Die Arbeitswoche 🙂 eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 22.01.2018 – 4 StR 506/17 – zur Frage der (vollständigen) Übersetzung eines Urteils für den Angeklagten. Der hatte beantragt, ihm das landgerichtliche Urteil zu übersetzen und ihm die Übersetzung zu übermitteln.Der BGH hat abgelehnt:
„Die nach § 187 GVG zu beurteilende Entscheidung, ob eine schriftliche Übersetzung des vollständig abgefassten Urteils anzufertigen und dem Angeklagten zu übermitteln ist, fällt in die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts; als Maßnahme der Verfahrensleitung entscheidet der Vorsitzende (OLG Hamburg, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 2 Ws 253/13, insofern nicht abgedruckt in StV 2014, 534; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl., § 186 GVG Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 187 GVG Rn. 1a; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 186 Rn. 15 und § 187 Rn. 8).
2. Für die Anordnung einer schriftlichen Übersetzung des Urteils besteht kein Anlass.
a) Ausgehend vom abgestuften System in 187 Abs. 2 GVG (BT-Drucks. 17/12578, S. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 187 GVG Rn. 4) ist eine schriftliche Übersetzung regelmäßig dann nicht notwendig, wenn der Angeklagte verteidigt ist (§ 187 Abs. 2 Satz 5 GVG). In diesem Fall wird die effektive Verteidigung des sprachunkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und der Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – zu besprechen (BT-Drucks. 17/12578, S. 12; vgl. BVerfGE 64, 135, 143; OLG Hamm, StV 2014, 534; OLG Stuttgart, StV 2014, 536, 537; OLG Celle, StraFo 2015, 383; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 Ws 82/16, juris Rn. 11).
b) Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK ist vorliegend bereits dadurch gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung in der Hauptverhandlung durch einen Dolmetscher übersetzt wurde (vgl. EGMR, ÖJZ 1990, 412 – Kamasinski ./. Österreich; BVerfGE 64, 135, 143; BVerfG, NStZ-RR 2005, 273 [Ls]; OLG Köln, NStZ-RR 2006, 51; OLG Hamm, StV 2014, 534; OLG Stuttgart, StV 2014, 536, 537; OLG Braunschweig, aaO, Rn. 10; LR-StPO/Esser, aaO, Art. 6 EMRK Rn. 849; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 187 GVG Rn. 4).
Gründe, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, ihm den vollständigen Wortlaut der Urteilsurkunde zugänglich zu machen, zeigt der Angeklagte nicht auf; solche sind auch nicht ersichtlich.“
Ist so, wie der der 4. Strafsenat das macht, h.M. in der Rechtsprechung. Mir leuchtet allerdings nie so ganz ein, warum nicht der Angeklagte eine vollständige Übersetzung des Urteils erhält. In meinen Augen ist es etwas anderes, ob ich etwas in meiner Muttersprache selsbt lesen (und verstehen) kann, oder ob es mit vom Verteidiger und/oder Dolmetscher reproduziert wieder gegeben wird.
Das übersetzte, selbst zu lesende Urteil stammt auch nicht aus der Feder des Richters. Es steckt auch nur der Übersetzer dahinter. Insoweit ist es also nur die Frage „Wer trägt die Kosten“.
@ Kenguru: ähnliche Überlegungen hatte ich auch. Viel wichtiger als die Kostenfrage dürfte aber wohl die Frage sein, wem die Übersetzung „zugeordnet“ wird: dem Gericht, wodurch sie vielleicht sogar zu einer „amtlichen“ Übersetzung wird und ggf. revisibel ist(?), oder doch dem Verurteilten? Von diesem Blickwinkel aus könnte die Position des BGH jedenfalls nachvollziehbar sein.
Da war doch seinerzeit noch der OLG Hamm, Beschl. v. 26.01. 2016 – 1 Ws 8/16 : Der Angeklagte … darf grundsätzlich darauf verwiesen werden, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich insoweit auch das Urteil übersetzen zu lassen.
Dabei ist allerdings anzumerken, dass eine Übersetzung i.d.R. aber mehrere Tage dauert und ein Rechtsmittel binnen einer Woche nach der Urteilsverkündung eingelegt werden muss. Nach § 187 Abs. 2 S. 1 GVG ist bei einem Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte die schriftliche Übersetzung des nicht rechtskräftigen Urteils erforderlich.
Es ist doch Sinn und Zweck der Norm, dass man eine Woche nach der Urteilsverkündung Zeit hat, sich (!!!) damit auseinanderzusetzen. Damit wird er jedoch erst mit Erhalt der Übersetzung anfangen können. Die Rechtsmittelfrist wird dann bereits schon längst angelaufen sein…Und ob man in einem Gespräch mit dem Anwalt und dem Dolmetscher ausreichend Zeit hat, sich über das Für und Wider eines Rechtsmittels Gedanken zu machen, während der sprachkundige Angeklagte dafür eine ganze Woche Zeit erhält, ist m.E. mehr als fraglich…