Heute dann ein OWi-Tag. Und an dem kommt dann natürlich zuerst das VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – LV 7/17, das die Kollegin Zimmer-Gratz aus Bous „erstritten“ hat. Auf die Entscheidung ist ja gestern auch schon an verschiedenen Stellen hingewiesen worden. Es hat auch den Weg in die überörtlichen „Gazetten“ gefunden.
Es geht mal wieder um Messverfahren, und zwar dieses Mal um eine Messung mit Traffistar S 350 der Firma Jenoptik. Im Streit war die Frage, ob die Messungen mit Traffistar S 350 verwertbar sind, da die Rohmessdaten zur nachträglichen Überprüfung einer Messung nicht zur Verfügung stehen. Das AG Saarbrücken und das OLG Saarland hatten damit kein Problem und hatten im Wesentlichen das Argument: Standardisiertes Messverfahren, hervorgeholt.
Das VerfG Saarland sieht das nun anders und hat in seinem umfassend begründeten Urteil dargelegt, dass und warum der Betroffene auch bei standardisierten Messverfahren die Möglichkeit haben muss, die dem Verfahren zugrunde gelegte Messung zu überprüfen. Ich empfehle dringend die Lektüre der Entscheidung, die folgenden Leitsatz hat:
Das Grundrecht auf wirksame Verteidigung schließt auch in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung ein, dass die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Plausibilitätskontrolle zur Verfügung stehen.
Man wird nun sehen, wie es weitergeht. Jedenfalls sind die Messungen mit Traffistar S 350 so nicht verwertbar. Das ist für alle noch laufenden Verfahren von Bedeutung. Bei bereits abgeschlossenen Verfahren stellt sich dann die Frage einer Wiederaufnahme. Da ist dann aber die hohe Hürde des § 85 OWiG zu überwinden. Nach dessen Abs. 2 ist die Wiederaufnahme nicht zulässig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße bis zu 250 € festgesetzt ist oder seit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung drei Jahre verstrichen sind. Und es stellt sich die Frage. Ist der Beschluss des VerfG Saarland eine „neue Tatsache“ im Sinn des § 85 Abs. 2 OWiG? Das habe ich jetzt noch nicht geprüft.
Im Übrigen: Ich bin gespannt, wie aus den anderen Bundesländern reagiert werden wird. Wir hatten ja schon mal einen Paukenschlag aus dem Saarland, nämlich den der VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 – (dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…). Und darauf kam dann ja aus Bayern die Antwort im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 (vgl. dazu: Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt. Ich bin gespannt, ob man das VerfG Saarland wieder so von oben herab behandeln wird. So einfach ist das allerdings m.E. nicht. Denn das VerfG hat die Eigenschaft „standardisiertes Messverfahren“ nicht bestritten und setzt sich mit dem auch auseinander. Es sagt nur das, was m.E. auch der BGH sagt: Auch ein standardisiertes Messverfahren muss überprüfbar sein, und zwar auch und vor allem vom Betroffenen. Da hilft m.E. auch nicht das von der OLG-Rechtsprechung erfundene „antizipierte Sachverständigengutachten“ der PTB.
Es bleibt also spannend.
Allerdings sehr spannend. Ich meine auch, dass diese klare und korrekte Auslegung der BGH-Beschlüsse aus den 90ern die OLGe, die vom VerfGH abweichen wollen, zwingen wird, eine Divergenzvorlage zum BGH zu schreiben. Anderenfalls würde ich jedenfalls anzweifeln, ob das noch Art. 101 I 2 GG entspricht.
Fragt sich, was jetzt mit den Poliscan speed Messungen geschieht, arbeiten ja schließlich ähnlich….
Na ja, der BGH wartet ja schon geraume Zeit auf eine Vorlage, die aus offensichtlichen Gründen nicht erfolgt; m. E. wissen die OLG ganz gut, dass Ihnen der BGH einen wesentlichen Teil Ihrer Rechtsprechung um die Ohren hauen wird (man muss nur mal den Aufsatz von Czerniak lesen…).
Ich möchte fast wetten, dass es weitergehen wird wie bisher, nur im Saarland muss die Entscheidung respektiert werden, zumal das Gericht ja schon darauf hingewiesen hat, alle Entscheidungen aufzuheben, die das nicht berücksichtigen, also Steilvorlage für noch laufende Verfahren, sollte doch anders entschieden werden.
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Da sich allerdings das OLG Saarbrücken an die Entscheidung halten muss, werden zumindest dort die Argumente gegen eine Divergenzvorlage so langsam knapp…
Sie wissen doch, wie man das macht.
Man wird schreiben, wir verstehen den BGH mit den anderen OLG so – und zwar richtig -, und damit liegt dann keine Divergenz mehr vor 😀 😀
Traurig, aber wahr.
Zum Glück sind im Saarland aber nachweislich kompetente Kolleg(inn)en am Werk, die auch damit umzugehen wissen werden… 😉
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