In der zweiten Entscheidung des Tages, dem KG, Beschl. v. 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) – nimmt das KG zur Strafbarkeit des sog. Stealthing Stellung.
Das AG Tiergarten hat den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:
„I. Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 36 Jahre alte Angeklagte (…) ist ledig und kinderlos. Er ist seit dem Jahr xx Bundespolizist, wird derzeit als xx bei der Bereitschaftspolizei der Bundespolizeiabteilung B. in A. eingesetzt und bezieht ein monatliches Einkommen in Höhe von ca. 2.500,00 Euro netto, wobei sein Krankenversicherungsbeitrag schon in Abzug gebracht ist. Er unterstützt seine Mutter durch monatliche Zahlungen in Höhe von 200,00 bis 300,00 Euro. Der Angeklagte ist vorbestraft: Mit Strafbefehl vom 08. Juni 2015, rechtskräftig seit dem 27. Juni 2015, verhängte das Amtsgericht Tiergarten, Az.: 298 Cs 110/15, gegen ihn wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort, Tattag: 21. Februar 2015, eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 65,00 Euro, zudem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für deren erneute Erteilung bis zum 07. Juni 2016 festgesetzt.
Im November 2017 nahmen der Angeklagte und die zum damaligen Zeitpunkt 20 Jahre alte Zeugin, Nebenklägerin und Adhäsionsklägerin M U über die Internetplattform ‚Lovoo‘, welche der Vermittlung zwischenmenschlicher Bekanntschaften dient und auf welcher der Angeklagte unter dem Pseudonym ‚F‘ auftrat, Kontakt zueinander auf. Der Angeklagte und die Nebenklägerin schrieben sich zunächst über die Internetplattform und sodann auch nach Austausch ihrer Telefonnummern über WhatsApp Nachrichten und verabredeten sich schließlich ca. eine Woche nach dem ersten Kontakt zu einem Treffen am 17. November 2017, um sich persönlich kennen zu lernen. Das Treffen sollte zunächst in einer Cocktailbar stattfinden, jedoch schlug der Angeklagte kurzfristig vor, dass die Nebenklägerin doch auch zu ihm in die Wohnung kommen könne. Da die Nebenklägerin als Polizeimeisteranwärterin im Land B. dem Angeklagten, der sich ihr gegenüber wahrheitswidrig als ‚A‘ vorstellte und angab, 27 Jahre alt zu sein, glaubte, dass er ebenfalls Polizist ist, willigte sie unter Zurückstellung gewisser Bedenken in den Vorschlag des Angeklagten ein und begab sich vereinbarungsgemäß am 17. November 2017 gegen 21.45 Uhr zu der von dem Angeklagten mitgeteilten Wohnanschrift in xx, wo der Angeklagte die Nebenklägerin nach telefonischer Ankündigung ihrer Ankunft an der Eingangstür zu dem Gebäude in Empfang nahm und sich mit ihr zusammen in seine Wohnung in der 4. Etage begab. Die beiden suchten das Wohnzimmer auf, wo sie auf einem Sofa Platz nahmen, unterhielten sich miteinander, wobei unter anderem ihre Ausbildung und sein Beruf Thema waren, und besprachen, ob man alkoholische Getränke besorgen solle, entschieden sich jedoch dagegen. Sie tranken Tee und sahen sich auf dem Laptop des Angeklagten über den Netflix-?Zugang der Nebenklägerin einen Horrorfilm an. Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren einander sympathisch und der Angeklagte fing schließlich nach eineinhalb bis zwei Stunden gegen Ende des Films an, die Nebenklägerin zu küssen, worauf die Nebenklägerin sich einließ. Der Angeklagte zog dann die Nebenklägerin und sich selbst aus und führte sein Geschlechtsteil an die Vagina der auf dem Sofa liegenden Nebenklägerin, woraufhin die Nebenklägerin ihm sagte, dass sie auf keinen Fall Geschlechtsverkehr ohne Kondom haben wolle. Da der Angeklagte dennoch sein Geschlechtsteil an ihrer Vagina rieb und bei der Nebenklägerin weiterhin den Eindruck erweckte, in sie eindringen zu wollen, wiederholte diese ihre Äußerung, woraufhin der Angeklagte erklärte, dass er nicht bescheuert sei und es nicht ohne Kondom machen würde, die Nebenklägerin solle sich entspannen. Der Angeklagte machte jedoch keine Anstalten ein Kondom zu holen, sondern führte sein Glied kurz darauf wieder an die Scheide der Nebenklägerin und übte dort Druck aus, um in sie einzudringen, woraufhin die Nebenklägerin ihn von sich wegdrückte und ihm sagte, er solle aufhören. Daraufhin holte der Angeklagte ein Kondom, das er einer Kommode entnahm. Die Nebenklägerin wollte nunmehr jedoch keinen Sex mehr haben und sagte dies dem Angeklagten, der daraufhin fragte, was denn jetzt los sei. Die Nebenklägerin erklärte ihm sinngemäß, dass die Situation für sie jetzt irgendwie blöd sei und sie sich nicht gut dabei fühle.
