Die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt dann auch vom 3. Strafsenat des BGH. Es ist der BGH, Beschl. v. 19.12.2018 – 3 StR 391/18. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG-Urteils schuldete der Angeklagte dem Geschädigten H. aus dem Kauf einer Hose 20 €. Deswegen stellte der Zeuge H. am 15.09.2017 im Beisein des A. den Angeklagten zur Rede und forderte ihn auf, den restlichen Kaufpreis zu bezahlen. Als der Angeklagte entgegnete, er könne nicht zahlen, verlangte H. die Hose zurück. Der Angeklagte lehnte auch dieses ab. Der alkoholisierte H. ärgerte sich darüber und rangelte mit dem Angeklagten, dem es gelang, den Zeugen wegzuschubsen. Dieser versetzte aus Verärgerung dem Angeklagten eine schmerzende Ohrfeige. Zu einem weiteren Angriff setzte H. nicht an, was auch der Angeklagte erkannte. Dennoch stieß er, „nicht ausschließbar, weil er aufgrund der erhaltenen Ohrfeige zornig war und sich hierdurch herabgesetzt fühlte“, dem Zeugen sein Klappmesser in den Oberbauch und durchtrennte innerhalb der Wunde willentlich mit einer weiteren Schnittbewegung den linksseitigen Bauchmuskel.
Das LG hat bei der Strafzumessung die Voraussetzungen des 213 Alternative 1 StGB abgelehnt: Der Angeklagte habe durch seine Ankündigung, weder den Kaufpreis zu bezahlen noch die Hose zurückzugeben, die Ohrfeige herausgefordert; H. s körperlicher Angriff sei verständlich. Nach Abwägung der strafmildernden Umstände mit den straferschwerenden Gründen hat das Landgericht keinen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angenommen. Dabei hat es zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, er habe „den Zeugen H. wahrheitswidrig einer – gemeinsam mit A. begangenen – gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Vornahme mehrerer Schläge bezichtigt“. Das beanstandet der BGH:
„1. Diese Strafzumessungserwägungen halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld in die Auseinandersetzung mit H. geraten, so dass 213 Alternative 1 StGB nicht anwendbar sei, begegnet durchgreifenden Bedenken.
aa) Nicht „ohne eigene Schuld“ handelt der Täter, der das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Das ist nicht schon bei jeder Handlung des Täters der Fall, die ursächlich für die ihm zugefügte Misshandlung gewesen ist. Vielmehr muss er dem Opfer genügende Veranlassung gegeben haben; dessen Verhalten muss eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein. Dabei ist die Verständlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alternative 1 Verschulden 1; vom 2. Oktober 1985 – 3 StR 376/85, StV 1986, 200; vom 26. April 1985 – 2 StR 181/85, StV 1985, 367; vom 22. Juli 1981 – 3 StR 254/81, juris 4).
Die Ohrfeige ist hier nicht als angemessene Reaktion des Geschädigten auf die Leistungsverweigerung des Angeklagten zu werten. Es ist überzogen und nicht mehr verständlich, dass der Zeuge H. zum Durchsetzen seiner Forderung zunächst eine Rangelei begann und den Angeklagten schließlich sogar ohrfeigte, mithin Gewalt ausübte.
bb) Die Ohrfeige ist nach den Umständen des vorliegenden Falles als ausreichend schwere Provokation zu werten. Sie griff nicht lediglich nur geringfügig in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten ein, sondern erreichte wegen der erlittenen Schmerzen die erforderliche Erheblichkeit für eine Misshandlung im Sinne des 223 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. September 2017 – 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21; vom 13. Januar 2016 – 1 StR 581/15, StraFo 2016, 167).
b) Zum als straferschwerend gewürdigten Umstand, den Zeugen H. zu Unrecht der gefährlichen Körperverletzung bezichtigt zu haben, hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
„Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten. Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH, NStZ-RR 2013, 170, 171; vgl. auch Senat, NStZ 2010, 692; BGH, NStZ-RR 1999, 328). Vorliegend lag in der unzutreffenden Behauptung des Angeklagten, er habe nur deshalb mit dem Messer in der Hand nach dem Zeugen H. geschlagen, weil dieser ihn nach mehreren unter Beteiligung A. s ausgeführten Schlägen erneut anzugreifen versucht habe (UA S. 10), keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende, herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten, die strafschärfend berücksichtigt hätte werden können; auch eine über das zulässige Verteidigungsverhalten hinausgehende, rechtsfeindliche Gesinnung ist den Angaben nicht zu entnehmen (vgl. BGH,NStZ-RR 1999, 328, 329; Senat, NStZ 2010, 692). Die Falschbelastung des Zeugen H. hätte deshalb nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden dürfen.“…“