Archiv für den Monat: April 2020

Pflichti I: Nachträgliche Bestellung, oder: „wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen vorlagen“

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Heute dann mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Den Reigen eröffnet der AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.03.2020 – 3610 Js 242150/19 – 931 Gs. Es geht u.a. um die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Der Verteidiger hatte im Ermittlungsverfahren die Bestellung als Pflichtverteidiger unter Hinweis auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beantragt. Das AG hat den Verteidiger, nachdem das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, beigeordnet. Dazu führt das AG aus:

„Die Verteidigerbeiordnung hatte zu erfolgen, da ein Fall der notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragsstellung vorlag. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 20.11.2019 in anderer Sache in Untersuchungshaft, zur Zeit in der JVA Frankfurt am Main I. Mit Antrag vom 13.03.2020, eingegangen am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, hat der Beschuldigte die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beantragt. Da sich der Beschuldigte seit dem 20.11.2019 auf richterliche Anordnung hin in einer Anstalt — genauer: einer Justizvollzugsanstalt — befindet, liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vor. § 140 I Nr. 5 StPO regelt sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn der Vorschrift nach ausdrücklich, dass dann ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, wenn sich der Beschuldigte auf richterliche Anordnung hin in einer Anstalt befindet. Dies ist vorliegend der Fall. Die von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vorgebrachten Beschlüsse von Gerichten aus Dresden und Osnabrück aus den Jahren 2016 und 2018 betreffen nicht die mittlerweile geänderte Gesetzeslage. Überdies hat das Oberlandesgerichts Frankfurt am Main bereits für die bis Dezember 2019 geltende Gesetzeslage in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass eine Verteidigerbeiordnung auch in den weiteren Verfahren erfolgen muss, in denen nicht die Untersuchungshaft vollzogen wird (vgl, hierzu OLG Frankfurt am Main, 3 Ws 351/10, NStZ-RR 2011,19). Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft führt jedenfalls die aktuelle Gesetzesfassung des § 140 I Nr. 5 StPO dazu, dass vorn Vorliegen einer notwendigen Verteidigung auszugehen ist. Denn dort ist unterschiedslos lediglich als Voraussetzung normiert, dass sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung in einer Anstalt befindet, was überdies nicht nur eine Justizvollzugsanstalt sein kann. Bereits daraus lässt sich ohne Weiteres erkennen, dass der Gesetzgeber gerade den Aufenthalt in einer Anstalt — aus welchem Grund auch immer, solange eine richterliche Anordnung vorliegt — zur Grundlage der Annahme der Notwendigkeit einer Verteidigung gemacht hat.

Dass die Staatsanwaltschaft auf den Antrag des Beschuldigten und seines Verteidigers vom 13.03.2020 zunächst nicht reagiert hat, sondern lediglich am 17.03.2020 das Ermittlungsverfahren nach § 154 StPO im Hinblick auf die Sache, in der die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten vollzogen wird, vorläufig eingestellt hat, begründet keine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Bei der Entscheidung war insoweit auf den Zeitpunkt der Antragsstellung abzustellen. Seinerzeit war das Ermittlungsverfahren noch nicht (vorläufig) eingestellt.“

BGH III: Einziehung im JGG-Verfahren, oder: Geht, aber es bleibt offen, ob zwingend

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Und zum Tagesschluss dann noch das BGH, Urt. v. 18.12.2019 – 2 StR 194/19. Ergangen ist das Urteil in einem JGG-Verfahren. Das LG hatte die Angeklagten wegen „besonders schweren Diebstahls“ in acht Fällen, wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung in vier Fällen und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem „Verstoß gegen das Waffengesetz“ zu einer Jugendstrafe verurteilt. Von der Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes hat das LG abgesehen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„1. Die Rechtsmittel sind gemäß § 344 Abs. 1 StPO wirksam auf die Nichtanordnung der Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertersatzes beschränkt, weil insoweit die Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 – 3 StR 560/17, NJW 2018, 2141; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 12, jweils mwN).

2. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes abzusehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten durch die Straftaten jeweils Mitverfügungsgewalt an dem aus den gesprengten Automaten entnommenen Bargeld sowie – soweit sie tatbeteiligt waren – jeweils alleinige Verfügungsgewalt an den durch die Raubtaten an sich genommenen Gegenständen und Bargeld erlangt; der Angeklagte M. hat darüber hinaus in einem Fall an den aus einem Drogeriemarkt entwendeten Parfumartikeln Mitverfügungsgewalt erlangt.

b) Das Landgericht hat von einer Einziehung der Taterträge bzw. des sich im oberen vierstelligen Bereich bezifferbaren Wertersatzes abgesehen, weil eine solche Entscheidung „einer sanktionierenden Vermögenseinbuße“ gleichkäme; dieses widerspräche dem im Jugendrecht geltenden Grundsatz, wonach die Angeklagten „vor finanziellen Belastungen mit negativen Auswirkungen für die zukünftige Entwicklung zu schützen“ seien.

c) Diese Erwägung ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die – auch erzieherische – Bedeutung der nach dem Gesetz auch im Jugendstrafrecht zulässigen Einziehung rechtsfehlerhaft nicht hinreichend bedacht.

aa) Die Einziehung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369). Ihr fehlt es daher schon an dem – vom Landgericht rechtsfehlerhaft angenommenen – Strafcharakter (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. März 2019 – 3 StR 192/18, NJW 2019, 1891, 1894; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 73 StGB Rn. 9 mwN).

bb) Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch im Jugendstrafrecht gemäß § 2 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG zulässig, und zwar unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen oder des nach Jugendstrafrecht zu behandelnden Heranwachsenden vorhanden ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 – 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682, 683 mwN). Dementsprechend sieht das Jugendgerichtsgesetz in § 76 Satz 1 JGG für das vereinfachte Jugendverfahren die Anordnung der Einziehung vor. Dass die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB eine zulässige Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 JGG ist, setzt auch § 459g StPO voraus, der unter anderem Regelungen für die Vollstreckung dieser Nebenfolge enthält. Vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nimmt § 6 JGG – als Ausnahmevorschrift – lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (vgl. auch MüKo-StGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 6; BeckOK-JGG/Gertler/Kunkel/Putzke, 15. Ed., § 8 Rn. 8; NK-JGG/ Ostendorf, 10. Aufl., § 6 Rn. 2). Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht allein mit dem allgemeinen Hinweis auf erzieherische Interessen unterlaufen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 177 zu §§ 73 ff. StGB aF).

d) Ob die Einziehung von Taterträgen im Jugendstrafrecht zwingend anzuordnen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 – 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682 ff.; andererseits: Senat, Urteil vom 21. November 2018 – 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222; BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 – 5 StR 95/19, juris Rn. 5 ff. mwN; Beschluss vom 24. Januar 2019 – 5 StR 475/18), muss der Senat hier nicht entscheiden. Unbeschadet dessen, dass das Landgericht schon gar nicht erwogen hat, eine Ermessensentscheidung zu treffen, kann der Senat die Einziehungsentscheidung auch nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nachholen. Den Urteilsgründen ist schon nicht durchgehend hinreichend zu entnehmen, in welcher genauen Höhe Taterträge erlangt sind, ob die erlangten Taterträge, insbesondere die erbeuteten Gegenstände, noch im Besitz der Angeklagten vorhanden sind oder ob insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht kommt. Der Senat hat deshalb auch die entsprechenden Feststellungen aufgehoben.“

BGH II: SV-Gutachten im Urteil, oder: Dauerbrenner

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Urheber Bin im Garten

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 2 StR 263/19 -, kommt dann aus der Abteilung „Dauerbrenner“. Die Problemati, die er zum Inhalt hat, war hier auch schon häufig Gegenstand der Berichterstattung. Dazu muss sich der BGH immer wieder äußern und dann gebetsmühlenartig immer dasselbe ausführen. So auch hier, allerdings – und das ist „besonders“ – mal in Zusammenhnag mit einer Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F.:

1″. Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer das Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. zur Feststellung des Netto-Verkehrswerts des Miteigentumsanteils des Angeklagten an den in M. gelegenen Grundstücken in Höhe von 37.000 € gelangt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Folgt das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist es sachlichrechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH StraFo 2017, 372). Liegt der Begutachtung indes eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde, so kann die Mitteilung des Ergebnisses, zu dem ein anerkannter Sachverständiger gelangt ist, ausreichend sein (vgl. BGH, 19. August 1993 – 3 StR 62/92, BGHSt 39, 291, 298 = NJW 1993, 3081, 3083). Werden allerdings Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung geltend gemacht, können nähere Ausführungen erforderlich sein, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob die Einwände zu Unrecht erhoben worden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 14, 15; Wenske, in: MüKo-StPO, § 267, Rdn. 236, 240).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