Der Angeklagte und die Nebenklägerin sahen sich sodann eine Dokumentation über das World Trade Center im Fernsehen an. Anschließend schaute die Nebenklägerin im Internet nach, wie sie nach Hause fahren könnte, doch es fuhren keine Züge mehr. Der Angeklagte bot der Nebenklägerin daraufhin an, dass sie bei ihm übernachten könne. Die Nebenklägerin war zwischenzeitlich zu der Auffassung gelangt, die Lage möglicherweise falsch eingeschätzt und überreagiert zu haben, weshalb sie das Angebot des Angeklagten annahm, sich mit ihm in das Schlafzimmer begab und ins Bett legte.
Der Angeklagte begann nun wieder damit, die Nebenklägerin zu küssen und zu berühren, die damit einverstanden war, da sie dem Angeklagten wieder hinreichend vertraute. Als der Angeklagte erneut versuchte, in die Nebenklägerin einzudringen, sagte die Nebenklägerin ein weiteres Mal zu ihm, dass sie das nicht ohne Kondom wolle, er solle eines holen. Der Angeklagte sagte daraufhin, dass er Angst habe, dass sie wieder rumzicke, wenn er jetzt eines hole. Die Nebenklägerin versicherte ihm jedoch, dass dies nicht der Fall sein werde, woraufhin der Angeklagte das Schlafzimmer verließ, kurz darauf mit einem Kondom zurückkehrte und sich dieses über sein erigiertes Glied streifte. Sodann vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin einvernehmlich den vaginalen Geschlechtsverkehr in der sogenannten Missionarsstellung. Nach etwa vier Minuten wechselten die beiden auf Wunsch des Angeklagten die Stellung und der Angeklagte drang nunmehr von hinten in die halb auf dem Bauch und halb seitlich liegende Nebenklägerin ein. Während der Angeklagte und die Nebenklägerin nun in dieser Stellung den vaginalen Geschlechtsverkehr fortsetzten, zog der Angeklagte wiederholt seinen Penis vollständig aus der Nebenklägerin und entfernte bei einer dieser Gelegenheiten von der Nebenklägerin unbemerkt das Kondom. Anschließend drang er erneut mit seinem Geschlechtsteil in die Nebenklägerin ein und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr im weiteren Verlauf nunmehr ungeschützt ohne Verwendung eines Kondoms, bis er in der Nebenklägerin zum Samenerguss gelangte. Dabei war dem Angeklagten aufgrund des dem Geschlechtsakt vorausgegangenen wiederholten eindringlichen und ernsthaften Insistierens der Nebenklägerin, nur mit Kondom geschlechtlich mit ihm verkehren zu wollen, bewusst, dass der von ihm herbeigeführte ungeschützte Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Kondoms und auch die Ejakulation in ihrer Vagina gegen den Willen der Nebenklägerin erfolgten.
