Heute ist Samstag und damit „Kessel Buntes Tag“.
Und in dem „Kessel“ köchelt als erstes das BGH, Urt. v. 01.10.2019 – VI ZR 164/18, das zum erforderlichen Grad der tatrichterlichen Überzeugungsbildung beim Verdacht eines manipulierten Verkehrsunfalls Stellung nimmt. Ja, manupulierter Unfall. Dazu hat es hier schon länger nichts mehr gegeben
Geklagt hat eine Schaustellerin und Eigentümerin eines Autoscooters. In deren Fahrgeschäft war der Beklagte zu 2 in einer Sommernacht des Jahres 2013 mit einem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Mercedes Sprinter des Beklagten zu 3 gefahren, wodurch dass Fahrgeschäftt erheblich wurde. Das LG und das OLG Celle haben die Klage und die Berufung der Klägerin abgewiesen. Deren Revision hatte beim BGH Erfolg:
„Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass in der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Gesamtschau der Indizien von einer Unfallmanipulation auszugehen sei. In der Gesamtheit der gegebenen Umstände sei eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation festzustellen (§ 286 ZPO), was zur Klageabweisung führen müsse. Für die erforderliche Überzeugungsbildung über die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Unfalls komme es nicht auf bestimmte, immer gleiche Beweisanzeichen an. Auch sei ohne Bedeutung, wenn sich für einzelne Indizien – isoliert betrachtet – eine plausible Erklärung finden lasse oder die Umstände jeweils für sich allein nicht den Schluss auf ein gestelltes Ereignis nahelegten. Entscheidend sei vielmehr die Werthaltigkeit der Beweisanzeichen. Der Berufungssenat sei davon überzeugt, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten auch der Klägerin ergebe.
II.
Die Revision hat Erfolg.
1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Ersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG nicht verneinen. Das Berufungsgericht hat seiner Beweiswürdigung ein falsches Beweismaß zugrunde gelegt, indem es für seine Überzeugung vom Vorliegen einer Unfallmanipulation im Sinne des § 286 ZPO deren erhebliche Wahrscheinlichkeit hat genügen lassen.
a) Nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln hat der Kläger im Haftpflichtprozess grundsätzlich das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale und damit insbesondere auch des äußeren Tatbestands der Rechtsgutverletzung zu beweisen. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert. Dagegen ist die Einwendung des Beklagten, der Kläger sei mit dieser Verletzung seines Rechtsguts einverstanden gewesen, vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer darzutun und – ebenfalls nach § 286 ZPO – zu beweisen (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 345, juris Rn. 27 und – VI ZR 36/76, VersR 1978, 865, 866, juris Rn. 10 f.; vom 6. März 1978 – VI ZR 269/76, VersR 1979, 514, juris Rn. 9; vom 5. Dezember 1978 – VI ZR 185/77, VersR 1979, 281, 282 juris Rn. 9).
b) Zwar hat der Senat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich der Tatrichter gerade in Fällen der möglichen Unfallmanipulation bewusst sein sollte, dass eine Überzeugungsbildung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraussetzt (Senatsurteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 346, juris Rn. 28). Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Senatsurteile vom 11. November 2014 – VI ZR 76/13, NJW 2015, 411 Rn. 23; vom 16. April 2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 8; vom 19. Oktober 2010 – VI ZR 241/09, NJW 2011, 375 Rn. 21; vom 12. Februar 2008 – VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 11; vom 4. November 2003 – VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778, juris Rn. 9; vom 18. Januar 2000 – VI ZR 375/98, VersR 2000, 503, 505, juris Rn. 18).
