Heute dann noch einmal ein OWi-Tag. An sich wollte ich andere Entscheidungen vorstellen, aber der Kollege M. Wandt aus Essen hat mir gestern Abend einen Beschluss des OLG Frankfirt am Main geschickt, den ich dann doch schnell hier bringen möchte.
Es handelt sich um den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 23.03.2020 – 2 Ss-OWi 256/20. An sich zunächst mal nichts Besonderes. Es geht um die Rechtsbeschwerde in einem OWi-Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist mit Poliscan. Der Verteidiger hat offenbar (Akten)Einsichtsanträge usw. gestellt, die abgelehnt worden sind. Das wird zum Gegenstand der Rechtsbeschwerde gemacht. Die wird – was beim OLG Frankfurt am Main auch nichts Besonderes ist – zurückgewiesen.
„Aber die Begründung, die ist dann schon etwas Besonderes:
Auf die Gegenerklärung bemerkt der Senat, dass die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts keine Rechtswirkung in Hessen entfaltet und die Ausführungen bereits in rechtlicher Hinsicht in der Sache nicht überzeugen.
Aus technischen Gründen hat die PTB gestützt auf Anlage 2. 7.1. MessEV am
28. Februar 2020 in der neuen Baumusterprüfbescheinigung DE-17-M-PTB0033, Revision 1 für die hier streitgegenständliche Messanlage Poliscan FM 1 die Speicherung von sog. Hilfsgrößen untersagt (Zif. 1.2.3. S. 23 und Zif. 5.1. S. 32 der Baumusterprüfbescheinigung). Hintergrund ist die mißbräuchliche Verwendung dieser gespeicherten Hilfsgrößen in sog. Gutachten.
Gleichlautende Formulierungen finden sich auch in der Baumusterprüfbescheinigung DE-17-M-PTB-0017, Revision 3 für das Messgerät ES 8.0.In beiden Baumusterprüfbescheinigung ist eine entsprechen Umrüstklausel für Altgeräte vorgesehen.
Die rechtliche Folge dieser Entscheidung durch die PTB ist, da die Messgeräte außer dem Falldatensatz keine „Hilfsgrößen“ mehr speichern, dass allfällige Beiziehungsanträge und Einsichtsanträge gegenstandslos sind. Die sog. „Parität des Wissens“ zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenen ist damit sichergestellt. Es existieren nur noch die Daten (Falldaten), die die Verwaltungsbehörde zur Begründung ihres Vorwurfs verwenden darf. Die Frage, ob das rechtliche Gehör dadurch verletzt wird, dass mögliche weitere Daten aus dem Messgerät dem Betroffenen nicht zugänglich gemacht werden bzw. werden können, hat sich damit erledigt.“
Also man kann Festhalten: Die PTB erlässt mal eben eine neue Baumusterprüfbescheinigung, in der „die Speicherung von sog. Hilfsgrößen untersagt“ wird. Grund: „mißbräuchliche Verwendung dieser gespeicherten Hilfsgrößen in sog. Gutachten“. Ah, da liegt also der Hase im Pfeffer. Der PTB – und den ihr folgenden OLG – passen die „sog. Gutachten“ nicht, mit denen Betroffenen versuchen, die sie belastenden Messergebnisse überprüfen zu lassen. Und da schafft man dann eben diese „Hilfsgrößen“ ab bzw. „untersagt“ deren Erhebung. Das erinnert mich ein wenig an Pippi Langstrumpf. Macht die sich nicht auch die Welt so, wie sie ihr gefällt?
Und das OLG? Nun, die klammheimliche Freude des Einzelrichters – natürlich!! – ist aus dem Beschluss deutlich abzuleiten. Das wundert beim OLG Frankfurt am Main nun wirklich nicht. Wie war das noch mit dem PTB-Magazin: 60 „Blitzer“ in Deutschland? Nun ja, muss jeder selber wissen. Und der VerfGH Saarland bekommt dann natürlich auch gleich noch einen mit. Ätsch-Effekt, oder: Mit Euch müssen wir jetzt gar nicht mehr diskutieren. Denn: Die Frage, ob das rechtliche Gehör dadurch verletzt wird, dass mögliche weitere Daten aus dem Messgerät dem Betroffenen nicht zugänglich gemacht werden bzw. werden können, hat sich damit erledigt.“ So kann man Diskussionen auch beenden. Für mich unfassbar. Es macht einfach keinen Spaß mehr.
Ketzerische Frage: Sind das systemseitige Löschen der Rohmessdaten und die angeordnete Nichtspeicherung der Hilfsdaten nicht als Urkundenunterdrückung i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen? Schließlich ist seit Jahren bekannt, dass die Rohmessdaten zur sachverständigen Verifizierung der Messung notwendig sind. Mit der Löschung der Rohmessdaten nach Beendigung der Messung wird dem Betroffenen ein erheblicher Nachteil zugefügt, weil er Messfehler – der „standardisierten Messung“ – und seine „Unschuld“ nicht mehr „nachweisen“ kann
Seht, Seht, der große Magier Jens Optikon mit seiner schwarzen Wunderbox! Welche Zahlen sie wohl diesmal ausspucken wird? Der große Physiker T. aus Braunschweig hat sich die magische Kiste angesehen und attestiert, dass alles mit rechten Dingen zugehe! Welch‘ Kuriosum, welch Faszinosum! Wir Laien werden des Kastens Kern, sein Innerstes, wohl nie verstehen!
