Die dritte Pflichtverteidigungsentscheidung behandelt den in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten bereitenden Fall der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens gem. § 154 Abs. 2 StPO. Hier hatte sich der Angeklagte in Haft befunden. Der Verteidiger hatte seine Beiordnung beantragt und sich dabei ausdrücklich auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezogen. Das Ag stört sich daran aber nicht, sondern „betreibt“ die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Es wird dann eingestellt und zugleich der Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts pp. abgelehnt, da „nunmehr weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO noch die des § 140 Abs. 2 StPO“ vorlägen. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Mühlhausen im LG Mühlhausen, Beschl. v. 01.12.2017 – 3 Qs 205/17 – Erfolg hat:
„Die Kammer ist im Ansatz mit der Staatsanwaltschaft Mühlhausen der Auffassung, dass die von der herrschenden Lehre angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten darf. Der Gesetzgeber sieht gegen die Versagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Gesetzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt. Entscheidend für eine Ausnahme ist demnach, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Frage einer Beiordnung entscheidungsreif war. Ob dagegen – wie die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf LG Potsdam ausführt — die Gründe, warum das Amtsgericht den Antrag nicht beschieden hat, nachvollziehbar sind oder nicht, ist aus Sicht der Kammer ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich um Umstände, die dem Einfluss der Verteidigung vollständig entzogen sind und aus denen daher auch kein Nachteil erwachsen kann.
Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zur Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses. Der Antrag auf Beiordnung war rechtzeitig angebracht und auch entscheidungsreif. Der Verteidiger hat ausdrücklich § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO genannt. Dem Amtsgericht war aus der Anklageschrift bekannt, dass ein Aufenthalt in pp. vorlag. Es hätte daher ohne Weiteres und sofort prüfen können, ob dieser auf einer behördlichen Unterbringung beruhte und bereits die im Gesetz geforderten drei Monate andauerte. Da dies, wie sich aus den Gründen des Urteils des Landgerichts Magdeburg ergibt, der Fall war, hätte der Beiordnungsantrag bereits zu diesem Zeitpunkt positiv beschieden werden müssen.
Vorsorglich weist die Kammer für andere Fälle darauf hin, dass es auch ohne Inhaftierung des Angeklagten nicht zulässig ist, den weiteren Verlauf des Verfahrens abzuwarten und erst am Ende für den Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beiordnung (noch) vorliegen (letzter Absatz des angefochtenen Beschlusses: „da nunmehr weder die Voraussetzungen …“, Hervorhebung durch die Kammer). Ausschlaggebend ist stets der Zeitpunkt der Antragstellung.“
Sehr schön und deutlich der letzte Absatz, der zeigt, was das LG von der Vorgehensweise des AG hält. Leider ist diese „Kungelei“ kein Einzelfall.
Und dennoch liegt die Entscheidung alleine im Interesse des Verteidigers. Dass die Mandanten sich an solchen Entscheidungen nicht stören, liegt allein an dem Umstand, dass diese regelmäßig mittellos sind, weshalb am Ende die Staatskasse auf den Kosten des Verteidigers sitzen bleibt. Denn eigentlich wären diese durch den Mandanten zu tragen. Ich wüsste gerne, wie dieser auf das Gericht schimpfen würde, wenn dieses ihm durch die Beiordnung schnell noch Kosten in mittlerer dreistelliger Höhe auferlegt, um das Verfahren sogleich einzustellen.
ach, und das rechtfertigt, den Antrag des Angeklagten einfach nicht zu bescheiden
@Briag: Ihr Gedankengang mag für den in der Praxis äußerst seltenen Fall zutreffen, dass der Angeklagte selbst – ohne zuvor einen Anwalt zu beauftragen – die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt so dass er diese Kosten bei Einstellung tatsächlich noch sparen kann. Wie Sie dem Beschluss entnehmen können, hatte der Angeklagte bereits einen Anwalt beauftragt, der dann die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragte. In diesem Fall muss der Angeklagte die bereits erbrachte Tätigkeit des Anwalts so oder so bezahlen, kann es jedoch häufig nicht, da er ja gerade auf die – bei Inhaftierung an sich sichere – Beiordnung durch das Gericht gebaut hatte.
