Am heutigen Dienstag ist „OWi-Tag“. Und den beginne ich mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.03.2020 – 1 Rb 36 Ss 832/19, der sich mal wieder mit dem § 23 Abs. 1a StVO – also: elektronisches Gerät, befasst.
Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs.1a StVO zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr verboten. Nach den Feststellungen des AG „hatte der Betroffene am 15.03.2019 gegen 18:21 Uhr als Führer des Fahrzeugs der Marke „Tesla“ mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der Bundesstraße 36 in Fahrtrichtung Süden vor der Abfahrt Neureut Süd den fest neben dem Lenkrad über der Mittelkonsole des Fahrzeugs installierten Berührungsbildschirm (Touchscreen) benutzt, um so die Intervalle des bereits wegen starken Regens eingeschalteten Scheibenwischers einzustellen. Aufgrund nicht angepasster Blickzuwendung auf den Bildschirm und der damit verbundenen Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen kam der Betroffene bei regenasser Fahrbahn und starkem Regen jedoch von der Fahrbahn nach rechts ab, fuhr in eine Böschung und kollidierte dort mit einem Netzknotenstationierungszeichen und mehreren Bäumen. Dabei ist das Amtsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Betroffene bei Beachtung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt den dabei entstandenen Sachschaden hätte vorhersehen und verhindern können. In rechtlicher Sicht hat das Amtsgericht den im „Tesla“ fest installierten Berührungsbildschirm (Touchscreen) als ein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO angesehen. Insoweit hat der Tatrichter infolge der Auswertung der Bedienungsanleitung festgestellt, dass sich der Scheibenwischer des „Tesla“ zwar am Lenkrad ein- und ausschalten lasse, die Einstellung der Intervalle aber auf dem „Touchscreen“ zu erfolgen habe, wobei zunächst ein Scheibenwischersymbol berührt werden müsse, dann in einem Untermenü zwischen fünf Einstellungen gewählt werden könne und dieser Vorgang deutlich mehr Aufmerksamkeit des Fahrers als bei Bedienung des Scheibenwischer mit den herkömmlichen Armaturen erfordere.“
Das OLG hat das „gehalten“. Hier die Leitsätze der Entscheidung. Den Rest bitte selbst lesen:
1. Der fest im Fahrzeug der Marke Tesla eingebaute Berührungsbildschirm (Touchscreen) ist ein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a S. 1 u. 2 StVO, dessen Bedienung dem Kraftfahrzeugführer nur unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift gestattet ist, ohne dass es darauf ankommt, welchen Zweck der Fahrzeugführer mit der Bedienung verfolgt.
2. Auch die Einstellung der zum Betrieb des Kraftfahrzeugs notwendiger Funktionen über Touchscreen (hier: Einstellung des Wischintervalls des Scheibenwischers) ist daher nur gestattet, wenn diese mit einer nur kurzen, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepassten Blickzuwendung zum Bildschirm bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen verbunden ist.
Nun ja ……
Ich halte die Entscheidung für durchaus plausibel. Es ist in der Entscheidung beschrieben, daß dieser Einstellprozeß offenbar mehrere Bedienschritte umfaßt, es also nicht damit getan ist, einfach nur eine Schaltfläche auf dem Touchscreen anzutippen. Dies halte ich – vorsichtig ausgedrückt – für eine Fehlkonstruktion, wie ich auch insgesamt Touchscreens in Fahrzeugen, wenn sie durch den Fahrer bedient werden müssen, für Fehlkonstruktionen halte. Insbesondere bei so großen Touchscreens muß sich selbst der mit der Bedienung vertraute und geübte Fahrer erst auf dem – oft kontextabhängig anders beschickten – Touchscreen orientieren, und das ist in allen Verkehrssituationen kaum vertretbar. Es gibt genügend Konzepte, mit denen der Fahrer, z.B. mit einem Drehrad, das Rasten hat, bei Übung nahezu alle Funktionen bedienen kann, ohne hinzusehen, und diese durch Touchscreens zu ersetzen, bei denen keine haptische Rückmeldung erfolgt, halte ich für verfehlt. Aus diesen Gründen kann ich auch die Entscheidung nicht für fehlerhaft ansehen.
