Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Dresden, Beschl. v. 06.05.2019 – 15 Qs 30/19 -, ist nicht viel besser als der vorhin vorgestellte Beschluss des BVerfG. Hier geht es mal wieder um die Verfahrensgebühren Nrn. 4130, 4141 VV RVG.
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen das den Angeklagten verurteilende Urteil des LG Revision ein, ohne diese zu begründen. Mit Schriftsatz des Pflichtverteidigers vom 12.03.2018 beantragte dieser Akteneinsicht und regte zudem gegenüber der Staatsanwaltschaft an, die Revision zurückzunehmen, ohne dies zu begründen. Nach der Absetzung des Urteils durch das LG nahm die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 16.04.2018 die Revision zurück. Der Verteidiger macht die Gebühren Nrn 4130, 4141 VV RVG geltend. Letztlich werden beide nicht festgesetzt:
1. Eine Vergütung für Tätigkeiten im Rahmen des Revisionsverfahrens kann der Verteidiger nicht geltend machen, weil die Staatsanwaltschaft ihre Revision vor deren Rücknahme noch nicht begründet hatte.
„Für eine anwaltliche Tätigkeit im Revisionsverfahren besteht für den Angeklagten grundsätzlich so lange keine sachliche Notwendigkeit, wie die Staatsanwaltschaft eine von ihr gegen diese eingelegte Revision nicht begründet hat, so dass für eine Erstattung von vor diesem Zeitpunkt entstandenen Anwaltskosten an den Angeklagten kein Raum ist. Zwar hat ein Angeklagter durchaus ein anzuerkennendes Interesse, die Erfolgsaussichten einer von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision zu erfahren. Vor Zustellung des Urteils und Begründung der Revision beschränkt sich dieses Interesse aber auf ein subjektives Beratungsbedürfnis, während hingegen objektiv eine Beratung weder erforderlich noch sinnvoll ist. Denn sachgerechte und zweckdienliche Tätigkeiten eines verständigen Verteidigers können erst dann angezeigt sein, wenn feststeht, dass die Staatsanwaltschaft das von ihr eingelegte Rechtsmittel nach näherer Überprüfung der Erfolgsaussichten überhaupt weiterverfolgt und wenn dann an Hand der Anträge und der Begründung (§ 344 StPO) das Ziel und der Umfang der Revisionsangriffe feststellbar sind. Der dann feststehende Gegenstand der Revisionsrügen ermöglicht erst eine auf den Einzelfall bezogene und das weitere Vorgehen präzisierende Beratung des Angeklagten durch den Verteidiger. Vor Zustellung einer Revisionsbegründung kann der Angeklagte sich mit seinem Verteidiger nur über potentielle und hypothetische Revisionsangriffe beraten und theoretisch eine bestimmte Verteidigungsstrategie entwerfen; eine diesbezügliche Tätigkeit des Verteidigers wäre nur spekulativ, also gerade nicht zweckentsprechend und sachgerecht (OLG Koblenz, Beschl. vom 03.07.2006 – 2 Ws 424/06 – Rn. 3).
Aus diesem Grund kann schon die Verfahrensgebühr (Nr. 4130 VV RVG) nicht geltend gemacht werden (OLG Köln, Beschl. v. 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15 – Rn. 19).
2.
Im Übrigen wäre die Gebühr Nr. 4141 VV RVG auch unabhängig hiervon nicht entstanden.
Die Kammer hält an ihrer Auffassung fest, wonach der Beitrag des Rechtsanwalts für die Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung (mit-)ursächlich gewesen sein muss, damit die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entsteht (so auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 05.07.2017 – 2 Ws 35/17 – Rn. 7; KG Berlin, Beschl. v. 30.09.2011 – 1 Ws 66/09 – Rn. 5; OLG Köln, Beschl. v. 11.03.2009-2 Ws 55/09 – Rn. 11). Das Erfordernis der (Mit-)Ursächlichkeit folgt bereits daraus, dass die Hauptverhandlung „durch“ die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich werden muss, die in Abs. 2 der Nr. 4141 VV RVG lediglich dahin konkretisiert wird, dass eine auf die Förderung des Verfahrens, d. h. konkret die Rücknahme, gerichtete Tätigkeit erforderlich ist. Auch aus den vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes. Diese betreffen entweder den Fall der Rücknahme der vom Verteidiger oder Angeklagten eingelegten Revision (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2005 – 1 Ws 288/05; LG Hagen, Beschl. v. 23.02.2006 – 51 KLs 400 Js 815/04) oder behandeln den Fall, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts zwar für die Förderung der Verfahrenserledigung geeignet war, diese jedoch nicht als besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit zu qualifizieren war (BGH, Urt. v. 18.09.2008- IX ZR 174/07 – Rn. 12; OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.03.2010 – 2 Ws 29/10 – Rn. 18, wonach die Tätigkeit zumindest objektiv geeignet sein muss, die Verfahrenserledigung zu fördern). Das hiesige Verfahren betrifft jedoch eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte und zurückgenommene Revision, bei der die Tätigkeit des Rechtsanwalts für die Förderung der Verfahrenserledigung schon nicht geeignet war.
Zwar liegt die Beweislast dafür, dass die Tätigkeit des Verteidigers für die Verfahrenserledigung nicht förderlich war, bei der Staatskasse (KG Berlin, Beschl. v. 17.12.2008 – 1 Qs 345/08). Die Kammer ist jedoch bereits aufgrund der Aktenlage davon überzeugt, dass dies hier der Fall war. Der Beschwerdeführer hat die Rücknahme der Revision hier vor der Zustellung des angegriffenen Urteils ohne jede Begründung angeregt. Die Revisionsrücknahme durch die Staatsanwaltschaft ist dann unmittelbar nach der Zustellung des Urteils erfolgt. Hiernach ist es fernliegend, dass sich die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung über die Rücknahme des Rechtsmittels von der Anregung des Beschwerdeführers hat beeinflussen lassen.“
In meinen Augen zweimal „dummes Zeug“, denn:
Natürlich ist die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG zu erstatten, denn der Mandant hat auch in der Phase Anspruch auf anwaltlichen Beistand. Die Gebühr ist entstanden, denn der Verteidiger ist tätig geworden. Also besteht ein Anspruch gegenüber der Staatskasse.
Und die Nr. 4141 VV RVG. Warum soll die nicht entstanden. sein. Das ist „fernliegend“. Im Übrigen: „Interessant“, wie die Strafkammer mit irgendwelchen Annahmen zu Lasten des Verteidigers operiert.