Archiv für den Monat: Dezember 2017

Schmerzensgeld für vermeintlichen Attentäter?, oder: Jetzt ja

© prakasitlalao – Fotolia.com

Der BGH hat im BGH, Urt. v. 07.09.2017 – III ZR 71/17 – seine frühere Rechtsprechung, wonach nach hoheitlichen Einsätzen keine immateriellen Schäden be-/gezahlt werden,  aufgegeben.

Im Verfahren ging es um eine Schadensersatzklage wegen einer Verletzung, die der Kläger bei einem Polizeieinsatz erlitten hatte. Es war am 23.10.2010 wurde aus einem fahrenden PKW ein Schuss auf ein Döner-Restaurant abgegeben worden. Im Zuge der darauf eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Der Kläger befand sich zusammen mit einem Mitarbeiter im Verkaufsraum der Tankstelle. Weil auch die grobe Personenbeschreibung der Täter auf den Kläger und seinen Begleiter passte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele. Nachdem eine weitere Streifenwagenbesatzung zur Verstärkung eingetroffen war, liefen die Polizeibeamten in den Tankstellenverkaufsraum. Da sie vermuteten, der Kläger und dessen Mitarbeiter führten eine Schusswaffe mit sich, forderten sie zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich dann aber heraus, dass er und sein Mitarbeiter mit der Schussabgabe nichts zu tun hatten. Darauf wurden ihnen die Handfesseln abgenommen.

Der Kläger verlangt Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens und ein Schmerzensgeld. LG und OLG haben angenommen, die Polizeibeamten hätten angesichts der Sachlage, die sich ihnen dargeboten habe, zwar rechtmäßig unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung gemäß § 163b Abs. 1 StPO angewendet. Jedoch habe der Kläger einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BGH haben LG und OLG allerdings nur einen Ausgleich für den erlittenen materiellen Schaden zuerkannt. Die Schmerzensforderung haben sie für unbegründet gehalten.

Der III. Zivilsenat hat nun in seinem Urt. v. 07.09.2017 – III ZR 71/17 – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung darauf erkannt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld, umfasst.

Der BGH hat in einer früheren „Grundentscheidung“ vom 13.02.1956 – III ZR 175/54 – ausgeführt, aus der Gesamtbetrachtung der Rechtsordnung ergebe sich, dass Ersatz für immaterielle Schäden grundsätzlich nicht geschuldet werde. Nur in jeweils ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen gebe es einen Ersatzanspruch auch für Nichtvermögensschäden. Eine entsprechende Bestimmung fehle für den allgemeinen Aufopferungsanspruch, der sich gewohnheitsrechtlich aus §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 01.06.1794 entwickelt habe.

Der BGH hat nun ausgeführt, von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, könne nicht mehr ausgegangen werden. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl. I S. 2674) und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber den Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13.02.1956 gestützt habe, verlassen. Dies ergebe sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt werde. Zudem habe mittlerweile eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet werde.

Ich habe da mal eine Frage: Mitwirkung Beschlussverfahren nach Unterbrechung der HV – zusätzliche VG?

© AllebaziB – Fotolia

Aus dem RVG-Forum auf meiner Homepage Burhoff-Online stammt folgende Frage:

„Hallo!
In einem OWi-Verfahren wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Nach Gesprächen mit Richter/Staatsanwaltschaft erging sodann eine Entscheidung im Beschlußverfahren (erhöhte Geldbuße, kein Fahrverbot) mit Aufhebung des weiteren HVT’s.

Die RS lehnt eine Zahlung der Geb. 5115 ab, da die HV lediglich unterbrochen (und nicht ausgesetzt) wurde, was korrekt ist.
Allerdings dürfte doch an der Mitwirkung einer Entscheidung im Beschlußverfahren kein Zweifel bestehen und somit die Geb. 5115 verdient worden sein?“

Nun, wer hat eine Idee?