Mal abgesehen davon, dass ich mich Frage wie man auf die Idee kommen, solch einfache und zugleich wichtige Funktionen a) nur über ein (verschachteltes) Touchscreen-Menü zugänglich zu machen, b) sowas zulassen kann und c) sich sowas kauft:
Ich halte Scheibenwischer weder für „Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung“ (§ 23 Ia 2 StVO). Die Aufführung von „Berührungsbildschirme“ im folgenden dient aber nur zur Konkretisierung dieser Geräteklassen, nicht als eigenes Tatbestandsmerkmal. Von daher hoffe ich, von anderen OLG da was besseres zu hören.
Weiter wird mMn nicht berücksichtigt, wie lange der Fahrer den Blick von der Straße [§23 Ia 1 Nr.1 b) StVO] abgewendet hat. Ja, der Menüweg ist insgesamt lang – man kann das ganze aber auch in Etappen bedienen und nicht nur in einem Rutsch.
Wenn man das weiterdenkt heißt es nämlich auch, dass der Fahrzeugführer bei eher normalen fahrerischen Tätigkeiten demnächst erstmal juristische gedankliche Abhandlungen ‚verfassen‘ darf: Der Regen fängt auf der Landstrasse plötzlich an, heftiger zu werden. Was mache ich? Lasse ich den Scheibenwischer langsam laufen -> fahrlässig wegen SIchtverlust. Ändere ich die Geschwindigkeit -> siehe obiges Urteil, halte ich fix an um den Scheibenwischer zu ändern -> Verkehrsgefährdung
Das das System blöd ist, kann man dem Fahrer nicht zur Laste legen, da der Unsinn nunmal leider zugelassen wurde.
Wenn man so lange am Display herumfummelt, dass es einen von der Straße hebt, ist 23 1 a seinem Sinn und Zweck nach wohl erfüllt. Wobei sich der Betroffene hier wohl etwas ungeschickt (oder vermeintlich geschickt?) bzw. überhaupt eingelassen hat zum Grund seines Unfalls.
Bei einigen Tesla-Modellen konnte man nach einem Update von 2018 einen Regensensor aktivieren, je nach Regenintensität mit einer Voreinstellung. offenbar gab es dabei das Problem, dass der Scheibenwischer nach kurzer Zeit in den schnellsten Modus hochfuhr, vielleicht war das hier das Problem.
Ob der 23 1 a dafür gedacht ist, jegliches Wischen an einem Touchscreen zu unterbinden, auch wenn das der eigentlichen Fahrzeugbedienung dient und nicht dem Schnellmalinstagramchecken, ist aber eine berechtigte Frage. Andererseits ist diese herstellerseitige Fixierung auf Screens/Displays, bei denen man ggf. erst einmal im Menü herumsuchen und den Blick von der Straße weg richten muss, statt mit „muscle memory“ aufgrund mehr oder weniger routinierter Lenkkünste einen Schalter nur per Hand und ohne Hinschauen zu bedienen, an dieser Entwicklung mit schuld, zumal dem Kunden suggeriert wird, das Auto fahre quasi von alleine bzw. verfüge über genügend Sensoren und Assistenzsyteme, die eingreifen, wenn es gefährlich zu werden droht.
Interessant ist, ob 23 1 a auch dann greift, wenn ein Fahrer auf der Windschutzscheibe herumwischt, weil er meint, das Headup-Display so bedienen zu können (kein Scherz, selbst vor ein paar Wochen erlebt, allerdings auf dem Hof eines Autohändlers, wo eine Kundin den Verkäufer fragte,: „Und wenn ich das nicht mehr sehen will, wische ich das dann so weg?“ nebst Fingerwisch über die Scheibe….).
Inhaltlich bin ich näher an meine5cent als an WPR_bei_WBS, obwohl es auch ohne Touchscreen Defizite geben kann. Ich erinnere mich an einen Fernsehbeitrag vor vielen Jahren, als BMW einen Navigationsknopf mit Menüsteuerung einführte, und auf einer Automesse der Reporter fragte, wie man nun beispielsweise die Klimaanlage auf Umluftbetrieb stellen könne. Es folgte eine Sequenz etwa das Inhalts „dreh, drück, drück, schieb, drück, dreh, drück, dreh, schieb, drück“, und schon war man da. Dieses System wurde dann vor der Markteinführung noch etwas verfeinert. WPR_bei_WBS kann ich deswegen nicht völlig zustimmen, weil auch bei normal zugelassenen herkömmlichen Bedienelementen Fahrer sich ablenken lassen können und dann zumindest für einen verursachten (auch Selbst-)Unfall haften. Allerdings erhöht sich die Gefahr bei kontextabhängig wechselnden Bildschirminhalten doch überproportional, und dann muß auch der Fahrer nötigenfalls alsbald anhalten, wenn er anders die Bedienung nicht sicherstellen kann.
