Heute dann zum vorletzten Mal in 2018 ein „Kessel Buntes“. Zunächst befindet sich da das LG Saarbrücken, Urt. v. 02.11.2018 – 13 S 70/18. Es entscheidet über eine alltägliche Verkehrssituation, die man immer wieder beobachten kann, nämlich der Zusammenstoß zweier Fahrzeuge beim Einfahren in eine Parkbucht mit der geöffneten Fahrertür eines in der benachbarten Parkbucht stehenden Fahrzeugs. Der Kläger hatte restlichen Schadensersatz aus einem solchen Verkehrsunfall geltend gemacht. Die Zeugin pp. war als Fahrerin des Pkw des Klägers in eine freie Parkbucht eingefahren und war dabei mit der geöffneten Fahrertür des Fahrzeugs der Beklagten. Auf den Gesamtschaden von 5.057,34 € zahlte die Versicherung die Sachverständigenkosten von 518,34 € sowie weitere 1.997,33 € an den Kläger. Den Restschaden von 2.541,67 € nebst Zinsen und weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten machte der Kläger mit der Behauptung geltend, die Fahrerin seines Pkw habe sich mit seinem Pkw bereits neben dem Beklagtenfahrzeug befunden, als dort plötzlich die Tür geöffnet worden sei. Dass auf dem Fahrersitz des Beklagtenfahrzeuges jemand gesessen habe, sei für die Zeugin pp. wegen getönten und spiegelnden Scheiben sowie wegen der Nackenstützen nicht erkennbar gewesen.
Das AG hat die Klage nach Beweisaufnahme bis auf 12,50 € für die hälftige Unkostenpauschale abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Unfall sei nicht mehr aufklärbar, weshalb die Beteiligten jeweils hälftig für die Unfallfolgen hafteten. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte einen Teilerfolg.
„Die form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung hat in der Sache einen Teilerfolg.
1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil der Unfallschaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden ist, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Das ist zutreffend. Soweit die Berufung meint, das Erstgericht habe insoweit verkannt, dass die Zeugin … unstreitig nicht erkennen konnte, ob jemand auf dem Fahrersitz saß, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Unabwendbar ist ein Ereignis nämlich nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, st. Rspr.; vgl. BGHZ 113, 164, 165; 117, 337; Urteil vom 23.09.1986 – VI ZR 136/85 – VersR 1987, 158, 159 m.w.N.). Dass sie diesen Anforderungen genügt hätte, konnte die Klägerseite nicht nachweisen. Ein Idealfahrer hat beim Einfahren in eine Parktasche, bei der er nicht ausschließen kann, dass aus einem seitlich stehenden Fahrzeug jemand aussteigen wird, nur so vorsichtig einzufahren, dass er jederzeit, auch bei einem plötzlichen Türöffnen anhalten kann. Da die Zeugin pp. nach der Kollision nach den Sachverständigenfeststellungen (GA 96) noch rd. 1,6 Meter bis zum Endstand weitergefahren ist und es angesichts sich widersprechender Aussagen der Erstbeklagten und der Zeugin pp. nicht sicher feststeht, ob das Klägerfahrzeug erst nach einem kollisionsbedingten Anhalten weiterbewegt wurde, bleibt offen, ob die Zeugin pp. hinreichend vorsichtig eingefahren war und sofort angehalten hatte. Dies geht zu Lasten des dafür beweisbelasteten Klägers.
2. Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Haftungsabwägung rügt die Berufung indes mit Recht, dass das Erstgericht zu Lasten der Beklagten keinen Verstoß der Erstbeklagten gegen die beim Türöffnen gebotene Sorgfalt eingestellt hat.
a) Zwar findet § 14 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen grundsätzlich keine unmittelbare Anwendung. Denn diese Vorschrift, die ein Höchstmaß an Sorgfalt von dem Aussteigenden verlangt, schützt den fließenden Verkehr (vgl. OLG Frankfurt OLGR 2009, 850 ff.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 14 Rn. 5; Kammer, Urteil vom 22. Februar 2013 – 13 S 202/12, NZV 2013, 594; in der Sache auch OLG Karlsruhe VersR 2012, 875). Allerdings trifft den Aussteigenden auch auf Parkplätzen im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können auch auf öffentlichen Parkplätzen die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann. Aus diesem Grund hat auch der Ein- und Aussteigende auf öffentlichen Parkplätzen – anders als auf privaten Parkflächen, auf denen kein besonderer Fahrverkehr zu erwarten ist – besondere Vorsicht und Achtsamkeit walten zu lassen (vgl. Kammerurteil vom 9.3.2018 – 13 S 158/17, SVR 2018, 341; Hentschel/König/Dauer aaO Rn. 9 und die Nachweise bei Freymann, DAR 2018, 242, 246).
