Die zweite Entscheidung kommt mit dem VerfGH Sachsen, Beschl. v. 01.08.2019 – Vf. 39-IV-19 – aus Sachsen. Er verhält sich zum sog. Auffindeverdacht.
Hintergrund des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist ein bei der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen die als Rechtsanwältin tätige Beschwerdeführerin geführtes Ermittlungsverfahren (603 Js 6823/18) wegen des Verdachts des Diebstahls bzw. der Unterschlagung. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Strafanzeige des ehemaligen Kanzleipartners Z. der Beschwerdeführerin vom 14.12.2017. Dieser gab an, im Zuge der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft bemühten sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Partner W. und Z., die ihrerseits weiter zusammenarbeiten wollten, bei bestehenden Mandanten um Folgebeauftragung, wozu entsprechende Vollmachten erteilt würden. Am Morgen des 14.12.2017 sei das Verschwinden verschiedener Unterlagen von Mandanten, die bereits neue Vollmachten für W. und Z erteilt hätten, aus dem gemeinsamen Büro festgestellt worden. Diese Unterlagen seien am Vortag noch vollständig vorhanden gewesen. Einbruchsspuren seien nicht erkennbar gewesen.
Aus der beigezogenen Ermittlungsakte ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin per E-Mail vom 03.01.2018 mitteilte, ihr sei ein entsprechender Vorfall nicht bekannt. Der zum Sachverhalt vernommene Zeuge L. erklärte, er schließe aus, dass kanzleifremde Personen das Büro unbeobachtet betreten könnten. Laut Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 01.02.2018 bestand zwar ein Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin, sollten aber vor Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses zunächst die Details der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft weiter aufgeklärt werden. Eine Verzögerung der Durchsuchung wurde als unproblematisch angesehen, weil die Beschwerdeführerin ohnehin bereits von der Anzeige gewusst habe. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurden u.a. der Mitarbeiter R. der Kanzlei sowie die ehemalige Partnerin W. zum Sachverhalt befragt und eine Auflistung fehlender Unterlagen sowie vorhandener Vollmachten eingeholt.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG dann am 03.05.2018 einen Durchsuchungsbeschluss betreffend u.a. die Wohnung und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin. Gesucht werden sollte nach Jahresabschluss- und Arbeitsordnern sowie weiteren Unterlagen für verschiedene namentlich genannte Mandanten. Die Durchsuchung fand am 24.05.2018 statt.
Die beschuldigte Rechtsanwältin hat sich jetzt noch beim VerfGH Sachsen gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung gewendet, nachdem ihre Rechtsmittel beim LG Leipzig keinen Erfolg hatten. Der VerfGH hat die Verfassungsbeschwerde teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet angesehen. Hier die Ausführungen zur Begründetheit – zur Zulässigkeit bitte im VT selbst nachlesen:
„3. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie offensichtlich unbegründet.
Die angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts Leipzig vom 3. Mai 2018 und des Landgerichts Leipzig vom 8. April 2019 verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 30 Abs. 1 SächsVerf.
a) Art. 30 Abs. 1 SächsVerf schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung, wozu auch Arbeits- und Geschäftsräume wie Anwaltskanzleien gehören können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; Beschluss vom 31. Januar 2008 – Vf. 93-IV-07; Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08). Eine Durchsuchung, die in diese grundrechtlich geschützte Sphäre eingreift, ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 30 Abs. 2 SächsVerf und – wie alle Maßnahmen im Strafverfahren – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.).
Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen, muss ein auf § 102 StPO gestützter schriftlicher Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen in gegenständlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Er hat grundsätzlich auch die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so zu bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann; dabei sind die Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, ausgehend vom jeweiligen Kenntnisstand lediglich so zu umschreiben, dass sie von anderen Gegenständen unterschieden werden können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; st. Rspr.).
Neben diesem formellen Erfordernis unterliegt ein Durchsuchungsbeschluss in materieller Hinsicht dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Durchsuchung nicht den Erfolg verspricht, geeignete Beweismittel zu erbringen, oder andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; st. Rspr.). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden ist, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts steht (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18; vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 – juris Rn. 24; Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006, BVerfGE 115, 166 [198]; Beschluss vom 31. August 2010 – 2 BvR 223/10 – juris Rn. 25). In die vorzunehmende Abwägung sind neben dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch weitere von der Durchsuchung betroffene Grundrechte, auch solche Dritter, sowie die Schwere des Eingriffs in den jeweiligen Schutzbereich einzustellen. So stellt eine Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt wegen des Vertrauens, das ihm seine Mandanten entgegenbringen, regelmäßig einen besonders gewichtigen Eingriff nicht nur in seine Privatsphäre, sondern auch in sein Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) und in das Persönlichkeitsrecht seiner Mandanten dar (SächsVerfGH, Beschluss vom 18. Oktober 2001 – Vf. 82-IV-99; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 und 1258/94 – juris Rn. 14).
b) Diesen Anforderungen genügt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er ist in formeller Hinsicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (hierzu aa) und hält auch einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (hierzu bb).
aa) Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er beschreibt den der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend (hierzu 1) und bezeichnet die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte (hierzu 2).