Nur geht die Entscheidung zu weit. Wird m.E. nicht mehr vom Begriff der Kommnuikation i.E.S. erfasst, liegt aber wohl im Trend: Möglichst viel zu verbieten. Am besten fährt man nur noch Fahrrad.
Die Chance für die Divergenzvorlage bei nächster Gelegenheit durch ein anderes OLG und dann kann der BGH mal ran 😉
Trauen die sich natürlich im Leben nicht…. Also die OLGs 🙁
In der Sache liegt der Teufel im Design. Welches Rindvieh hat sich denn diese Bedienung ausgedacht? Die wesentlichen sicherheitsrelevanten Fahrzeugfunktionen, wie Licht, Wischer, Blinker sind ja nicht umsonst am Lenkrad so verbaut dass man sie blind bedienen kann.
Ob man das über 23a einfangen muss, sei mal dahingestellt. Gefährlich ist es wohl, aber nicht alles was gefährlich ist, ist verboten. Bestimmtheitsgebot und so. Da war mal was.
@Detlef Burhoff – Das schützt auch nicht unbedingt. Als ich vor zwei Wochen mit dem Fahrrad an einer roten Ampel stand, ist ein anderer Fahrradfahrer von hinten in mich hineingekachelt, weil er nach eigener Aussage mit seinem Fahrradnavi beschäftigt war und selbst nie an dieser Ampel anhielt. Vielleicht ist der Wunsch, immer mehr zu verbieten, doch zu einem gewissen Teil Ausfluß des abnehmenden Verantwortungsbewußtseins, und/oder beides verstärkt sich gegenseitig? Früher waren es heruntergefallene Zigaretten oder die Suche nach einer Kassette im Beifahrerfußraum bei voller Fahrt auf der Autobahn, heute sind es eben Touchscreens.
@RA Stamm – wenn es zu Unfällen führt, kriegt man es doch aber sowieso anderweitig geahndet oder sogar strafrechtlich erfasst (229?) und „braucht“ 23a für diese Fälle nicht.
Es ist ja auch nicht erlaubt beim Fahren die Augen zu schließen. Aber wer es spaßeshalber mal macht, ohne dass was passiert…
Die Konzeption, über das elektronische Gerät die Ausreden für Handynutzer wegzubekommen (und das war doch wenn wir mal ehrlich sind der eigentliche Kniff bei der Schaffung von 23a), ist doch affig. Die Ausrede „es war ein iPod, iPad, Diktiergerät, Navi,…“ konnte man halt nicht mehr hören in den Handyowiverfahren 😉
@RichterimOLGBezirkMuenchen – Das bestreite ich gar nicht. Aber sie haben den Rasierapparat vergessen. 🙂
vv Sie haben…
Der Klassiker 😉 Aber ich finde, den bekommt man nicht unter 23a subsumiert. Er erfordert kein Hinschauen. Auch kein kurzes. Rasieren geht blind. Wer sich nicht blind rasieren kann, kann keinen Führerschein haben – nicht mal den ab 17 :-)))
@ RA Markus Stamm: Bzgl. der Klimaanlage bin ich voll bei Ihnen! Da kann man aber auch im Zweifel drauf verzichten, von daher hat die Zulassung auch eine andere Bedeutung. Beim Scheibenwischer handelt es sich aber um ein sicherheitskritische Funktion. Ich bin jetzt zu faul, in der StVZO und deren Anhängen nachzuschauen, bin mir aber ziemlich sicher, dass so ein Gerät auch verpflichtend vorhanden sein muss.
Daher auch die Gefahr eines „Catch22“ – Klimaanlage muss ich icht anmachen, einen Scheibenwischer im Zweifel schon. 🙂
Da kann ich nur zustimmen! Ich habe übrigens immer noch einen Akku-Rasierer im Handschufach liegen.
Und da so einer weder „ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist“ ist, noch ein „Gerät der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder.“ sehe ich auch kein Problem 🙂
„tragbarer Flachrechner“ ist mein Unwort des Jahres. Fantastisch, was Ministerialjuristenhirnen so einfällt, wenn man die Abends nicht rechtzeitig einfängt und zu Bett bringt…
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Es dauert zu lange. Im Zweifel clickt der duemmste anzunehmende Verkehrsteilnehmer stundenlang sinnlos darauf herum.