aa) Das Landgericht hat sich bei der Einschätzung des Grundstückswerts auf das Gutachten eines Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken gestützt. Dieser sei von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und habe das Ergebnis seiner Begutachtung logisch, widerspruchsfrei und in sich schlüssig vorgetragen. Er habe hierbei insbesondere zu den maßgeblichen wertbildenden Faktoren, wie der konkreten Lage des Grundstücks, der Größe und Aufteilung, der Nutzungseignung, dem Erhaltungszustand und den vorhandenen baulichen Mängeln Stellung genommen. Hierbei habe er zugleich nachvollziehbar auf die derzeitige Situation am Immobilienmarkt rekurriert und diese in Beziehung zum konkreten Objekt gesetzt. Auch die sich in Bezug auf die vor der Hauptverhandlung erhobenen Einwände gegen sein schriftliches, vorbereitendes Gutachten ergebenden Fragen habe der Sachverständige widerspruchsfrei und erschöpfend beantwortet, ohne sich auf sein vorläufiges Begutachtungsergebnis zu versteifen. Er habe dieses mit einer nachvollziehbaren Begründung zu Gunsten des Angeklagten korrigiert. Der Sachverständige habe vom Angeklagten in einer Sitzungsunterbrechung vorgelegte Bilder spontan sachverständig bewertet und in das Ergebnis seiner Begutachtung mit einer für die Strafkammer nachvollziehbaren und schlüssigen Begründung einfließen lassen.

bb) Diese Zusammenfassung des Sachverständigengutachtens, das lediglich das Ergebnis und die der Bewertung zugrundeliegenden Parameter mitteilt, aber darauf verzichtet, die konkrete Wertermittlung der Grundstücke anhand dieser Kriterien darzulegen, erschöpft sich damit in allgemeinen Wendungen, die es dem Revisionsgericht nicht ermöglichen, das Ergebnis des Gutachtens auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Hierfür wäre es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest erforderlich gewesen, die wesentlichen, dem Gutachten zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung wie die allgemeinen Wertverhältnisse am Grundstücksmarkt einerseits und Lage, Größe und Nutzungsmöglichkeiten der Grundstücke, Angaben zu Art, Alter und Zustand der Bebauung mit Hinweisen zur Wohn- und Nutzfläche sowie das Verfahren der Wertermittlung andererseits anzugeben (vgl. § 2, 8 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom 19. Mai 2010, BGBl. I S. 639 [ImmoWertV]). Dies erfordert zwar nicht eine vollständige Wiedergabe des Gutachtens in Einzelheiten mit allen Rechenschritten, gebietet aber zur Überprüfung durch das Revisionsgericht zumindest eine auf die Grundstücke bezogene, konkrete Darlegung der wesentlichen wertbildenden Faktoren.

cc) Darüber hinaus wäre es vorliegend vonnöten gewesen, die von dem Angeklagten konkret erhobenen Einwendungen gegen das Urteil zu benennen und zu erläutern, in welcher Weise das Gutachten dem Rechnung getragen hat. Insoweit teilt das Urteil mit, der Sachverständige habe auf die sich aus den Einwänden ergebenden Fragen „widerspruchsfrei und erschöpfend“ antworten können. Ohne Kenntnis dieser Umstände kann das Revisionsgericht indes nicht überprüfen, ob die gutachterliche Einschätzung sich hinreichend mit dem Vorbringen des Angeklagten auseinandergesetzt hat und das gegenüber dem vorbereitenden Gutachten gefundene Ergebnis mit den Grundsätzen für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken in Einklang steht.

c) Diese Angaben zum Inhalt des Sachverständigengutachtens waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine Begutachtung gehandelt hat, der eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde liegt. Grundstücksbewertungen liegen zwar allgemein anerkannte Grundsätze zugrunde, die auch normativ in der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken festgeschrieben sind. Es handelt sich aber bei der Anwendung dieser Grundsätze nicht um ein „standardisiertes“ Verfahren, dessen Ergebnis sich unter Anwendung dieser Grundsätze von selbst ergibt oder versteht. Erforderlich ist in jedem Fall eine konkret auf den Einzelfall bezogene Würdigung der wertbildenden Faktoren; insoweit unterscheiden sich Grundstücksbewertungen von anderen in der Rechtsprechung anerkannten Begutachtungen, denen wie etwa bei der Bestimmung von Blutgruppen oder des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln standardisierte Verfahrensweisen ohne (wesentliche) Beurteilungsspielräume zugrunde liegen.“

