Rechtsmittel III: Rechtsmittelbegründung durch den „Einvernehmensanwalt“, oder: Zulässig

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Und die dritte und letzte Entscheidung am heutigen Tag kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 02.12.2019 – 201 ObOWi 1817/19 – aus Bayern. Thematik: Rechtsbeschwerdebegründung durch den sog. Einvernehmensanwalt. Eine Thematik, mit der man nicht jeden Tag zu tun hat, aber immer mal wieder.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den in Österreich wohnhaften deutschen Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h) erlassen und dabei eine Geldbuße von 360 EUR sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dieser Bußgeldbescheid ist am 28.09.2018 an den in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt M mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Mit am 08.10.2018 eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Er hat im Laufe des Verfahrens eine schriftliche Verteidigervollmacht vom 21.07.2018 vorgelegt, die ihn auch ausdrücklich dazu ermächtigt, Klagen und andere behördliche Schriftstücke entgegenzunehmen. Die Hauptverhandlung am 11.04.2019 fand in Abwesenheit des Betroffenen statt. Das Amtsgericht hat den Betroffen entsprechend dem Bußgeldbescheid schuldig gesprochen und gegen ihn die im Bußgeldbescheid vorgesehenen Rechtsfolgen festgesetzt. Dieses mit Gründen versehene Urteil ist auf richterliche Anordnung vom 29.04.2019 dem Verteidiger am 10.05.2019 mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Rechtsanwalt M hat darauf mit Schriftsatz vom 16.05.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10.06.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, wobei die Rechtfertigungsschrift allein von Rechtsanwalt M unterzeichnet ist.“

Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen. Das BayObLG sieht die Zustellung des Bußgeldbescheides und des Urteils des Amtsgerichts an den Verteidiger als wirksam an, § 31 EuRAG stehe dem nicht entgegen.

Aber:

2. Die Rechtsbeschwerde erweist sich allerdings als unzulässig, weil sie unter Verstoß gegen § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht in einer von einem Verteidiger oder einem im Geltungsbereich der StPO zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts begründet worden ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.12.2017 – 3 Ss OWi 1702/17 bei juris; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 345 Rn. 12 m.w.N.). Der hier tätige Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich erfüllt diese Voraussetzung nicht und er hat auch entgegen der gesetzlichen Regelung keinen sog. Einvernehmensanwalt eingeschaltet.

a) Ein europäischer Rechtsanwalt darf vorübergehend in Deutschland Tätigkeiten eines Rechtsanwalts ausüben, § 25 Abs. 1 EuRAG. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Zusammenhang mit der Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege grundsätzlich die Stellung eines (deutschen) Rechtsanwalts, § 27 Abs. 1 Satz 1 EuRAG. Allerdings darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, in denen der Mandant sich nicht selbst verteidigen kann, als Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln, § 28 Abs. 1 EuRAG. Damit ist nicht nur der Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 StPO gemeint. Vielmehr wird hiervon auch die Begründung der Rechtsbeschwerde erfasst (vgl. LR/Franke StPO 26. Aufl. § 345 Rn. 19; OLG Bamberg a.a.O.). Der Einvernehmensanwalt muss zur Vertretung oder Verteidigung bei dem Gericht befugt sein (§ 28 Abs. 2 Satz 1 EuRAG).

Auch wenn nach § 28 EuRAG die Gestaltung des Verfahrens dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt obliegt (vgl. Henssler/Prütting BRAO 5. Aufl. § 28 EuRAG Rn. 4), so ist es Aufgabe des Einvernehmensanwalts gem. § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG, gegenüber dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass dieser bei der Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Die Gesetzesbestimmung lässt keine Ausnahmen zu. Dementsprechend muss auch ein der deutschen Sprache mächtiger und im deutschen Verfahrensrecht sachkundiger österreichischer Rechtsanwalt zwingend im Einvernehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt bei der Fertigung der Rechtsbeschwerdebegründung handeln. Da Rechtsanwalt M vorliegend das Einvernehmen eines deutschen Rechtsanwaltes weder behauptet noch gem. § 29 Abs. 1 EuRAG dieses Einvernehmen schriftlich gegenüber dem Gericht nachgewiesen hat, liegt keine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 29 Abs. 3 EuRAG vor.

Wie § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG klarstellt, hat der Einvernehmensanwalt entgegen den Ausführungen in der Gegenerklärung der Verteidigung vom 18.11.2019 nicht die Funktion, nur eine Pro-Forma-Unterschrift zu leisten. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie des Rates vom 22.03.1977 (77/249/EWG) davon Gebrauch gemacht, es einem Rechtsanwalt als Bedingung aufzuerlegen, dass er im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt handeln muss. Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 4 Abs. 1 des Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzes (RADG), der der Nachfolgebestimmung des § 28 Abs. 1 EuRAG inhaltlich entspricht, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25.02.1988 (Rs 427/85 = NJW 1988, 887) beachtet, wonach es gegen die vorgenannten Richtlinie verstößt, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt dazu verpflichtet wird, im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, selbst wenn nach deutschem Recht kein Anwaltszwang besteht (vgl. BT-Drucksache 11/4793, Begründung zu § 4). Dementsprechend stehen der genannten Regelung auch keine europarechtlichen Bedenken entgegen.

b) Der Betroffene hat eine Genehmigung des Gerichts, Rechtsanwalt M als Verteidiger nach § 138 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zuzulassen, nicht beantragt. Zudem konnte Rechtsanwalt M gem. § 138 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ohnedies nicht allein zum Verteidiger bestellt werden.

c) Der Senat setzt sich auch nicht in Widerspruch zu den Beschlüssen des Oberlandesgerichts Köln vom 31.01.2017 (Az. III – 1 RBs 302/16) und vom 14.02.2017 (Az. III – 1 RBs 31/17), da dort ohne nähere Begründung lediglich ausgeführt wird, dass der Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich für eine eingelegte Rechtsbeschwerde postulationsfähig im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 2 StPO sei. Es lässt sich aber nicht entnehmen, ob es sich nicht um einen im Sinne von § 2 EuRAG niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt handelt. Im Übrigen steht die vorliegende Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesfinanzhofes (BFH, Beschluss vom 11.07.2013 – III R 31/12 bei juris) und des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 15.06.2010 – B 13 R 172/10 B – bei juris), die bei bestehendem Anwaltszwang das Erfordernis eines Einvernehmensanwaltes bestätigt haben.

3. Es besteht auch kein Anlass, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Der Betroffene hat diese nicht beantragt, § 45 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde unverändert nicht vorliegt, § 45 Abs. 2 S. 2, 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.“

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