Im OLG Dresden, Urt. v. 17.04.2018 – 6 U 1480/17 – geht es dann (noch einmal) um die Aufklärungsobliegenheit in der Kfz-Versicherung. Der Kläger und sein Versicherer haben u.a. darum gestritten, ob der Kläger nach einem Verkehrunfall lange genug gewartet hatte oder, ob er sich zu fürh (unerlaubt) vom Unfallort entfernt und damit eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers geführt hat.
Das OLG führt, nachdem es zur Wirksamkeit entsprechender Klauseln im Versicherungsvertrag Stellung genommen hat, zur Wartepflicht aus:
„b) Der Senat geht davon aus, dass der Kläger unter Zugrundelegung seiner unbestritten gebliebenen Angabe in der Berufungsverhandlung, wonach er etwa 10 Minuten am Unfallort verblieben sei, bevor er mit dem Fahrzeug zu seinem nahe gelegenen Grundstück gefahren sei, eine nach den Umständen angemessene Zeit i.S.d. § 142 Abs. 1 Nr. 2 gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Damit ist der Straftatbestand des § 142 Abs. 1 StGB nicht verwirklicht.
Welche Wartezeit angemessen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auszugehen ist von dem Zweck der Wartepflicht, die darin besteht, feststellungsbereiten Personen, die erst nachträglich an den Unfallort gelangen, die Anwesenheit des Unfallbeteiligten für einen bestimmten Zeitraum zu erhalten. Maßgeblich ist die aus objektiver Sicht zu treffende Prognose, ob mit dem alsbaldigen Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist um so geringer, je weniger befahren die Straße und erkennbar der Unfall ist. Insoweit spielen also Tageszeit, Verkehrsdichte, Auffälligkeit des Unfalls und Höhe des Schadens eine Rolle. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei einer eindeutigen Haftungslage von einem geringer ausgeprägten Feststellungsinteresse auszugehen ist (zum Ganzen: Fischer, StGB, 56. Aufl., § 142 Rdn. 35 f.; MünchKomm, StGB, § 142 Rdn. 76 ff.).
Diese Kriterien sprechen hier für eine relativ kurze Wartezeit. Der Unfall ereignete sich am Morgen eines Samstags auf einer wenig befahrenen Straße. Die Haftungslage war mangels anderer Unfallbeteiligter eindeutig und der Fremdschaden an dem Geländer überschaubar. Gleichwohl war eine Mindestwartezeit von 10 Minuten einzuhalten (dazu MünchKomm, a.a.O., Rn. 87). Eine solche kommt stets zum Tragen, wenn der Unfall zumindest optisch (oder akustisch) wahrzunehmen war, wovon hier angesichts der deutlich sichtbaren Schäden am Geländer auszugehen ist Diesen Anforderungen ist der Kläger gerecht geworden.
c) Allerdings hat der Kläger den Straftatbestand des § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB objektiv und subjektiv verwirklicht, indem er dem Geschädigten die Feststellungen nach § 142 Abs. 1 StGB nicht unverzüglich nachträglich ermöglichte.
Eine nachträgliche Mitteilung ist unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit erforderlichen Feststellungen treffen zu können. Verlässt jemand bei nächtlichen Unfällen und eindeutiger Haftungslage mangels Bereitstehens feststellungsbereiter Personen nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist den Unfallort, ist die Nachholung der entsprechenden Mitteilung gegenüber dem Geschädigten bzw. der Polizei noch bis in die frühen Vormittagsstunden des darauffolgenden Tages als unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2012, IV ZR 97/11, Rdn. 22, juris). Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein solcher Unfall – wie hier – in den Morgenstunden eines Wochenendtages passiert.
Im Hinblick auf die Mitteilung gegenüber dem Geschädigten oder der Polizei hat der Kläger die damit umrissene Frist für die Nachholung jedenfalls verstreichen lassen. Eine Mitteilung gegenüber dem Eigentümer des beschädigten Geländers war dem Kläger, wie er selbst dargelegt hat, nicht zeitnah möglich. Daher hätte ersatzweise die Polizei informiert werden müssen. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger bis in die Mittagsstunden, als die Polizei ihn als Unfallverursacher bereits ermittelt hatte und ihn auf dem Gelände des Autohauses, zu dem das Unfallfahrzeug abgeschleppt worden war, angesprochen hat, keinen Gebrauch gemacht. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger um die Pflicht zur unverzüglichen Benachrichtigung des Geschädigten oder der Polizei wusste und die Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf nahm, mithin vorsätzlich handelte. Seine Einlassung, zu keinem Zeitpunkt daran gedacht zu haben, eine Unfallflucht zu begehen, ist vor dem Hintergrund der unter Verkehrsteilnehmern allgemein bekannten Pflichten von Unfallbeteiligten als Schutzbehauptung zu werten….“