BGH I: Erfolgreiche Aufklärungsrüge gibt es, oder: Sondermeldung

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Heute dann mal ein wenig BGH 🙂 . Und ich starte mit einer „Sondermeldung“, nämlich mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2020 – 1 StR 451/19. „Sondermeldung“ deshalb, weil es um eine erfolgreiche (!!) Aufklärungsrüge geht. Dass man das noch erlebt 🙂 :

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts raubte der Angeklagte im Zusammenwirken mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten P. in den frühen Morgenstunden des 30. Juni 2017 der Nebenklägerin und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann mindestens 78.000 € Bargeld, 855,61 Gramm Feingold in Barrenform sowie Schmuck und Münzen. Der Angeklagte und der Mitangeklagte setzten bei der Tat in der Wohnung der Geschädigten in einer Seniorenresidenz in A. Fesselungswerkzeug aus Vliesmaterial gegen die zur Tatzeit 73-jährige, von der Brust abwärts querschnittsgelähmte Nebenklägerin ein.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem konkreten Tatablauf und der Tatbeteiligung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat und bei seinen polizeilichen Vernehmungen eine Tatbeteiligung bestritten hatte, maßgeblich auf die (geständigen) Angaben des Mitangeklagten gestützt, die es durch objektive Umstände bestätigt gesehen hat.

2. In zulässiger Weise (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 3 StR 605/17 Rn. 4) beanstandet die Revision, dass die Strafkammer nicht die Ehefrau des Angeklagten A. als Zeugin zu den Abläufen am frühen Morgen des 30. Juni 2017 vernommen hat. Nach dem Vorbringen in der Verfahrensrüge hätte A. angegeben, erst einmal mit dem Mitangeklagten gemeinsam im Fahrzeug gesessen zu sein, dass dies aber nicht am 30. Juni 2017 gewesen sei, und dass sie nicht gemeinsam von dem Angeklagten, dem Mitangeklagten und ihrer Tochter in ihrem Fahrzeug, das der Angeklagte geführt habe, zu ihrer Arbeitsstelle in H. gebracht worden sei.

3. Die Aufklärungsrüge ist begründet, denn das Landgericht hätte sich ausweislich des vorgetragenen Akteninhalts zu der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten gedrängt sehen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).

a) Der Mitangeklagte hat in seiner geständigen Einlassung Angaben zu der gemeinsamen Fahrt zum Tatort nach A. und zur Rückkehr zu den jeweiligen Wohnorten in B. (Angeklagter) sowie S. (Mitangeklagter) gemacht, die mit den von seinem Mobiltelefon generierten Standort-Verbindungsdaten übereinstimmen. Danach war das Mobiltelefon des Mitangeklagten am 29. Juni 2017 um 22.01 Uhr und am 30. Juni 2017 um 2.49 Uhr in demselben Funkmast in M. – etwa 60 km von B. auf der Strecke von B. nach A. gelegen – und sodann um 6.04 Uhr in einem Funkmast in H. eingebucht, wo sich der Arbeitsplatz der Ehefrau des Angeklagten befindet. Zudem hat der Mitangeklagte sich dahingehend eingelassen, nach dem von beiden begangenen Raub von A. in die Wohnung des Angeklagten in B. gefahren zu sein und dort im Keller einen mitgenommenen Möbeltresor aufgebrochen und die Beute geteilt zu haben. Sodann habe er gemeinsam mit dem Angeklagten und dessen Tochter die Ehefrau des Angeklagten zur Arbeit in H. gefahren; anschließend habe ihn der Angeklagte zum Bahnhof nach B. gebracht, von wo aus er mit der Bahn nach S. zurückgefahren sei. Aus dem vorgetragenen Akteninhalt ergibt sich, dass der Angeklagte um 4.47 Uhr versuchte, seine Ehefrau anzurufen.

