In die 27. KW. starte ich dann mit zwei OWi-Entscheidungen.
Den Opener macht der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 01.04.2020 – 1 OWi 2 Ss Bs 114/19. Der nimmt noch einmal zum Absehen von einem Fahrverbot wegen drohender Kündigung des Arbeitsverhältnisses Stellung. Das AG hatte abgesehen und das wie folgt begründet:
„Der Betroffene wohnt in Heilbronn und arbeitet im 2- bzw. 3-Schicht-Betrieb in Lehrensteinsfeld als Gruppenführer. Die Frühschicht beginnt um 05:30 Uhr, die Spätschicht endet um 22:00 Uhr. Zu diesen Zeiten ist es dem Betroffenen nicht möglich, die Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, wie sich aus dem vorgelegten Auszug aus dem Bus- und S-Bahn-Plan ergibt. Da er auch nicht zwei Monate Urlaub nehmen kann, hat ihm sein Arbeitgeber – wie sich aus der vorgelegten Bescheinigung ergibt – angedroht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, da er ihn anderweitig – etwa im Tagdienst – nicht einsetzen kann.
Für den Betroffenen wäre das Fahrverbot deshalb mit dem zumindest zeitweisen Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden. Das Gericht hat wegen der Voreintragung im Fahreignungsregister von der Möglichkeit des § 4 Abs. 4 BKatV Gebrauch gemacht und die Geldbuße auf 1.320 Euro verdreifacht, und zugleich von der Verhängung des Fahrverbots abgesehen.“
Dem OLG hat das nicht gefallen:
„2. Mit diesen Ausführungen hat das Amtsgericht die Voraussetzungen für ein Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot nicht hinreichend belegt.
a) Zwar ist anerkannt, dass die Verhängung eines Fahrverbots unter Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkataloges nach Maßgabe von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG dann unangemessen sein kann, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist, insbesondere wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Verlust seines Arbeitsplatzes oder seiner sonstigen wirtschaftlichen Existenz droht und dies nicht durch zumutbare Vorkehrungen vermieden werden. Ebenso ist anerkannt, dass das dem Tatgericht insoweit eingeräumte Ermessen vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob es deshalb fehlerhaft ausgeübt worden ist, weil es die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt oder die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. Dem tatrichterlichen Ermessensspielraum sind indes der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. Dabei ist nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab anzulegen. Der Tatrichter ist gehalten, die Einlassung eines Betroffenen, mit der er eine unverhältnismäßige Härte geltend macht, einer kritischen Prüfung zu unterziehen (KG Berlin, Beschluss vom 05.02.2019 – 3 Ws (B) 3/19, juris Rn. 13 f. mwN.).
b) Nach diesen Maßstäben reichen bloße Vermutungen oder Befürchtungen eines Arbeitnehmers hinsichtlich einer fahrverbotsbedingten Kündigung des Arbeitsplatzes nicht aus. Erforderlich ist die Feststellung einer konkreten und akuten Gefahr einer solchen Folge (Deutscher in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 1334 m.w.N.), die regelmäßig nicht allein auf die nicht näher belegten Angaben des Betroffenen gestützt werden kann (OLG Bamberg, Beschluss vom 11.04.2006 – 3 Ss OWi 354/2006, zfs 2006, 533; OLG Koblenz, Beschluss vom 24.07.2018 – 1 OWi 6 SsBs 67/18, juris Rn. 21). Hat der Betroffene – wie hier – eine Bescheinigung vorgelegt, in welcher ihm sein Arbeitgeber die Kündigung androht, ist es zwar regelmäßig nicht erforderlich, dass das Amtsgericht überprüft, ob die angedrohte Kündigung arbeitsrechtlich tatsächlich auch durchsetzbar wäre; denn eine Härte, die es rechtfertigt, von einem – nach der