Nachdem sich der Angeklagte aus der Nebenklägerin zurückgezogen und sich diese auf den Rücken gedreht hatte, bemerkte sie, dass ihre Vagina voller Sperma war. Der Angeklagte gab der Nebenklägerin Tücher zum Reinigen und sie fragte ihn, was los sei und wo das Kondom sei. Der Angeklagte erwiderte, dass das Kondom wohl gerissen sein müsse. Die Nebenklägerin erblickte das neben ihr auf dem Bett liegende Kondom, gab dem Angeklagten zu verstehen, dass sie ihm nicht glaube und fragte ihn, ob er es mit Absicht abgemacht habe. Der Angeklagte bejahte dies und gab an, er würde sonst nichts spüren. Die Nebenklägerin schrie ihn daraufhin an, ob das sein Ernst sei, sie habe ihm gesagt, dass sie es nicht ohne Kondom wolle, lief anschließend in das Badezimmer, schloss sich dort einen Moment lang ein, erlitt einen Heulkrampf, verließ das Bad dann wieder, zog sich unter Tränen an und lief zur Wohnungstür, die jedoch verschlossen war. Der Angeklagte wollte mit der aufgelösten Nebenklägerin über das Geschehen reden, öffnete ihr jedoch die Tür, als die Nebenklägerin ihn erneut anschrie, und ließ sie aus der Wohnung…..“
In rechtlicher Hinsicht hat das AG den Schuldspruch im Wesentlichen damit begründet, dass der ungeschützte Geschlechtsverkehr ohne Kondom im Verhältnis zum geschützten Geschlechtsverkehr mit Kondom eine andere sexuelle Handlung bzw. jedenfalls eine andere Form der sexuellen Handlung darstelle, bei der es anders als bei Verwendung eines Kondoms zum direkten Kontakt u.a. der Schleimhäute der Genitalien komme. Erst recht stelle ein Samenerguss im Körper des Sexualpartners eine andere, weitergehende sexuelle Handlung dar als der bloße Vollzug des Geschlechtsverkehrs. Denn die von der Nebenklägerin verlangte Verwendung eines Kondoms habe zugleich die Erklärung beinhaltet, nicht damit einverstanden zu sein, dass im Zuge der sexuellen Handlungen Sperma des Angeklagten in ihren Körper gelange, weil gerade dies in erster Linie der Zweck der Verwendung eines Kondoms sei. Die Erkenntnis, dass ein tatbestandsausschließendes Einverständnis im Gegensatz zu einer rechtfertigenden Einwilligung auch dann wirksam sei und bleibe, wenn es durch eine Täuschung erschlichen worden sei, und dass die sexuelle Selbstbestimmung nicht allgemein gegen Täuschungen geschützt sei, stehe dem nicht entgegen. Denn für die sexuellen Handlungen des ungeschützten Geschlechtsverkehrs ohne über den Penis gestreiftes Kondom und der Ejakulation im Körper der Nebenklägerin habe gerade gar kein Einverständnis, d.h. auch kein durch Täuschung erschlichenes Einverständnis, vorgelegen, was der Angeklagte aufgrund der wiederholten Äußerungen der Nebenklägerin auch gewusst habe.
Dagegen die Strafmaßberufung des Angeklagten, der gegen das LG-Urteil Revision eingelegt hat und frei gesprochen werden will.
Das KG hat die Revision verworfen. Hier der Leitsatz zu der Entscheidung:
„Das sog. Stealthing erfüllt jedenfalls dann den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf dieses ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des bzw. der Geschädigten ejakuliert.“
Da der Beschluss umfangreich bergündet ist: Bitte ggf. im VT nachlesen.
Acht Monate? Bei mir wäre das nicht unterhalb des Schöffengerichts gelaufen. Bye bye Pension, bye bye Beamtenstatus.
Das hoffe ich doch mal (mit der Verabschiedung vom Beamtenstatus). Ich meine: Schon mal vorbestraft wegen Vorsatztat, und jetzt so eine Nummer. Ich will nicht wissen, was so einer meint sich erlauben zu können, wenn er (vermummt) im Rahmen seines Dienst bei der EHu bei Demonstrationen etc. jemanden ihm nicht genehmen gegenübersteht.
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