„Trunkenheitsfahrt“ mit 0,88 Promille, oder: Wenn die Ausfallerscheinungen „nicht reichen“

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt auch aus Berlin, allerdings nicht aus der Elßholzstraße, also vom KG, sondern vom AG Tiergarten. Es ist das AG Tiergarten, Urt. v. 31.08.2018 – 343 Cs) 3034 Js 7166/18 (112/18).

Angeklagt war eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB, das AG hat den Angeklagten aber nur wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG verurteilt. Grund: Keine ausreichenden Feststellungen zur relativen Fahruntüchtigkeit – der Angeklagte hat eine BAK von 0,88 Promille – möglich:

„II.

Am 11.05.2018 gegen 03:13 Uhr befuhr der Angeklagte mit dem Pkw Porsche, amtliches Kennzeichen, den Olivaer Platz und den Kurfürstendamm in Berlin. Er wies dabei infolge Alkoholgenusses eine Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille auf, was er bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt als Kraftfahrzeugführer hätte erkennen können und müssen. Alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, die eine Fahruntüchtigkeit des Angeklagten begründen könnten, ließen sich zur Überzeugung des Gerichts nicht feststellen.

III.

Die vorstehenden Feststellungen ergeben sich zur Überzeugung des Gerichts aus der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung.

Der vertretungsbevollmächtigte Verteidiger, welcher für den abwesenden Angeklagten auftrat, trug zu dessen persönlichen Verhältnisse vor und gab zum Anklagevorwurf keine Einlassung ab. Dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, ergab sich aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen, ihn betreffenden Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 16.05.2018, welcher keine Eintragungen enthält.

Aus den Schilderungen der Polizeibeamten H. und R. ließ sich zur Überzeugung des Gerichts die Fahrereigenschaft des Angeklagten feststellen und das in der Hauptverhandlung verlesene Gutachten des Landeskriminalamtes vom 14.05.2018 belegte die Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 04:30 Uhr. Da über den Zeitpunkt des Trinkendes beziehungsweise der Resorptionsphase keine Feststellungen getroffen werden konnten, war zu Gunsten des Angeklagten von einer Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille zur Tatzeit auszugehen. Darüber hinausgehende alkoholbedingte Fahrfehler beziehungsweise körperliche Ausfallerscheinungen im Hinblick auf eine relative Fahrunsicherheit ließen sich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.

Die Zeugen R.und H. berichteten übereinstimmend von ihrer Streifenfahrt, die sie zur Tatzeit auf den Kurfürstendamm in nordöstlicher Richtung geführt habe, als ihnen in Höhe der Kreuzung Kurfürstendamm / Olivaer Platz ein schwarzer Porsche (ppp.) mit lauten Motorengeräuschen und überhöhter Geschwindigkeit entgegengekommen sei. Sie hätten gewendet, die Verfolgung aufgenommen und kurz vor der Kreuzung Kurfürstendamm / Lewishamstraße zu dem Porsche aufgeschlossen. Der Porsche habe nun ohne zu blinken gewendet und sei zurück in Richtung Olivaer Platz gefahren, wo er in die Konstanzer Straße abbog. Der Streifenwagen habe direkt zu dem Porsche aufschließen können, als dieser erneut ohne zu blinken wendete. Bei diesem Wendemanöver hätten die Zeugen bei guter Straßenbeleuchtung erkennen können, dass der Fahrer allein im Fahrzeug gewesen sei. Die Zeugin H. habe den Fahrer in dieser Situation als einen südländisch wirkenden Typ, mit dunklem Hemd und leicht zurückgegelten Haaren wahrgenommen. Übereinstimmend bezeugten beide, es habe sich dabei um die später kontrollierte Person, den hier Angeklagten, gehandelt.