Bußgeldkatalogverordnung indizierten – Fahrverbot abzusehen, kann schon darin bestehen, dass der Betroffene das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes zu tragen hat. Es kann danach bereits die ernstliche Gefahr des Arbeitsplatzverlustes ausreichen, um ein Fahrverbot als unverhältnismäßige Härte bewerten zu können (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 13.03.2003 – 2 Ss (OWi) 126 B/02, juris Rn. 5). Daraus folgt aber nicht, dass der Tatrichter seiner Entscheidung, von der regelhaften Anordnung eines Fahrverbots abzuweichen, jede Kündigungsdrohung zu Grunde legen darf, ohne zu prüfen, ob sie rechtlichen Bestand hätte, falls sie verwirklicht wird. Ist offensichtlich, dass die angedrohte Kündigung rechtswidrig wäre, darf er nicht wegen dieser Drohung auf ein (Regel-)Fahrverbot verzichten. Denn bei einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung trägt der Betroffene, gegen den trotz Kündigungsdrohung ein Fahrverbot verhängt wird, in Wirklichkeit kein Risiko des Arbeitsplatzverlustes oder aber ist dieses Risiko so gering, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt (KG Berlin, Beschluss vom 05.02.2019 – 3 Ws (B) 3/19, juris Rn. 15 m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass selbst bei Berufskraftfahrern kurzfristige Fahrverbote eine außerordentliche Kündigung nur im Ausnahmefall rechtfertigen werden (KG Berlin aaO.).
Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen nicht erkennen, ob der Tatrichter diese Grundsätze beachtet und anhand welcher objektivierten Umstände und Gegebenheiten er ausgeschlossen hat, dass die vom Arbeitgeber des Betroffenen ausgestellte Kündigungsandrohung rechtlich nicht durchsetzbar ist bzw. dass es sich bei dieser nicht lediglich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt. Weshalb es seinem Arbeitgeber nicht möglich und zumutbar sein soll, den Betroffenen für eine vorübergehende Zeit ausschließlich im Tagdienst zu beschäftigen, erklärt sich jedenfalls ohne nähere Darstellung der Tätigkeit, die dieser ausübt, und von dessen Einbindung in den Betrieb, nicht von selbst.
c) Hinzu tritt, dass das Amtsgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob dem Betroffenen die arbeitstägliche Anmietung eines Zimmers in der Nähe seines Arbeitsplatzes zugemutet werden kann (OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2009 – 3 Ss OWi 196/2009, juris Rn. 14). Das Amtsgericht hat zudem keine Feststellungen zu der tatsächlichen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort getroffen. Aus allgemein zugänglichen Quellen (google.maps) kann der Senat entnehmen, dass die Entfernung zwischen Heilbronn und Langensteinsfeld lediglich ca. 11 km beträgt und diese Strecke mit dem Fahrrad in ca. 45 Minuten zurückgelegt werden kann. Der Verweis auf diese Möglichkeit erscheint jedenfalls nicht ohne weiteres unzumutbar. Entsprechendes gilt für die Inanspruchnahme eines Taxis im Bedarfsfall. Letztlich hätte der Tatrichter vor dem vollständigen Entfall des Fahrverbots auch die Möglichkeit in den Blick nehmen müssen, dessen Dauer auf einen Monat abzukürzen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18, juris Rn. 5). Die Annahme, dass der Betroffene, dem zudem die Vergünstigung des § 25 Abs. 2a StVG zu Gute kommen dürfte, nicht in der Lage ist, diesen Zeitraum durch Einsatz von Urlaub und einer Tätigkeit in der Tagschicht zu überbrücken, liegt in diesem Zusammenhang eher fern.“
Und wenn wir schon über Fahrverbote reden 🙂 . Ich erinnere an die Ende April in Kraft getretenen Änderungen in der StVO und auch bei den Fahrverboten. Inzwischen wird die Frage diskutiert, ob die Änderungen überhaupt wirksam sind. Dazu hier mehr.