In die 31. KW. starte ich dann heute mit etwas schwerer Kost, nämlich mit dem BVerfG, Beschl. v. 05.07.2019 – 2 BvR 167/18. Das ist die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung.
Das LG hatte die Angeklagten alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) oder gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 259 Abs. 1, § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 19 beziehungsweise 15 Fällen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Revision gegen dieses Urteil hatte der BGH mit BGH, Urt. 25.10.2017 – 2 StR 495/12 – verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, mit der geltend gemacht worden ist, dass die echte Wahlfeststellung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße, weil die Verurteilung in der Wahlfeststellungssituation nicht auf einer gesetzlichen, sondern auf einer dritten, ungeschriebenen Norm beruhe. Des Weiteren verletze die gesetzesalternative Verurteilung die Unschuldsvermutung.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet angesehen und dazu im Wesentlichen folgende Kernaussagen getroffen.
- Die Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot. Denn: Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze bestimmen in dieser besonderen Beweissituation die Voraussetzungen, unter denen das Tatgericht trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel eine Verurteilung auszusprechen hat. Die Regeln zur Wahlfeststellung dienen nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist; sie ermöglichen ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken.
- In der Wahlfeststellungssituation kommt auch keine außergesetzliche Norm zur Anwendung. Der Angeklagte wird ausschließlich wegen der Verletzung alternativ in Betracht kommender – gesetzlich bestimmter – Einzelstraftatbestände (wahldeutig) verurteilt.
- Die ungleichartige Wahlfeststellung verletzt nicht den von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Grundsatz „nulla poena sine lege“, der das Gebot der Gesetzesbestimmtheit auch auf die Strafandrohung erstreckt. Das Tatgericht entnimmt Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.
- Die gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen trägt der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung hinreichend Rechnung. Denn: Zwar kann dem Angeklagten in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen, insoweit ein eindeutiger Tat- und Schuldnachweis nicht geführt werden. Andererseits steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht hat. Zweifelhaft ist nicht, ob sich der Angeklagte nach einem bestimmten Tatbestand strafbar gemacht hat, sondern aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts, welches Strafgesetz verletzt ist.
- Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage zur Vermeidung der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Tatfeststellung und ein eindeutiger Tatnachweis nicht möglich sind. Die Möglichkeit einer Wahlfeststellung darf nicht dazu führen, dass die weitere Aufklärung des Tatsachenstoffs unterbleibt.
Das Vorstehende beruht(e) auf der PM des BVerfG. Die Einzelheiten bitte im Beschluss des BVerfG selbst nachlesen.
Ging ja mal richtig schnell, nach 5 Jahren Verfahrensdauer beim BGH nur knapp 1 Jahr beim BVerfG.
Ja, dafür haben Sie bestimmt mehrere U-Haft-Sachen auf der Fensterbank liegen lassen 🙂 .
„Sie“ oder „sie“? Verstehe ich jetzt weder in die eine noch in die andere Richtung.
Musste natürich „sie“ heißen, sorry. Dann sollte es sich m.E. erschließen.