 

Unterbringung in der Psychiatrie, oder: Die Gefährlichkeitsprognose

© eyetronic Fotolia.com

Und als „Mittagsentscheidung“ weise ich dann hin auf den älteren BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 1 StR 594/16; warum der so lange bei mir herumgehangen hat, weiß ich auch nicht. Ergangen ist er einem Sicherungsverfahren. Das LG hat den Angeklagten nach § 63 StGb untergebracht. Der BGH hat aufgehoben. Begründung:

„Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlich-keitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infol-ge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden ange-richtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).“

Der BGH beanstandet dann, dass schon die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt werden. Und: Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nach Auffassung des BGH nicht tragfähig begründet:

„aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fort-dauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheits-und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der An-lasstaten belegen können (BGH aaO mwN).

bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In solchen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefoch-tene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allge-mein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehen-der – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte al-lein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Um-stände, die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugung gewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.“

Wenn der Staatsanwalt untätig ist, oder: Rechtsbeugung?

© Cyril Comtat – Fotolia.com

Den letzten Tag der Woche beschließen dann – vor dem RVG-Rätsel – zwei BGH-Entscheidungen. Ich beginne mir dem BGH, Beschl. v. 14.09.2017 – 4 StR 274/16. Gegenstand der Entscheidung: Rechtsbeugung (§ 339 StGB) durch einen Staatsanwalt. Das LG Freiburg hatte in dem Verfahren einen Staatsanwalt u.a. wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte in sechs Fällen ausermittelte, anklagereife Ermittlungsverfahren nicht weiter bearbeitet, nachdem er sie zuvor mit Hilfe von Scheinverfügungen aus dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister hatte austragen lassen und so der Aufsicht seiner Dienstvorgesetzten entzogen hatte. In zwei dieser Fälle trat schließlich Verfolgungsverjährung ein, die anderen vier Verfahren wurden nach Aufdeckung der unterbliebenen Erledigung und nach der Suspendierung des Angeklagten zum ordnungsgemäßen Abschluss gebracht. Wer weitere Einzelh. braucht: Bitte in der 21 Seiten langen Entscheidung nachlesen.

Der BGH hat auf die Revision des Angeklagten die Verurteilung in den vier Fällen, in denen keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist, aufgehoben, weil die Voraussetzungen der Rechtsbeugung vom LG nicht hinreichend festgestellt seien. In den beiden anderen Fällen hat er die verhängten Strafen aufgehoben, weil das LG möglicherweise bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung von einem zu großen Schuldumfang des Angeklagten ausgegangen ist. Verwiesen wordne ist an das LG Karlsruhe.

Wie gesagt: Der BGH-Beschluss ist 21 Seiten lang. Das kann man hier nicht alles darstellen, sondern man kann nur „Obersätze“ bilden/herausgreifen, und zwar:

  • Ein Staatsanwalt kann Täter einer Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB sein, wenn er wie ein Richter in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren zu entscheiden hat und dabei einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit genießt.
  • Als eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB kommen nur elementare Rechtsverstöße in Betracht.
  • Eine Rechtsbeugung kann grundsätzlich auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht begangen werden.
  • Hat der Täter Verfahrensrecht durch ein Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verletzt, wird das Tatbestandsmerkmal der Rechtsbeugung in der Regel nur dann als erfüllt angesehen werden können, wenn eine rechtlich eindeutig gebotene Handlung unterblieben ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Richter oder Staatsanwalt bewusst gegen eine Vorschrift verstoßen hat, die ein bestimmtes Handeln unabweislich zur Pflicht macht oder wenn er untätig bleibt, obwohl besondere Umstände sofortiges Handeln zwingend gebieten.
  • Die bewusste Nichterhebung der öffentlichen Klage in einem anklagereifen Ermittlungsverfahren mit der Folge, dass es im Falle des Unterlassens zum Eintritt der Verfolgungsverjährung kommt, ist für sich genommen grundsätzlich eine schwerwiegende Verletzung des Verfahrensrechts und verstößt gegen ein eindeutiges gesetzliches Handlungsgebot.

Und ich bin heute in Muscat/Oman. Schöne Stadt/Gegend. Da war ich schon mal 🙂 .