Die 4. KW. eröffne ich dann nicht mit einer Entscheidung, sondern mit einer (allgemeinen) Frage nämlich: „Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?“ Ja, das hatte ich schon mal ähnlich gefragt, und zwar im Mai 2017 mit der Frage: Widerruf der “Hoeneßbewährung”?, oder: Wie ahnungslos darf man als Justizminister eigentlich sein?„.
Damals ging es um die Bewährung von Uli Hoeneß und Äußerungen des bayerischen Justizministers, heute geht es um die/eine „Justizreform“, zu der sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus gestern in der geäußert hat (vgl. hier in der „SZ“: Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren).
Da heißt es u.a.:
„Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat eine Reform der Strafprozessordnung gefordert, um schnellere Strafverfahren zu erreichen. „Das Vertrauen der Bürger in den Staat hängt davon ab, ob das Recht auch durchgesetzt wird“, sagte er Christdemokrat der Bild am Sonntag.
„Es fehlen Staatsanwälte, Richter und Justizpersonal. Die Dauer der Prozesse steigt weiter. Immer mehr Verfahren werden eingestellt. Nötig ist eine Reform der Strafprozessordnung zur Verfahrensbeschleunigung.“ Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.
Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“
In diesem Zusammenhang übte Brinkhaus auch Kritik an der Regierungspolitik der vergangenen Jahre: Wie gut der Föderalismus funktioniere, werde sich darin zeigen, ob Bund und Länder „die Fehlentwicklungen in der Justiz beseitigen“ könnten. Hier habe die Politik „lange nicht richtig hingeschaut“. Der Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern müsse rasch kommen, forderte der CDU-Politiker. „Die Ur-Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger vor Gewalt und Unrecht zu schützen. Dazu gehört eine starke Justiz.““
Was mich u.a. stört/erstaunt/ärgert ist der Satz: „Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“, ja richtig gelesen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“ Da reibt man sich dann verwundert die Augen, sucht eine StPO, um sich zu vergewissern, und ist dann beruhigt, wenn man dort immer noch in § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO liest:
„Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist; über die Ablehnung ist spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages und stets vor Beginn der Schlußvorträge zu entscheiden.“
Das hatte man also richtig in Erinnerung, denn das steht schon ziemlich lange in der StPO (vgl. dazu auch hier: Unterbrechung der Verhandlung nach Befangenheitsantrag vom Kollegen in der Strafakte). Da fragt man sich dann, wo eigentlich der CDU-Fraktionsvorsitzende nachschaut, wenn er nach einer „Reform der Strafprozessordnung“ ruft und den Grund für die zum Teil lange Verfahrensdauer dann gleich bei den Befangenheitsanträgen (offenbar der Verteidiger [?]) ausmacht. Oder die Frage: Was machen seine Referenten? Wo schauen die nach? Offenbar auch nicht in der geltenden StPO. Und/oder schaut man, wenn man mit „Bild am Sonntag“ spricht, erst recht nicht nach?
„Schön“ auch der Satz „Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.“ Wie soll das bitte gehen? Verteidigungsrechte ja, aber nutzen/anwenden darf/soll der Angeklagte sie nicht? Also steht alles nur auf dem Papier?
Abschließende Frage: Wer schickt der CDU-Fraktion in Berlin einen aktuellen Gesetzestext der StPO? Dort scheint man ihn nötig zu haben. Vielleicht liest man den dort. Der „Bild am Sonntag“ würde ich keine schicken, dort wird man eh nicht drin lesen.
Na ja, genau genommen steht in der StPO nicht, dass man (generell und zeitlich unbefristet) bis zur Entscheidung weiterverhandeln kann, sondern bis zum übernächsten HV-Tag entschieden sein muss, von daher ist die Äußerung von Brinkhaus allenfalls ungeschickt formuliert; dass er etwas fordere, was ohnehin schon in der StPO steht, kann man mE so nicht behaupten.
Wo ist denn da der Unterschied. Aber war klar, dass aus der Justiz die Einwände kommen.
ME ist es schon ein Unterschied, ob es bis zum übernächsten HV-Tag oder zB bis zum Ende der Beweisaufnahme oder gar bis zur Urteilsverkündung dauern kann, oder – wie der „Strafkammertag“ gefordert hat, übernächster HVT, mindestens aber 2 Wochen.
