Und als zweite Entscheidung heute dann den KG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 Ws 194/17. Leider keine Gebührenentscheidung, im Moment habe ich keine im Blogordner. Es handelt sich vielmehr um eine Pflichtverteidigerentscheidung, und zwar zur Zulässigkeit der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung. Der Angeklagte hatte beim AG einen Pflichtverteidiger. Im Berufungsverfahren gegen das amtsgerichtliche Urteil hat das LG dann die Pflichtverteidigerbestellung im Hinblick auf die verbleibende Maximalstraferwartung aufgehoben. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme hierzu ausgeführt:
„Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gilt grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 Satz 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert (vgl. BGHSt 7, 69, 71; OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653 und StV 1995, 117, 118; KG StV 2016, 485; wistra 2016, 423; Beschlüsse vom 28. Februar 2017 – 5 Ws 50/17 -, 28. Oktober 2016 – 3 Ws 575/16 – und 10. September 2013 – 4 Ws 116/13 -). Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 1983 – 1 Ws 734-736/83, 1 Ws 842/83 – juris; KG a.a.O.).
Nicht schutzwürdig ist das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts, wenn sich die für die Anordnung der Pflichtverteidigung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; KG Beschlüsse vom 28. Oktober 2016 – 3 Ws 575/16 – und 10. September 2013 – 4 Ws 116/13 -). Dem steht es gleich, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat; denn auch in diesem Fall kann sich ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Entscheidung nicht bilden (vgl. KG a.a.O.).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der vom Amtsgericht beschlossenen Bestellung nicht. Denn es haben sich jedenfalls die maßgeblichen Umstände wesentlich geändert.
Das Amtsgericht hat dem Angeklagten zwar unter Nennung des § 140 Abs. 2 StPO, jedoch ohne weitere Begründung einen Rechtsanwalt beigeordnet. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich aus den prozessualen Umständen, dass Grund für die Beiordnung offensichtlich die Schwere der Tat in Form des drohenden Widerrufs der Aussetzung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und des dadurch in Verbindung mit der im vorliegenden Verfahren in Betracht kommenden Freiheitsstrafe möglichen Gesamtstrafenübels von mindestens einem Jahr war.
Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte erstinstanzlich lediglich zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt worden ist und ihm somit als alleiniger Berufungsführer wegen des Verschlechterungsverbots des § 331 Abs. 1 StPO keine Freiheitsstrafe und damit auch unter Berücksichtigung eines möglichen Bewährungswiderrufs kein Gesamtstrafenübel von mindestens einem Jahr mehr droht, gebietet die Schwere der Tat keine Pflichtverteidigerbestellung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO. Soweit die Verteidigung darauf abstellt, dass die maximal mögliche Geldstrafe von 120 Tagessätzen als 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden könnte, kann dieser Gesichtspunkt zur Begründung der Schwere der Tat im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO nicht herangezogen werden. Auch wenn für die Beurteilung der Schwere der Tat das drohende Gesamtstrafenübel maßgeblich ist und neben der Rechtsfolgenentscheidung auch die sonstigen schwerwiegenden Nachteile zu berücksichtigten sind, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gegenwärtigen hat, so ist im Falle der Verhängung einer Geldstrafe grundsätzlich nicht per se davon auszugehen, dass die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe droht. Denn bei der Verhängung einer Geldstrafe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters die Höhe des Tagessatzes, vgl. § 40 Abs. 2 StPO, um so unter anderem sicherzustellen, dass der Verurteilte, gegebenenfalls durch die Gewährung von Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB, wirtschaftlich in der Lage ist, die Geldstrafe tatsächlich zu tilgen. Besondere Umstände, die nicht im Einflussbereich des Angeklagten liegen und die es als zwingend erscheinen lassen, dass im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe von maximal 120 Tagessätzen diese Strafe tatsächlich als 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird, sind nicht ersichtlich.“
Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen zu Eigen. Die bei jeder Verurteilung zu Geldstrafe abstrakt stets bestehende Möglichkeit der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe prägt als vom Verurteilten regelmäßig abwendbarer Nachteil das Gesamtstrafübel nicht derart nachhaltig, dass eine grundsätzliche Berücksichtigung der Geldstrafe als gleichsam „verkappte Freiheitsstrafe“ bei der Prognose, ob Freiheitsentzug von mindestens einem Jahr droht, geboten wäre.“