Die zweite Haftentscheidung kommt vom KG. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 20.8.2018 – (4) 161 HEs 28/18 (31/18). Auch in ihm geht es um den Beschleunigungsgrundsatz, allerdings im Verfahrensstadium Ermittlungsverfahren. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. Das KG moniert Ermittlungen „aufs Geratewohl“, die die Erledigung der Sache erheblich verzögert haben und daher nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO anerkannt worden sind. Das KG hat den Haftbefehl aufgehoben: Begründung:
„bb) Den sich aus diesen Grundsätzen ergebenden Anforderungen genügt die Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft Berlin nicht. Das Ermittlungsverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung des Angeklagten nicht in einer Weise (weiter-) geführt worden, die dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen gerecht wird.
Nach Aktenlage war die Sache nach der Vernehmung des Zeugen H am 5. März 2018 anklagereif, sodass unter Berücksichtigung des haftrechtlichen Beschleunigungsgebotes eine zeitnahe Anklageerhebung geboten und bis Mitte März 2018 auch ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Die für die Fertigung der (knapp zehn Seiten umfassenden) Anklageschrift erforderliche Zeit hatte offensichtlich keinen maßgeblichen Einfluss auf die Verzögerung der Anklageerhebung. Die Akte lag nach ihrer Rückkehr von der Polizei (mit dem Ergebnis, dass die langwierigen Auswertungsversuche unergiebig geblieben waren) am 29. Mai 2018 der Staatsanwaltschaft wieder vor. Der sachbearbeitende Dezernent verfügte an diesem Tag die Vervollständigung eines Aktendoppels zwecks Akteneinsicht für den Verteidiger und die Aktenwiedervorlage mit einer Genaufrist von zehn Tagen. Letzteres spricht dafür, dass ihm die Fertigung der auf den 9. Juni 2018 datierten Anklageschrift innerhalb kurzer Zeit möglich war, was angesichts dessen, dass die Anklage in weiten Teilen dem Haftbefehlsantrag vom 1. Februar 2018 und den seinerzeit vorliegenden Ermittlungsergebnissen entspricht, nicht überraschend erscheint.
Das Ergebnis der Untersuchung des Angeklagten durch den Sachverständigen Dr. F war für die Anklageerhebung nicht erforderlich, sodass es nicht abgewartet werden musste; dass hier etwas anderes gelten sollte, ist von keiner Seite geltend gemacht worden. Nach den von den Zeugen geschilderten Verhaltensweisen des Angeklagten und seiner Delinquenzgeschichte bestand auch kein Anlass anzunehmen, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben könnte. Das Ergebnis der Untersuchung hätte nach Anklageerhebung nachberichtet werden können, und diese Möglichkeit hätte, weil es sich um eine Haftsache handelte, genutzt werden müssen. Da der Sachverständige für die Fertigung des vorläufigen schriftlichen Gutachtens etwa zwei Monate benötigt hat, hätte das Gutachten bei einer Befassung des Sachverständigen mit der Sache unmittelbar nach der telefonischen Absprache vom 15. Februar 2018 jedenfalls noch im April 2018 vorliegen können.
Dem Landgericht wäre es im Falle rechtzeitiger Anklageerhebung spätestens Mitte März auch bei Nachreichen des vorläufigen Sachverständigengutachtens möglich gewesen, in dem bis dahin mindestens bis zur Eröffnungsreife (unter Einschluss der Hauptverhandlungsplanung) geförderten Verfahren noch in der ersten Jahreshälfte mit der Hauptverhandlung zu beginnen und die Sache binnen sechs Monaten nach der Festnahme des Angeklagten mit einem Urteil abzuschließen, selbst wenn man den für die ergänzende Begutachtung erforderlichen Zeitaufwand in Rechnung stellt. Der Durchführung des besonderen Haftprüfungsverfahrens nach den §§ 121, 122 StPO hätte es fraglos nicht bedurft.
Tatsächlich sind allein durch die späte Anklageerhebung am 15. Juni 2018 gut zwei Drittel der Frist, die den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht bis zum Erlass eines Urteils zur Verfügung stand, verbraucht worden. Dies hatte nach Aktenlage seinen tragenden Grund in den Ermittlungen hinsichtlich der sichergestellten Handys und der sonstigen bei der Durchsuchung aufgefundenen Datenträger, deren Auswertung für die Anklageerhebung nicht erforderlich, sondern offensichtlich in erster Linie von der Hoffnung getragen war, weitere Taten des Angeklagten, auch gegen mögliche andere Geschädigte, aufdecken zu können. Solche über die haftbefehlsgegenständlichen Taten hinausgehenden Ermittlungen sind zwar, selbst wenn es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass weitere Taten aufgeklärt werden können, zulässig und werden insbesondere bei Tatvorwürfen aus dem vorliegenden Deliktsfeld im Regelfall auch sachgerecht sein. In Fällen vollzogener Untersuchungshaft dürfen derartige Ermittlungen aber, jedenfalls wenn sie wie hier eher „aufs Geratewohl“ erfolgen, keinesfalls die Anklageerhebung in einer anklagereifen Sache maßgeblich verzögern. Denn ebenso, wie das in Haftsachen zu beachtende Beschleunigungsgebot im Zwischenverfahren Geltung beansprucht und die unverzügliche Eröffnung des Hauptverfahrens gebietet (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2761/10 – [juris] mwN), so verlangt dieses Prinzip nach Bejahung dringenden Tatverdachts bei im Wesentlichen unverändert gebliebener, jedenfalls nicht zugunsten des Beschuldigten geänderter Sach- und Rechtslage – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwendigkeit einzelner Ermittlungen ein gewisser Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 21a mwN) – im Regelfall unverzüglich die (lediglich hinreichenden Tatverdacht erfordernde) Anklage der haftbefehlsgegenständlichen Taten (vgl. dazu Senat, Beschlüsse vom 24. Mai 2018 – [4] 121 HEs 22/18 [20/18] –, 16. Februar 2018 – [4] 121 HEs 7/18 [5/18] –, 13. Februar 2018 – [4] 121 HEs 8/18 [6/18] –, 15. Januar 2018 – [4] 161 HEs 62/17 [37-38/17] –, 5. Dezember 2017 – [4 HEs 28-30/17] – und 18. August 2017 – [4] 161 HEs 33/17 [15/17] –). Sollten die weiteren, parallel zur Anklageerhebung vorgenommenen bzw. fortgeführten Ermittlungen zur Aufdeckung weiterer Straftaten führen, können und müssen diese Taten nachträglich angeklagt werden.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Weigerung des Angeklagten, an der Auswertung der beschlagnahmten Gerätschaften durch Angabe von Entsperrcodes mitzuwirken, ihm nach dem strafprozessualen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit weder im Allgemeinen noch gar mit der Folge längerer Untersuchungshaft zur Last fallen darf; für diese Bewertung kommt es auch nicht darauf an, ob ein Beschuldigter – anders als offenbar vorliegend – in Bezug auf den Inhalt der Datenträger „etwas zu verbergen“ hatte. „