Aber was solls, wenn Sie da keinen Unterschied erkennen können gibt es wohl wirklich keinen.
Gibt es denn irgendwelche objektiven Belege dafür, dass die Verzögerungen in der Praxis tatsächlich zu einem nenneswerten Teil auf Befangenenheitsanträge zurückzuführen sind? Oder ist das mal wieder mehr eine „subjektive“ Gewissheit der Justizangehörigen?
Von einigen spektakulären Großverfahren abgesehen (Neonazi-Prozess in Koblenz, NSU-Prozess u.ä.) kommt es nach meiner Einschätzung doch eher selten zu Befangenheitsanträgen. Als Verteidiger überlegt man es sich in der Regel doch zwei Mal, ob man diesen Weg wirklich beschreiten will.
Ich kenne keine. M.E. wird mal wieder nur von Großverfahren – wobei die Verzögerung da ja auch nicht „bewiesen“ ist – auf alle Verfahren geschlossen. Passt einfach gut in die Zeit.
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ME ist es schon ein Unterschied, ob es bis zum übernächsten HV-Tag oder zB bis zum Ende der Beweisaufnahme oder gar bis zur Urteilsverkündung dauern kann, oder – wie der „Strafkammertag“ gefordert hat, übernächster HVT, mindestens aber 2 Wochen.
Aber was solls, wenn Sie da keinen Unterschied erkennen können ist ja klar, dass es wohl wirklich keinen gibt.
Notwendig brauchen wird man eine solche Regelung mE übrigens nicht, aber es ist halt wie immer: Ausnahmefälle führen zu Regelungen, die dann auch für den Normalfall gelten; die Änderungen zur Medienöffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen verdanken wir ja auch wohl u.a. dem NSU-Prozess und der damit verbundenen Lobbyarbeit.
Was die StPO angeht bin ich bei Herrn Burhoff. Was aber die Personalsituation in einigen Bundesländern angeht, so leider auch in „meinem“ RLP, bin ich absolut bei Herrn Brinkhaus. Wir leider hier unter Rpfl-Quoten von teils knapp über 60%, gnadenlos überlasteten Staatsanwaltschaften und deren Geschäftsstellen (Bsp: letztes Jahr für eine AE bei einer StA wegen eines Vorwurfs eines Tötungsdeliktes über 2 Monaten, und dann schickt der LOStA selbst, aber auch nur weil man den kennt). Folge der Überlastung Krankenstand auf der einen Seite, völliger Zusammenbruch jeglicher Motivation auf der anderen Seite. Man muss m.E. nicht an der StPO oder auch bei anderen Gerichtsordnungen herumwurschteln. Man braucht mehr Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger und Geschäftsstellenpersonal. Dann klappt manches auch schneller. Und auch die technische Ausstattung: Farbdrucker auch mal für ein kleines AG. Fenster durch die es nicht zieht. Dragon Software o.ä. Solches Kleingedöhns. Kostet halt alles mehr Geld als in den Verfahrensordnungen die Rechte der Betroffenen einzuschränken oder nicht weiter auszuweiten (der Pflichti lässt grüssen…)
Und da sind wir alle in der Pflicht unsere jeweiligen Abgeordneten immer wieder zu nerven. Wir haben als Justiz fast keine Lobby, deshalb müssen wir Anwälte, Blogger u.a. halt tätig werden.
P.S. Da ich auch CDU-Fraktionsvorsitzender bin (wenn auch nur in einer kleinen Stadt) bin ich nicht ganz unparteiisch. Dies nur als Hinweis.
Naja Herr Brinkhaus hat aber nirgendwo mehr Staatsanwälte und Richter gefordert geschweige denn deren Finanzierung in Aussicht gestellt. Stattdessen sollen (mal wieder) Gesetze geändert und Rechte eingeschränkt werden, anstatt die Personalsituation durch die Einstellung einer Vielzahl neuer Richter und Staatsanwälte zu verbessern. Aber Gesetze ändern ist halt ne schöne Symbolpolitik, die nichts kostet.