b) Vor dem Hintergrund der den Angeklagten insgesamt belastenden Angaben des Mitangeklagten und der gegebenen Beweissituation, dass dessen Angaben das maßgebliche Beweismittel für eine Tatbeteiligung des Angeklagten waren, war die Strafkammer gehalten, die Angaben des Mitangeklagten weitergehend durch eine Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten zu überprüfen. Insoweit ist von Bedeutung, dass bei dem von dem Mitangeklagten geschilderten Aufenthalt beider in der Wohnung des Angeklagten in B. nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, weshalb der Angeklagte seine Ehefrau, die sich zumindest vor der Abfahrt zur Arbeitsstelle ebenfalls vor Ort befand, anzurufen versuchte. Die Ehefrau hätte daher – entsprechend dem Vorbringen in der Verfahrensrüge – Angaben zu dem für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten relevanten Geschehen am frühen Morgen des 30. Juni 2017, insbesondere hinsichtlich der Fahrt zur Arbeit machen können. Die Vernehmung der A. als Zeugin lag auch nahe, da aus dem in der Verfahrensrüge vorgetragenen Akteninhalt ersichtlich ist, dass sie mehrfach gegenüber KHK F. Angaben zur Sache machte, so am 25. Oktober 2017 anlässlich der Durchsuchung dahingehend, dass der Angeklagte in der Nacht vom 29. Juni 2017/30. Juni 2017 bei ihr zu Hause gewesen sei. Am 2. Mai 2018 gab die Ehefrau des Angeklagten auf Nachfrage von KHK F. an, dass sie nur einmal mit dem Mit- angeklagten im Fahrzeug gesessen habe, dieser aber noch nie im Fahrzeug gewesen sei, als sie zu ihrer Arbeitsstelle gefahren sei oder gefahren worden sei. Im Übrigen ist auch in der Anklageschrift ein Arbeitszeitnachweis betreffend A. als Be- weismittel benannt, aus dem sich deren Arbeitsbeginn am 30. Juni 2017 um 6.02 Uhr ergibt und der zur Bestätigung der Richtigkeit der Einlassung des Mitangeklagten dient.

c) Dem von der Revision vorgetragenen Akteninhalt, aus dem sich unter anderem Vermerke über verschiedene (informatorische) Befragungen der A. durch KHK F. ergeben, ist nicht zu entnehmen, dass die Ehefrau des Angeklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hätte; auch Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in einer Hauptverhandlung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnte, ergeben sich aus der Akte – entsprechend dem Revisionsvorbringen – nicht. Soweit in einem Vermerk vom 3. Mai 2018 von KHK F. über Angaben der Ehefrau des Angeklagten am 2. Mai 2018 niedergelegt ist, sie habe eine Vernehmung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, kann darin eine Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechts nicht gesehen werden. Dies gilt umso mehr, als A. am 3. Mai 2018 gegenüber KHK F. wieder Angaben zur Sache gemacht hat.

d) Schließlich steht auch der Umstand, dass ein entsprechender Beweisantrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht gestellt worden ist, dem Erfolg der Rüge nicht im Weg. Die Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten; die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann deshalb nicht daran scheitern, dass der Beschwerdeführer die vermisste Aufklärung in der Hauptverhandlung nicht verlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 2 StR 116/16 BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufklärungspflicht 1 Rn. 5; Urteil vom 22. Januar 2002 – 1 StR 467/01 Rn. 8; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Voraussetzung ist freilich, dass dem Gericht das Beweismittel und die hiermit verbundene Möglichkeit, den Sachverhalt ergänzend aufzuklären, ohne den – etwa mit einem Beweisantrag verbundenen – Sachvortrag bekannt, jedenfalls erkennbar war (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Dies ist – wie dargestellt – der Fall.

4. Auf der unterbliebenen Beweiserhebung beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung der weiteren Beweisergebnisse nicht auszuschließen, dass die Strafkammer, hätte sich ergeben, dass die Angaben des Mitangeklagten zu der gemeinsamen Fahrt zur Arbeitsstelle der A. unzutreffend waren, anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Kann der Mandant nach gerichtlicher Festsetzung meine Gebühren kürzen?

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Am letzten Freitag lautete die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Kann der Mandant nach gerichtlicher Festsetzung meine Gebühren kürzen?.

Dazu sind einige Antworten gekommen, die m.E. weitgehend in die richtige Richtung gingen. Ich hatte dem Fragesteller nur wie folgt geantwortet:

„Moin,

vielleicht hilft das:

https://blog.burhoff.de/2010/03/keine-bindungswirkung-der-kostenfestsetzung-im-straf-bussgeldverfahren-fuer-die-zivilgerichte-oder-zum-behaltenduerfen/

Ich räume ein, ist vielleicht ein wenig kurz, aber bietet zumindest ein Packende. Manchmal ist eben auch nicht mehr Zeit für eine Antwort. Trotz Corona 🙂 .