Doch liegt in dieser Aufforderung zur lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung. Irrig wäre daher die Annahme, der Tatrichter dürfe sich in Fällen dieser Art mit einer bloßen, wenn auch erheblichen Wahrscheinlichkeit begnügen (so aber KG, NZV 1991, 73; NZV 2003, 87, juris Rn. 4; NZV 2003, 85, juris Rn. 3; Beschlüsse vom 20. August 2007 – 12 U 11/07, juris Rn. 3 ff.; vom 9. März 2011 – 22 U 10/11, juris Rn. 8; OLG Naumburg, NZV 2015, 193 Rn. 21, juris Rn. 25; OLG Celle, NZV 2016, 275; OLG Saarbrücken, NZV 2018, 218 Rn. 24, juris Rn. 30; zutreffend hingegen OLG Hamm, NZV 2008, 91, 92, juris Rn. 8; NJW-RR 2017, 1368 Rn. 17, juris Rn. 23; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2018, 538 Rn. 24, juris Rn. 26). Denn nach § 286 ZPO muss der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme entscheiden, ob er eine Behauptung für wahr oder nicht für wahr hält, er darf sich also gerade nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit beruhigen. § 286 ZPO stellt dabei nur darauf ab, ob der Tatrichter selbst die Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung gewonnen hat. Diese persönliche Gewissheit ist für die Entscheidung notwendig, und allein der Tatrichter hat die Entscheidung zu treffen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Eine von allen Zweifeln freie Überzeugung setzt das Gesetz dabei wie ausgeführt nicht voraus. Insofern kann die objektiv erhebliche Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Geschehens zwar im Einzelfall zur Begründung der persönlichen Gewissheit des Tatrichters ausreichen, wenn dieser an sich mögliche Zweifel überwindet. Von der Erlangung der persönlichen Gewissheit des Richters von der Wahrheit darf jedoch nicht abgesehen werden (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 255 f., juris Rn. 72 mwN; vgl. weiter Senatsurteil vom 16. April 2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 7). Hält der Tatrichter ein bestimmtes Geschehen selbst nur für hinreichend oder überwiegend wahrscheinlich, ohne sich dessen gewiss zu sein, kann dies für eine Überzeugungsbildung nur im Rahmen des – hier nicht in Rede stehenden – § 287 ZPO genügen (vgl. hierzu zuletzt etwa Senatsurteile vom 29. Januar 2019 – VI ZR 113/17, VersR 2019, 694 Rn. 12; vom 17. September 2019 – VI ZR 494/18, z.V.b.; jeweils mwN).
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine solche Beweiserleichterung in Fällen der Unfallmanipulation nur in Ausnahmefällen denkbar sein wird, da es gerade im Wesen der Unfallmanipulation liegt, ein echtes Unfallgeschehen zumindest als möglich erscheinen zu lassen, weshalb die Entkräftung eines etwaigen Anscheins gewissermaßen „eingebaut“ ist (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 346, juris Rn. 28 und – VI ZR 36/76, VersR 1978, 865, 866, juris Rn. 15). Einen solchen Ausnahmefall hat der Senat in der Vergangenheit etwa anerkannt, wenn eine für eine Unfallmanipulation besonders typische Gestaltung des angeblichen Unfallgeschehens vorliegt und dem Kreis der Beteiligten die Praktiken des Unfallbetruges nicht fremd sind (Senatsurteile vom 6. März 1978 – VI ZR 269/76, VersR 1979, 514, 515, juris Rn. 11, 18 ff.; vom 5. Dezember 1978 – VI ZR 185/77, VersR 1979, 281, 282, juris Rn. 17). Liegt eine solche Ausnahmekonstellation nicht vor, rechtfertigt allein die Häufung von Beweisanzeichen nicht die Anwendung des Anscheinsbeweises (entgegen OLG Naumburg, NZV 2015, 193 Rn. 21, juris Rn. 25; ungenau OLG Koblenz, NZV 2006, 262, 264, juris Rn. 24); die Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation wird vielmehr nur der Überzeugungsbildung des Tatrichters dahin dienen können, dass eine solche vorliegt (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 346, juris Rn. 28).
d) Nach diesen Grundsätzen ist die angegriffene Entscheidung nicht frei von Rechtsfehlern. Der äußere Tatbestand der Rechtsgutverletzung, die Beschädigung des im Eigentum der Klägerin stehenden Autoscooters durch den vom Fahrweg abgekommenen Kastenwagen des Beklagten zu 3, ist festgestellt. Damit hat die Klägerin ihrer Vortrags- und Beweislast zunächst genügt. Soweit die Beklagte zu 1 auf Rechtswidrigkeitsebene einwendet, die Klägerin sei mit der Verletzung ihres Rechtsguts einverstanden und der Unfall manipuliert gewesen, hat das Berufungsgericht zwar im Ausgangspunkt zu Recht eine Gesamtschau der hierfür und hiergegen sprechenden Indizien vorgenommen. Für seine abschließende Überzeugungsbildung hätte es jedoch die bloß erhebliche Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens nicht genügen lassen dürfen, ohne sich eine persönliche Gewissheit hiervon zu verschaffen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise einen Beweis des ersten Anscheins Anwendung finden lassen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt; sie sind auch nicht im Übrigen ersichtlich.“
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