(1) Vom Ermittlungsrichter ist zu verlangen, dass im Durchsuchungsbeschluss ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das – wenn es wirklich begangen worden sein sollte – den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (Sächs-VerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 – juris Rn. 16).
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, der Durchsuchungsbeschluss genüge im Hinblick auf die Darstellung des Tatvorwurfs nach dem Stand der Ermittlungen diesen rechtsstaatlichen Anforderungen, indem zum einen konkret das der Beschwerdeführerin angelastete Verhalten einschließlich Tatort und -zeit, zum anderen das subjektive Vorstellungsbild der Beschwerdeführerin geschildert werde.
(2) Auch die Bezeichnung der Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte, in dem angegriffenen Durchsuchungsbeschluss genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie sind (noch) so konkret bezeichnet, dass die mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten ohne Weiteres in die Lage versetzt wurden, die Gegenstände in den Durchsuchungsobjekten aufzufinden, so dass der Eingriff messbar und kontrollierbar blieb.
Der hiergegen gerichtete Einwand der Beschwerdeführerin, die Beweismittel seien nicht konkret bezeichnet bzw. frei erfunden und gar nicht existent, insbesondere sei es unklar, worum es sich bei den aufzufindenden Arbeitsordnern „S.“ und „Z.“ handeln könnte, vernachlässigt, dass nach dem dargelegten Tatvorwurf das Hauptaugenmerk der Durchsuchung nicht auf einzelnen Unterlagen, sondern auf der Herkunft von namentlich aufgeführten Mandanten lag, deren Dokumente die Beschwerdeführerin unberechtigterweise in Gewahrsam haben sollte.
bb) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich und stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachtes, genügt ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
(1) Das Amtsgericht – und ihm folgend das Landgericht – ist ohne erkennbaren Verfassungsverstoß von einem zureichenden, nicht auf bloßen Vermutungen gründenden Anfangsverdacht des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB ausgegangen. Dass sich allein auf der Grundlage der vorliegenden Anhaltspunkte der Vorwurf nicht zwangsläufig nachweisen ließe, sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung ergab, liegt in der Natur des Anfangsverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 – juris Rn. 22).
Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Strafanzeige sei lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen und unsorgfältig geprüft worden, setzt der fachgerichtlichen Bewertung der Anknüpfungstatsachen für einen für die Durchsuchungsmaßnahme hinreichenden Tatverdacht lediglich ihre hiervon abweichende Bewertung entgegen, ohne insoweit auch nur ansatzweise einen Verfassungsverstoß darzulegen.
(2) Die durch das Landgericht bestätigte Wertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet gewesen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997, BVerfGE 96, 44 [51]) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – 2 BvR 389/13 – juris Rn. 22). Dass dem Durchsuchungsbeschluss vom 3. Mai 2018 der Verdacht des Diebstahls im Zeitraum 13./14. Dezember 2017 und damit knapp fünf Monate zuvor zugrunde lag, hindert nach der Art des Tatverdachts nicht die Annahme eines hinreichenden Auffindeverdachts.
(3) Die durch das Landgericht bestätigte Bewertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich und angemessen, hält ebenfalls einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.
Der Eingriff stand in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts. Die in Betracht kommende Straftat war von ihrem Unrechtsgehalt her nicht lediglich im unteren Bereich anzusiedeln, mithin nicht geringfügig, und offenbarte – eine Bestätigung des Verdachts unterstellt – ein planvolles Vorgehen der Beschwerdeführerin. Als geringfügig gelten Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 2 BvR 497/12 – juris Rn. 19). Vorliegend stand der Verdacht eines Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB im Raum, der im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht und daher in diesem Sinne schon nicht mehr geringfügig war.
Wird ein für die Durchsuchung hinreichender Tatverdacht gegen die Beschwerdeführerin angenommen, haben die Ermittlungsbehörden – auch im Lichte der besonderen Anforderungen an die Rechtfertigung von Durchsuchungsmaßnahmen (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27 m.w.N.; (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.) – auch keine naheliegenden grundrechtsschonenden Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterlassen. Angesichts der dem Beschluss vorangegangenen Ermittlungsmaßnahmen waren die Ermittlungsbehörden von Verfassungs wegen nicht gehalten, vor der Durchführung einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin weitere Angestellte der ehemaligen Partnerschaftsgesellschaft oder Mitarbeiter der vor Ort möglicherweise tätig gewordenen Entsorgungsfirmen als Zeugen zu vernehmen oder andere Räumlichkeiten – etwa jene der ehemaligen Partner der Beschwerdeführerin bzw. Archivräume – zu durchsuchen.)