Im Anschluss an dieses Wendemanöver habe der Porsche stark beschleunigt, sei erneut in den Kreuzungsbereich Kurfürstendamm / Olivaer Platz eingefahren und anschließend ohne zu blinken in die Giesebrechtstraße eingebogen. Der Streifenwagen habe nun Probleme gehabt zu folgen, jedenfalls hätten die Zeugen noch erkennen können, wie der Porsche am Ende der Giesebrechtstraße in die Clausewitzstraße eingebogen sei. Selbst mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 bis 80 km/h sei es ihnen nicht möglich gewesen, aufzuschließen. Sie hätten den Porsche für rund 10 Sekunden aus den Augen verloren, seien dann ohne Sichtkontakt die Clausewitzstraße Richtung Kurfürstendamm gefahren und dort nach rechts eingebogen. Nach einer nur kurzen Wegstrecke sei den Zeugen auf Höhe Kurfürstendamm Nr. 69 auf der dort befindlichen Parkinsel der Porsche wieder aufgefallen. Als sie sich ihm genähert hätten, sei die Person ausgestiegen, die sie bei dem Wendemanöver in der Konstanzer Straße als Fahrer wahrgenommen hätten. Andere Personen hätten sie im Umfeld des Porsches nicht wahrnehmen können. Bei dem kontrollierten habe es sich um den Angeklagten gehandelt, der beim Aussteigen aus dem Porsche seine Jacke vom Beifahrersitz gegriffen und beim Anziehen derselben erheblich Probleme gehabt habe, den Arm einzufädeln. Der Angeklagte habe eine kräftige Statur gehabt und die Jacke sei eng gewesen. Während des Gesprächs mit dem Angeklagten habe dieser undeutlich, leicht lallend gesprochen und man habe Alkoholgeruch wahrnehmen können.

Die Schilderungen der Zeugen belegen zur Überzeugung des Gerichts die Fahrereigenschaft des Angeklagten. Sie hatten beim Wendemanöver in der Konstanzer Straße beide die Möglichkeit, den Innenraum des Porsches wahrnehmen zu können und erkannten aus kurzer Distanz den später kontrollierten Angeklagten als den Fahrer. Dem steht auch nicht die kurze Zeit entgegen, in dem die Zeugen den Sichtkontakt zum Porsche verloren. Diese Phase war lediglich etwa 10 Sekunden lang und als die Zeugen den Porsche auf der Parkinsel wieder entdeckten, stieg der Angeklagte gerade aus und zog sich anschließend die Jacke. Es ist weder vorgetragen worden noch ansatzweise wahrscheinlich, dass in der kurzen Phase der Sichtunterbrechung ein Fahrerwechsel stattgefunden haben könnte. Da die Zeugen beim Wendemanöver im Porsche lediglich einen Fahrzeuginsassen wahrnahmen, hätte der etwaige Fahrertausch zudem mit einer Person außerhalb des Fahrzeugs stattfinden müssen.

Eine (relative) Fahrunsicherheit des Angeklagten können die Schilderungen der Zeugen hingegen nicht tragen. Bei einer Alkoholisierung von 0,88 Promille müssen aufgrund des Abstands zu der in der Rechtsprechung anerkannten Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit (ab 1,1 Promille) zusätzliche Umstände hinzukommen, die einen Rückschluss auf die Fahrunsicherheit nahelegen. Die beschriebene Fluchtfahrt mit lauten Motorengeräuschen, überhöhter Geschwindigkeit und fehlender Anzeige von Wende- beziehungsweise Abbiegmanöver kann zur Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit als alkoholbedingte Ausfallerscheinung gewertet werden. Sofern man sich – aus welchen Gründen auch immer – einer Verkehrskontrolle entziehen will und versucht, dem Streifenwagen zu entfliehen, ist eine solche Fahrweise nachvollziehbar auf die Fluchtintention und nicht unbedingt auf die Alkoholisierung zurückzuführen. Dies muss umso mehr berücksichtigt werden, wenn lediglich eine bußgeldbewehrte Alkoholisierung (0,88 Promille) erreicht wurde und im Übrigen keinerlei Fahrunsicherheiten wie Schlangenlinien oder ähnliches wahrgenommen werden konnten. Auch die während der Kontrollsituation wahrgenommenen Auffälligkeiten rechtfertigen die Annahme einer Fahrunsicherheit nicht. Die Schwierigkeiten des Angeklagten, die Jacke anzuziehen können plausibel mit seiner kräftigen Statur und der eng geschnittenen Jacke in Verbindung gebracht werden. Der Alkoholgeruch deutet lediglich auf die tatsächlich vorhandene Alkoholisierung hin und die undeutliche Aussprache kann bei dem türkischen Angeklagten herkunftbedingt veranlagt sein und lässt für sich genommen keinen sicheren Rückschluss auf eine Fahrunsicherheit zu.“

Also mit einem blauen Auge davon gekommen. Das Urteil ist übrigens rechtkräftig. Die StA Berlin hat, wie mir der Kollege Kroll aus Berlin, von dem die Einsendung stammt, mitgeteilt hat, die von der Amtsanwaltschaft eingelegte Berufung zurückgenommen.

3 Gedanken zu „„Trunkenheitsfahrt“ mit 0,88 Promille, oder: Wenn die Ausfallerscheinungen „nicht reichen“

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