Mauscheleien wie die hier vom Amtsgericht versuchte vermindern allgemein die Bereitschaft von Verteidigern, Beschuldigten im Hinblick auf eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beiordnung als Pflichtverteidiger zunächst ohne Vorschuss beizustehen
Zu beachten ist auch, dass von der Staatskasse verauslagte Pflichtverteidigerkosten Verfahrenskosten sind, nicht Auslagen des Angeklagten, so dass gerade in Fällen der §§ 154, 153, 153a die Angeklagten in aller Regel Pflichtverteidigerkosten eben gerade nicht an die Staatskasse erstatten müssten, Wahlverteidigerkosten hingegen selbst zu tragen haben.
Und was ist mit der Nr. 9007 KV GKG?
Vielleicht habe ich mich da etwas unklar ausgedrückt. Mir ging es nicht darum, die Entscheidung gutzuheißen, rechtlich war sie wohl falsch. Ich verstehe nur den Begriff der Mauschelei in dem Zusammenhang nicht, bedeutet er doch so etwas wie Kumpanei oder Vetternwirtschaft. Wer hat denn da mit wem geklüngelt? Ich halte es für naheliegend, dass ein unerfahrener Amtsrichter schlicht dachte, eine (mit Kosten verbundene) Pflichtverteidigerbeiordnung sei nur erforderlich, wenn tatsächlich eine Hauptverhandlung in der Sache droht. Was aus der Sicht einer Person, die in diesem Spezialbereich vielleicht (noch) nicht firm ist, m.E. nachvollziehbar wäre.
Ich jedenfalls wusste zu Anfang nicht, dass eine Beiordnung selbst dann noch erforderlich ist, wenn die Sache im nächsten Atemzug eingestellt wird, zumal der Antrag auf Beiordnung oft gänzlich ohne Rücksprache mit dem Mandanten gestellt wird, was sich dann zeigt, wenn der Verteidiger (was regelmäßig der Fall ist) schon in der anderen Sache verteidigt, und den Antrag auf Beiordnung zur einem Zeitpunkt stellt, zu welchem sein Mandant noch überhaupt keine Kenntnis von dem Verfahren hat, nämlich mit Übergabe der Kopie der Anklage oder telefonischer Mitteilung, dass eine solche bei Gericht eingegangen ist.
„Gekungelt“? Der Amtsrichter mit sich zugunsten der Staatskasse.
Und so unerfahren kann auch ein junger Amtsrichter nicht sein, dass er nicht weiß, dass der Beiordnungsantrag eben nicht liegen gelassen werden darf…..
Doch, genauso unerfahren kann er sein. Oder woher nehmen Sie die Information, dass diese nun wirklich nicht alltägliche Fragestellung jedem Berufsanfänger sofort bekannt ist? Wieso unterstellen Sie jedem, der einen Fehler macht, immer gleich bösen Willen? Ich verstehe es nicht.
Ich kann ja verstehen, dass Sie Ihren Kollegen „helfen“ wollen. Aber doch nicht mit dem Argument. Es gibt einfach zu viele Entscheidungen zu der Problematik. Das sind dann alles unerfahren Richter? Das glauben Sie doch selbst nicht.
Was den Beiordnungszeitpunkt betrifft, kommen die Vorstellungen des Gesetzgeber etwa in § 141 Abs. 1 und Abs. 2 StPO zum Ausdruck. Das in Abs. 2 zu findende Wörtchen „sofort“ legt auch dem unerfahrenen Kollegen nahe, dass man die Frage der Verteidigerbestellung nicht auf die lange Bank schieben darf.