c) Ob zu Lasten des Türöffnenden auf dem Parkplatz auch – wie bei § 14 StVO – ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden eingreift (zum Streitstand etwa Freymann DAR 2018, aaO), kann hier offen bleiben. Denn die Erstbeklagte hat in ihrer Anhörung dargelegt, dass sie sich lediglich vergewissert habe, ob neben ihr ein Fahrzeug stehe, nicht ob ein Fahrzeug von hinten einfahren werde. Dies war unter den gegebenen Umständen sorgfaltswidrig. Denn unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt muss der Türöffnende während des gesamten Vorgangs des Türöffnens hinweg den rückwärtigen Verkehr beobachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die bereits geöffnete Tür in die danebenliegende Parkbucht hineinragt und dadurch die Gefährlichkeit eines Zusammenstoßes mit einem einfahrenden Fahrzeug erhöht ist (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2018 – 13 S 158/17 -, juris). So lag es hier. Ausweislich der Lichtbilder vom Unfallort, die sich in der beigezogenen polizeilichen Unfallakte befinden, stand das Beklagtenfahrzeug knapp neben der linken Parktaschenbegrenzung, während das Klägerfahrzeug innerhalb der links davon gelegenen Parkbucht von der rechten Begrenzung deutlichen Abstand einhielt. Da es sich insoweit laut Angaben der Unfallbeteiligten hinsichtlich der seitlichen Abstände um die Unfallendstellung handelte, muss die nach Berechnung des Sachverständigen um 45 Grad geöffnete Tür am Fahrzeug der Erstbeklagten deutlich in die benachbarte Parkbucht hineingeragt haben, damit eine Kollision stattfinden konnte. Angesichts dieser Gefahrerhöhung, die sich im Unfall auch realisiert hat, wäre die Erstbeklagte verpflichtet gewesen, sich in die Nachbarbucht einfahrenden Fahrzeugen zu versichern. Dass sie diesen Anforderungen nicht genügt hat, ergibt sich schon daraus, dass sie das Beklagtenfahrzeug vorkollisionär nicht wahrgenommen hat.
3. Demgegenüber lässt sich ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß der Zeugin pp. nicht nachweisen.
a) Allerdings hat auch der Einparkende nach § 1 Abs. 2 StVO auf den neben seiner Parklücke befindlichen Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen. Dabei sind an die Sorgfalt des Fahrers eines Fahrzeugs, der in eine rechtwinklig zur Durchfahrtrichtung angeordnete Parktasche einparken will, keine geringeren Sorgfaltsanforderungen zu stellen als an den Fahrer oder Mitfahrer eines neben dieser Parklücke abgestellten weiteren Fahrzeugs beim Aussteigen (vgl. OLG Frankfurt, NJW 2009, 3038). Insbesondere wenn der Einfahrende konkreten Anlass dafür hat, mit einem Türöffnen des bereits eingeparkten Fahrzeugs zu rechnen, muss er danach noch vorsichtiger als ohnehin schon geboten in die daneben liegende Parktasche einfahren (vgl. Hinweisbeschluss der Kammer vom 3. November 2014 – 13 S 140/14).
b) Danach durfte die Zeugin pp. hier nur mit gesteigerter Vorsicht in die Parklücke einfahren. Da die Erstbeklagte in dem Beklagtenfahrzeug saß, musste die Zeugin nämlich damit rechnen, dass diese die Tür öffnen würde. Soweit sie vorträgt, sie habe nicht erkennen können, ob in dem Beklagtenfahrzeug jemand saß, gilt nichts anderes. Denn die Vorsichtspflicht gilt, solange der Einparkende nicht sicher ausschließen kann, dass sich jemand im Nachbarfahrzeug befindet (Vgl. Kammerurteil NZV 2009, 501; AG Haßfurt, Urteil vom 20. März 2013 – 2 C 578/11 -, juris).
c) Zu Recht hat das Erstgericht jedoch nicht feststellen können, dass die Zeugin pp. gegen diese Pflicht verstoßen hat. Ausgehend von den unangegriffenen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen lassen sich weder Geschwindigkeit noch das vorkollisionäre Verhalten des Beklagtenfahrzeuges feststellen. Unter diesen Umständen kann aber nicht verlässlich ausgeschlossen werden, dass die Zeugin … angemessen langsam in die Parklücke eingefahren ist und die Tür erst geöffnet wurde, als die Zeugin pp. eine Kollision nicht mehr durch ein Abbremsen oder ein Warnzeichen hätte verhindern können. Die Beklagtenseite hat folglich den ihr obliegenden Nachweis einer unfallursächlichen Pflichtverletzung der Klägerseite nicht geführt.
4. Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt zu einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten der Beklagten. Dem Verstoß der Erstbeklagten gegen die besonderen Pflichten beim Türöffnen steht die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs entgegen, die unter den gegebenen Umständen nicht hinter diesen Verstoß zurücktritt. Dass es beim Einfahren in eine Parklücke zu einer Kollision mit einer sich öffnenden Tür kommt, gehört zu den typischen, mit dem Betrieb des einfahrenden Fahrzeugs verbundenen Gefahren auf einem Parkplatz. Ein Zurücktreten dieser Betriebsgefahr kommt nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer zu Parkplatzunfällen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert ist (Kammer, Urteile vom 27. Mai 2011 – 13 S 25/11, Schaden-Praxis 2012, 66; vom 19. Oktober 2012 – 13 S 122/12, RuS 2013, 199; vom 7. Juni 2013 – 13 S 31/13, NJW-RR 2013, 1249 und vom 18. Juli 2014 – 13 S 75/14, NZV 2014, 572). Solche besonderen Umstände sind hier indes nicht nachgewiesen.