Beweiswürdigung II: Die Mimik des Angeklagten, oder: „der versonnen lächelnde Angeklagte…“

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 20.11.2019 – 2 StR 467/19 – ist nicht so sehr das interessant, was zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils geführt hat, nämlich eine nicht ausreichende Würdigung eines in einem Missbrauchverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Interessante sind die Ausführungen, die der BGH im Übrigen in Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Täterschaft des Angeklagten macht. Die Strafkammer hatte „ihre Überzeugung von der Täterschaft darauf gestützt, der Angeklagte habe die Vorwürfe „bestätigt“, was durch die Angaben der Geschädigten H. „gestützt und ergänzt“ werde.“

Der BGH führt dazu zunächst aus:

„…. Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Mit der Formulierung, der Angeklagte habe in den Fällen 4 bis 9 der Urteilsgründe „die Vorwürfe bestätigt“, soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, der Angeklagte habe die Begehung der ihm zur Last liegenden Taten gestanden. Die dem zugrundeliegende Würdigung des Prozessverhaltens des Angeklagten begegnet durchgreifenden Bedenken.

aa) Ausweislich der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Vorwürfe zum Nachteil der Geschädigten P. und H. ausdrücklich in Abrede gestellt und sich sinngemäß dahingehend eingelassen, das mache er nicht, das sei verboten. Allerdings habe der Angeklagte, so die Urteilsgründe, „hierzu im Widerspruch“ während des Berichts der aussagepsychologischen Sachverständigen über die Angaben der Geschädigten H. ihr gegenüber „versonnen lächelnd, offensichtlich in Erinnerungen schwelgend, jeweils zustimmend genickt und dies teilweise durch ein geäußertes ‚ja? bestätigt“.

bb) Es kann dahinstehen, inwieweit auch nonverbales Verhalten eines ansonsten zu den Tatvorwürfen im Wesentlichen schweigenden Angeklagten, wovon hier nach den Urteilsgründen auszugehen ist, verwertet werden darf. Voraussetzung ist jedenfalls, dass es in seiner Äußerungsform eindeutig und erheblich ist und dass durch die Bewertung einer spontanen, unreflektierten und in seiner Bedeutung unklaren Körpersprache das Schweigerecht des Angeklagten nicht unterlaufen wird (vgl. Miebach NStZ 2000, 234 mwN). Dies zugrunde gelegt, erweist sich die von der Strafkammer gegebene Begründung, warum im Verhalten des Angeklagten ein Geständnis sexueller Übergriffe auf die Geschädigten zu sehen sei, als nicht tragfähig.

Die nur sehr knapp dargestellte Verfahrenssituation (Bericht über Zeugenaussagen) lässt für sich genommen einen eindeutigen Schluss auf den Aussagegehalt der Mimik des Angeklagten nicht zu. Die Strafkammer teilt nicht mit, worauf konkret sie ihre Annahme gründet, der Angeklagte habe „offensichtlich in Erinnerungen schwelgend“ genickt. Die Möglichkeit, dass der an einer geistigen Behinderung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung leidende Angeklagte, der seine sexuellen Bedürfnisse nach den Feststellungen durch täglich mehrfache Selbstbefriedigung und den Besuch von Bordellen befriedigt, allein durch die Tatschilderung zu einer „versonnen lächelnden“, „schwelgenden“ Mimik veranlasst worden sein könnte, hat das Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen und erörtert. Die von der Strafkammer für ihre Annahme einer „Bestätigung“ herangezogenen weiteren Spontanreaktionen des Angeklagten erweisen sich ebenfalls als nicht hinreichend tragfähig. Bei „spontanen Reaktionen“ des Angeklagten während der Vernehmungen der Geschädigten zu Fall 1 der Urteilsgründe und der Zeugin P. zu einem von dieser geschilderten weiteren Vorfall nimmt die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick, dass der Angeklagte die Tat zu Fall 1 – anders als in den mit Fall 1 in keinem Zusammenhang stehenden Fällen 4 bis 9 – zumindest zu Beginn eingeräumt hat und dass der weitere Vorfall weder Gegenstand der Anklage war noch als zutreffend festgestellt wurde. Soweit der Angeklagte „ungefragt“ den Standort seines Fernsehers mitgeteilt hat, ist ein hinreichend klarer Tatbezug nicht erkennbar. Damit bleibt die Würdigung der Strafkammer, der Angeklagte habe entgegen seinem ausdrücklichen Bestreiten die Begehung der ihm zur Last liegenden Taten gestanden, ohne revisionsgerichtlich nachvollziehbaren Beleg…..“

Aber:

„b) Soweit sich die Strafkammer auf die Angaben der Geschädigten H. stützt, fehlt es an einer hinreichenden Würdigung des eingeholten aussa- gepsychologischen Gutachtens…..“

aa) Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der nach den Feststellungen des Landgerichts „geistig behinderten, neunjährigen Zeugin“ H. , auf de- ren Angaben die Verurteilung des Angeklagten fußt, hat die Strafkammer ein aussagepsychologisches Gutachten eingeholt. Sie hat dessen Inhalt augenscheinlich vollständig auf den Seiten 41 bis 66 der Urteilsgründe wiedergegeben und den Satz angefügt, dass sich die Strafkammer „den Ausführungen der Sachverständigen nach eigener kritischer Würdigung“ anschließe. Dies wird den Anforderungen an eine eigene tatrichterliche Beurteilung nicht gerecht.

bb) Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Will das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen folgen, hat es zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen, die zum Verständnis des Gutachtens erforderlich sind, darzulegen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 182). Dabei ist aber schon eine ins einzelne gehende Darstellung von Konzeption, Durchführung und Ergebnissen der erfolgten Begutachtung regelmäßig nicht erforderlich, vielmehr ist es ausreichend, dass die diesbezüglichen Ausführungen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen in einer Weise enthalten, die zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 . 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165, 166). Das Urteil muss sodann erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dem Gutachten aus eigener Überzeugung anschließt und warum es ihm folgt; erforderlich ist eine eigenverantwortliche Prüfung der Ausführungen des Sachverständigen, andernfalls besteht die Besorgnis, das Gericht habe eine Frage, zu deren Beantwortung es eines besonderen Sachverständigenwissens bedurfte, ohne diese Sachkunde entschieden oder es habe das Gutachten nicht richtig verstanden (KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 141 mwN).

cc) Diesem Maßstab werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Weder durch die lediglich floskelhafte Behauptung eigener kritischer Prüfung noch durch eine erkennbar von Sachkunde getragene Zusammenfassung der wesentlichen Anknüpfungspunkte und methodischen Darlegungen der Sachverständigen bringen die Urteilsgründe zum Ausdruck, dass die Strafkammer dem Gutachten nur aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung folgt. Die Urteilsgründe lassen vielmehr besorgen, dass die Strafkammer nicht hinreichend beachtet hat, dass es nicht Aufgabe des Sachverständigen ist, darüber zu befinden, ob die zu begutachtende Aussage wahr ist oder nicht; das Gutachten soll vielmehr dem Gericht die Sachkunde vermitteln, mit deren Hilfe es die Tatsachen feststellen kann, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlich sind (Senat, Urteil vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03 Rn. 8, NStZ-RR 2004, 87 f.).“

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