Spätestens über den Begriff „sog. Gutachten“ hätte das OLG zwingend stolpern müssen, wenn es rechtsstaatliche Grundsätze, insb. „Fair Trial“ aus Art. 6 EMRK. wenigstens noch einigermaßen Ernst nimmt. Seit wann hat die PTB die Kompetenz, Richtern ihren Prüfungsumfang vorzuschreiben?
Gibt es die DE-17-M-PTB0033, Revision 1 oder die DE-17-M-PTB-0017, Revision 3 irgendwo online? Trotz Suche nicht gefunden. Könnte ein Kundiger mal die Ziffern 1.2.3. S. 23 und Zif. 5.1. hierher kopieren?
Es ist ein Wahnsinn. Habe dazu nach einer Nacht des drüber Schlafens auch mal was gepinselt:
https://kanzleifuerverkehrsrecht.de/eso-und-poliscan-verbot-der-speicherung-von-rohmessdaten-ein-stueck-aus-dem-tollhaus/
Das werden interessante Zeiten. Frohes Schaffen, liebe Kollegen!
Leider funktioniert der Rechtsstaat in diesem Bereich so gut wie gar nicht. Genau das, was der Saarländische VerfGH beanstandet hat, wird von allen OLG – soweit mir bekannt – unisono abgenickt, nämlich dass der Betroffene vollständig und ohne jede Möglichkeit der Überprüfung der staatlichen Feststellung ausgeliefert ist. Das Messgerät ist von der PTB geprüft, damit sind die Ergebnisse richtig, solange kein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung nachgewiesen werden kann, Ende. Wohlgemerkt sind in der Vergangenheit wiederholt bei ebenso geprüften Messgeräten systemische Fehler festgestellt worden! Es wird sich allenfalls etwas ändern, wenn weitere Verfassungsgerichte dem Saarland entsprechend entscheiden, allen voran wäre eine Entscheidung des BVerfG dienlich. Es sollen dort Verfahren anhängig sein; leider ist hier nichts Näheres bekannt. Zum BGH, der wohl darauf wartet, kommt das Thema nun einmal nicht, weil die OLG konsequent mauern, ein echtes Armutszeugnis für den Rechtsstaat.
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@A B C:
In der Zulassung des ESO 8.0 Revision 3 – DE-17-M-PTB-0017 heißt es:
1.2.3. Hilfsgrößen
Die signierte Falldatei beinhaltet keine Hilfsgrößen, die zu einer Verwechselung mit mess- und eichrechtlich relevanten Messgrößen führen könnten.
5.1 Identifizierung der Software
Im Rahmen dieser Revision wird die Verwendung einer neuen Softwareversion der Sensoreinheit mit der Bezeichnung 1.1.0.2 geregelt (siehe Anhang C). Die neue Softwareversion optimiert die Signalauswertung zur Verringerung von Annullationen bei Dunkelheit und gewährleistet, dass es zu keiner Verwechselung von mess- und eichrechtlichen relevanten Messgrößen mit Hilfsgrößen kommen kann. …..
Meiner Meinung nach untersagt die PTB ( bei ESO 8.0) nicht das Speichern der Messdaten. Die Sensordaten die zur Ermittlung des geeichten Geschwindigkeitswertes genutzt werden, werden weiterhin gespeichert. ( = mess- und eichrechtlichen relevanten Messgrößen.
Es könnte sein, dass in der *.eso Datei die „vorläufigen Ergebnisse des Messgerätes“, die sog. „Approx Trigger“ nicht mehr gespeichert werden. Die Messwerte wie diese aktuell vorliegen, sind jedoch nach der Formulierung, gerade diejenigen die gespeichert werden (sollen).
Es führt auch hier immer wieder zu Verwirrung was Rohmessdaten, Messdaten, Ergänzende Daten und Hilfsgrößen sind. Gerade in der Rechtsprechung wird dies oftmals falsch genutzt.
So sind die Daten die selbst aus einer *.eso Datei ausgelesen werden können umfangreicher als im esoDigitales 3 Viewer. Die Auswertung über die Website des Herstellers gibt auch nicht alles preis.
So wird zum Beispiel nirgends erwähnt, dass sowohl der Viewer als auch die Website, bei der Extraktion der Daten diese um ein Offset erweitern.
Leider liegt mir die Zulassung des POLISCAN FM1 noch nicht vor. Wird aber hier nachgereicht sobald ich es habe.
In der Baumusterprüfbescheinigung für PoliScan FM1 steht: „Im Rahmen dieser Revision wird die Verwendung einer neuen Softwareversion mit der Bezeichnung 4.4.9 geregelt. Die Softwareversion 4.4.9 schließt aus, dass es zu einer Verwechslung von mess- und eichrechtlich relevanten Messgrößen mit den in der signierten Falldatei enthalten Hilfsgrößen kommen kann.“
Und weiter:
„Neu in Verkehr gebrachte Geräte sind mit der in dieser Revision geregelten Softwareversion 4.4.9 auszustatten. Bereits im Feld befindliche Geräte sollten – auch auf Wunsch des Herstellers — im Rahmen der nächsten Eichung umgeriistet und mit den zugehörigen Gebrauchsanweisungen ausgestattet werden.“