgründe durch Vernehmung eines Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt.
2. Die zulässig erhobene (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Juni 2012 . 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 256 Rn. 6 f.; vom 17. Dezember 2019 . 2 StR 419/19, NStZ 2020, 432 Rn. 15) Verfahrensbeanstandung ist begründet.
a) § 252 StPO ist – über den Wortlaut hinaus – nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot aufzufassen, das auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt. Zwar kann ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist (sog. „qualifizierte Belehrung“; st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208; Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353; Beschluss vom 10. Februar 2015 . 1 StR 20/15, NStZ 2015, 232; Senat, Beschluss vom 13. Juni 2012, aaO). Indes ist durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls im vorliegenden Fall bewiesen, dass eine qualifizierte Belehrung der Mutter des Angeklagten nicht erfolgte. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, dass die Einverständniserklärung der Zeugin weder auf deren Initiative zurückging (hierzu vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 StR 349/06) noch „nach Belehrung“ erfolgte (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2019, aaO, Rn. 18 f.), sie sich vielmehr „auf Befragen“ erklärte. Damit lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen, dass die Zeugin hinreichend belehrt worden oder ihr die Tragweite ihrer Erklärung bewusst war. Da die Belehrung eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstellt (§ 273 Abs. 1 StPO), beweist das Schweigen des Protokolls, dass sie nicht stattgefunden hat (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2012, aaO, Rn. 8).
b) Dies muss zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen führen. Der Senat kann letztlich nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht. Zwar begründet die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ganz wesentlich – und insoweit rechtsfehlerfrei – mit den erhobenen rechtsmedizinischen Befunden und den Angaben des Angeklagten gegenüber polizeilichen Vernehmungsbeamten und dem Sachverständigen. Sie stützt sich aber auch darauf, dass seine Mutter sich nicht bereit erklärte, ihn bei seiner geplanten Flucht finanziell zu unterstützen, was sich allein aus deren Angaben gegenüber dem sie befragenden Polizeibeamten ergeben hat. Hierauf sowie auf die Angaben der Mutter zur Entwicklung des Angeklagten (dessen Gewaltausbrüche, dessen übersteigertes Ego etc.) haben die Urteilsgründe schließlich auch zur Bejahung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rekurriert sowie für die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt.“
So richtig „gefallen“ hat dem BGG hat das LG-Urteil aber auch im Übrigen wohl nicht. Das merkt man der „Segelanweisung“ an:
„3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat: Der neue Tatrichter hat Gelegenheit, umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen und sich gegebenenfalls zu den subjektiven Voraussetzungen bei der Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gründlicher als bislang geschehen zu verhalten (zu Sprache und Darstellung in Urteilsgründen vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff., 228 ff.). Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat – was das Landgericht nicht verkannt hat – aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2019 – 5 StR 222/19, Rn. 11 mwN; BeckOK-StGB/Eschelbach, 47. Ed., § 211 Rn. 34 mwN). Versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte zu einer zutreffenden Wertung in der Lage war, weil etwa die Fähigkeit dazu aufgrund eines – hier festgestellten – Persönlichkeitsmangels zusammen mit einem – ebenfalls festgestellten – langjährigen Alkohol- und Betäubungsmittelabusus beeinträchtigt gewesen sein könnte (vgl. Senat, Urteil vom 28. Januar 2004 – 2 StR 452/03, NJW 2004, 1466), bedarf es einer nicht nur floskelhaften Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch der Tat selbst und des Nachtatgeschehens (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2007 – 5 StR 548/06, NStZ 2007, 525; BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO). Hierbei kann freilich in den Blick genommen werden, dass die Schwelle für die Annahme, der Täter habe seine Antriebe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können, umso niedriger ist, je schwerwiegender die Tötungstat ist (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, NJW 2002, 382, 384 mwN).“
Für mich stellt sich die Frage: Warum übersieht das Schwurgericht (!!) in einem solchen Verfahren das Erfordernis einer „qualifizierten Belehrung“? Sollte doch zumindet einer der drei Berufsrichter kennen.