BGH III: Einziehung im JGG-Verfahren, oder: Geht, aber es bleibt offen, ob zwingend

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Und zum Tagesschluss dann noch das BGH, Urt. v. 18.12.2019 – 2 StR 194/19. Ergangen ist das Urteil in einem JGG-Verfahren. Das LG hatte die Angeklagten wegen „besonders schweren Diebstahls“ in acht Fällen, wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung in vier Fällen und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem „Verstoß gegen das Waffengesetz“ zu einer Jugendstrafe verurteilt. Von der Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes hat das LG abgesehen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„1. Die Rechtsmittel sind gemäß § 344 Abs. 1 StPO wirksam auf die Nichtanordnung der Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertersatzes beschränkt, weil insoweit die Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 – 3 StR 560/17, NJW 2018, 2141; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 12, jweils mwN).

2. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes abzusehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten durch die Straftaten jeweils Mitverfügungsgewalt an dem aus den gesprengten Automaten entnommenen Bargeld sowie – soweit sie tatbeteiligt waren – jeweils alleinige Verfügungsgewalt an den durch die Raubtaten an sich genommenen Gegenständen und Bargeld erlangt; der Angeklagte M. hat darüber hinaus in einem Fall an den aus einem Drogeriemarkt entwendeten Parfumartikeln Mitverfügungsgewalt erlangt.

b) Das Landgericht hat von einer Einziehung der Taterträge bzw. des sich im oberen vierstelligen Bereich bezifferbaren Wertersatzes abgesehen, weil eine solche Entscheidung „einer sanktionierenden Vermögenseinbuße“ gleichkäme; dieses widerspräche dem im Jugendrecht geltenden Grundsatz, wonach die Angeklagten „vor finanziellen Belastungen mit negativen Auswirkungen für die zukünftige Entwicklung zu schützen“ seien.

c) Diese Erwägung ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die – auch erzieherische – Bedeutung der nach dem Gesetz auch im Jugendstrafrecht zulässigen Einziehung rechtsfehlerhaft nicht hinreichend bedacht.

aa) Die Einziehung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369). Ihr fehlt es daher schon an dem – vom Landgericht rechtsfehlerhaft angenommenen – Strafcharakter (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. März 2019 – 3 StR 192/18, NJW 2019, 1891, 1894; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 73 StGB Rn. 9 mwN).

bb) Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch im Jugendstrafrecht gemäß § 2 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG zulässig, und zwar unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen oder des nach Jugendstrafrecht zu behandelnden Heranwachsenden vorhanden ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 – 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682, 683 mwN). Dementsprechend sieht das Jugendgerichtsgesetz in § 76 Satz 1 JGG für das vereinfachte Jugendverfahren die Anordnung der Einziehung vor. Dass die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB eine zulässige Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 JGG ist, setzt auch § 459g StPO voraus, der unter anderem Regelungen für die Vollstreckung dieser Nebenfolge enthält. Vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nimmt § 6 JGG – als Ausnahmevorschrift – lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (vgl. auch MüKo-StGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 6; BeckOK-JGG/Gertler/Kunkel/Putzke, 15. Ed., § 8 Rn. 8; NK-JGG/ Ostendorf, 10. Aufl., § 6 Rn. 2). Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht allein mit dem allgemeinen Hinweis auf erzieherische Interessen unterlaufen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 177 zu §§ 73 ff. StGB aF).

d) Ob die Einziehung von Taterträgen im Jugendstrafrecht zwingend anzuordnen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 – 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682 ff.; andererseits: Senat, Urteil vom 21. November 2018 – 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222; BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 – 5 StR 95/19, juris Rn. 5 ff. mwN; Beschluss vom 24. Januar 2019 – 5 StR 475/18), muss der Senat hier nicht entscheiden. Unbeschadet dessen, dass das Landgericht schon gar nicht erwogen hat, eine Ermessensentscheidung zu treffen, kann der Senat die Einziehungsentscheidung auch nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nachholen. Den Urteilsgründen ist schon nicht durchgehend hinreichend zu entnehmen, in welcher genauen Höhe Taterträge erlangt sind, ob die erlangten Taterträge, insbesondere die erbeuteten Gegenstände, noch im Besitz der Angeklagten vorhanden sind oder ob insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht kommt. Der Senat hat deshalb auch die entsprechenden Feststellungen aufgehoben.“

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