Herausgabe der Handakten, oder: Anspruch verjährt?

Heute wird es im „Kessel Buntes“ dann mal ganz bunt. Denn ich eröffne mit dem LG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.03.2018 – 2-25 O 125/17. Das hat nichts mit Verkehrsrecht oder Strafrecht zu tun, sondern hat seinen Ausgangspunkt in einem Insolvenzverfahren. Nach dessen Abschluss wird nun um die Herausgabe von Handakten gestritten. Kläger ist der Insolvenzverwalter, Beklagte ist eine Rechtsanwaltssozietät, die für die Insolvenzschuldnerin rechtsberatend tätig war. Das Insolvenzverfahren ist 2012 eröffnet worden.  Mit E-Mail vom 23.12.2015 hat der Kläger von der Beklagten Herausgabe der bei der Beklagten für die Insolvenzschuldnerin geführten Handakte gefordert. Die hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben. Sie ist der Auffassung, ein Herausgabeanspruch aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB sei nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt. Eine berufsrechtliche Herausgabepflicht bestehe allenfalls zivilrechtsakzessorisch, das heißt die Pflicht bestünde nur dann, wenn ein korrespondierender zivilrechtlicher Herausgabeanspruch durchsetzbar wäre, was aufgrund der Verjährung nicht der Fall sei. Im Übrigen ergäbe sich aus einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht, sei es nach § 50 BRAO alter oder neuer Fassung, kein Anspruch des Klägers im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB, also das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. Die Verletzung der Berufspflicht werde lediglich berufsrechtlich sanktioniert. Es sei strikt zwischen zivilrechtlicher Anspruchsgrundlage und sanktionsfähiger Berufspflicht zu unterscheiden. § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F., der berufsrechtlich sanktioniert sei, sei überdies auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dem stehe das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen, das sich auch auf die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit beziehe.

Das LG gibt der Beklagten Recht und hat die Klage abgewiesen. Begründung: Zwar hat es einen Herausgabeanspruch gegeben, aber:

„II.

Dieser Anspruch ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil er gem. §§ 195, 199 Abs. 1, 214 Abs. 1 BGB verjährt ist.

1. Die Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB findet auf den Herausgabeanspruch nach § 667 BGB Anwendung (Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 667 Rn. 9). Dies gilt auch für den auf §§ 675 Abs. 1, 667 BGB gestützten Anspruch auf Herausgabe der anwaltlichen Handakten ( BGHZ 109, 260, 264 f.; Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427).

2. Dabei sind die §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für den Anspruch eines Auftraggebers auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass Verjährung nicht vor Ablauf der in § 50 Abs. 1 Satz 1 BRAO in der seit dem 18.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: n.F.) oder in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der bis zum 17.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) normierten Aufbewahrungsfrist eintritt. Die allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB sind nicht um einen Ausnahmetatbestand im eben genannten Sinne zu ergänzen.

Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht und der ihm immanenten Teleologie unvollständig ist, mithin eine nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel fehlt (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, 196 f.) und dass die Ergänzung um einen Ausnahmetatbestand wertungsmäßig geboten ist, was einerseits durch den Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm geboten sein kann, wobei jeweils das Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln zu beachten ist (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 211).

a) Für die vorliegende Fallgestaltung ist dem Gesetz bereits keine planwidrige verdeckte Regelungslücke zu entnehmen……“

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