Als zweite Entscheidung des Tages stelle ich dann den OLG München, Beschl. v. 13.06.2019 -2 Ws 587/19 – ein/vor, den mir der Kollege T. Scheffler aus Bad Kreuznach übersandt hat.
Im Beschluss geht es u.a. um Haftfortdauer. Das OLG München hat – was mich nicht wirklich überrascht – keine Probleme, bei einer noch zu verbüßenden Reststrafe von noch neun Monaten weiterhin Fluchtgefahr zu bejahen. Die Begründung überlasse ich der Selbstlektüre. Sie enthält nichts Besonderes. Das haben wir alles schon mal so oder ähnlich gelesen.
Einstellen will ich hier die Ausführungen des OLG München zu den Auswirkungen der Entscheidung des EUgH v. 27.05.2019 – Stichwort: deutsche Staatsanwaltschaft ist keine „ausstellende Justizbehörde“. Dazu bzw. zu den Auswirkungen der Entscheidung führt das OLG aus.
„Der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts München I vom 15.05.2019 sind auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Angeklagte aufgrund des von der Staatsanwaltschaft München I ausgestellten Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 am 16.07.2018 in Bulgarien festgenommen und nach Bewilligung der Auslieferung am 09.08.2019 nach Deutschland überstellt wurde.
Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 27.05.2019 entschieden, dass die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats, die – wie die deutschen Staatsanwaltschaften – der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden, nicht unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl fallen (EuGH Urt. v. 27.5.2019 – C-508/18, C-82/19 PPU, BeckRS 2019, 9722). Die deutschen Staatsanwaltschaften sind danach nicht zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugt. Europäische Haftbefehle sind künftig von deutschen Gerichten auszustellen.
Die Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 steht dem Vollzug der Untersuchungshaft des An-geklagten nach bewilligter und vollzogener Auslieferung aus Bulgarien jedoch nicht entgegen. Grundlage der Untersuchungshaft ist der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und nicht der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft München I vom 20.06.2018. Die Wirksamkeit des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 bleibt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH unberührt.
Es besteht auch kein Hindernis, den Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 zu vollziehen. Die Auslieferung erfolgte aufgrund der rechtskräftigen Bewilligungsentscheidung durch Urteil des Kreisgerichts Pazardzhik vom 25.07.2018. Der Angeklagte hat nach Belehrung seine Zustimmung zur Auslieferung erklärt und kein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Diese Entscheidung bleibt auch wirksam, wenn das bulgarische Auslieferungsverfahren fehlerbehaftet gewesen sein sollte. Die Überprüfung der Auslieferungsbewilligung ist allein Sache der bulgarischen Behörden. Eine Überprüfung im Inland erfolgt nicht. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, und hierzu zählen auch die Regelungen in Folge des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, gilt das sog. Trennungsmodell. Hiernach ist dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat Rechtsschutz zu gewähren, von dem der angegriffene Hoheitsakt erlassen wurde. Dies hat auch Auswirkung auf den Umfang der Nachprüfung durch die nationalen Gerichte, da die Rechtsschutzgarantie es grundsätzlich nicht gebietet, einen ausländischen Hoheitsakt (inzident) auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen (Böse in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, 26. Lfg. Juni 2012, Vor § 78 IRG Rn. 35). Daher unterliegen etwa mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates gewonnene Beweise trotz Nichteinhaltung der maßgeblichen rechtshilferechtlichen Bestimmungen keinem Beweisverwertungsverbot, wenn die Beweise auch bei Beachtung des Rechtshilferechts durch den ersuchten und den ersuchenden Staat hätten erlangt werden können. Ist die Rechtshilfe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union geleistet worden, darf bei der Beurteilung der Beweisverwertung im Inland nur in eingeschränktem Umfang geprüft werden, ob die Beweise nach dem inner-staatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaates rechtmäßig gewonnen wurden (BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, NStZ 2013, 596).
Da die Auslieferung des Angeklagten nach Deutschland vorliegend durch die bulgarischen Behörden auf der Grundlage des dortigen Rechts bewilligt wurde, ist dem Trennungsgebot folgend die Nichtberücksichtigung der mangelnden Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft München I hinsichtlich der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 durch das Kreisgericht Pazardzhik für die Wirksamkeit des nationalen Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten unbeachtlich. Zwar erfährt das Trennungsgebot Einschränkungen durch den ordre-public-Vorbehalt oder andere Vollstreckungshindernisse im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens. Aber auch derartiges ist hier nicht erkennbar. Denn nach der Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 wurde der Europäische Haftbefehl lediglich durch eine nicht zuständige, aber doch immerhin durch eine Justizbehörde erlassen. Es liegt auch kein arglistiges Verhalten der Staatsanwaltschaft München I vor, da es bis zur Entscheidung des EuGH allgemeine Ansicht war, dass deutsche Staatsanwaltschaften befugt sind, Europäische Haftbefehle aus-zustellen. Auch aus der oben genannten Entscheidung des BGH vom 21.11.2012 ergibt sich, dass die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch eine unzuständige Staatsanwaltschaft und die daraufhin durch eine ausländische Behörde bewilligte und vollzogene Auslieferung nicht zu einem Verfolgungshindernis im Inland führt.“