Manchen Entscheidungen des BGH merkt man an, dass der Senat mehr oder weniger „angefressen“ war. Nicht dass der Senat dann unhöflich würde, aber man merkt: Das Urteil, das ihm da vorgelegen hat, hat ihm nicht gepasst. Sei es vom Inhalt her, sei es aber auch von der Form her. Das gibt es dann einen versteckten Rüffel oder auch eine versteckte Warnung.
So mal wieder im BGH, Beschl. v. 25.07.2017 – 3 StR 111/17. Da „bemerkt“ der Senat zur „Abfassung der Urteilsgründe“ nämlich:
Zur Abfassung der Urteilsgründe bemerkt der Senat:
Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwie-sen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll ein geschlossenes Ganzes bilden und – unter Weglassung alles Unwesentlichen – kurz, klar und bestimmt sein (Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 271). Beruht die Überzeugung des Landgerichts auf einer Vielzahl von Indizien – wie hier zur Täterschaft des Angeklagten darauf, dass er im Besitz einer Vielzahl verfahrensrelevanter Dokumente war -, so ist es im Interesse der Verständlichkeit des Urteils dringend angezeigt, diese Indizien nicht in den Feststellungen, sondern ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung abzuhan-deln. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von zuerst mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen und stellt zudem sicher, dass nur solche Tatsachen Erwähnung im Urteil finden, die in der Beweiswürdigung eine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 238/05, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14).
Die Beweiswürdigung wiederum soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Es ist regelmäßig verfehlt, die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen aus der Hauptverhandlung in ihren Einzelheiten mitzuteilen (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 179/15, juris Rn. 4 mwN). Es ist auch nicht nötig, für jede einzelne Feststellung einen Beleg in den Urteilsgründen zu erbringen, denn auch dies stellt sich lediglich als Beweisdokumentation, nicht aber als Beweiswürdigung dar (Meyer-Goßner/Appl aaO, Rn. 350 mwN). Dies gilt insbesondere, wenn sich – wie hier – zahlreiche Indizien aus Urkunden ergeben, die in der Hauptverhandlung verlesen wurden oder im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Da es insoweit auf den Inbegriff der Hauptverhandlung ankommt, ist es zudem verfehlt, Blattzahlen dieser Urkunden aus der Gerichtsakte in den Urteilsgründen anzugeben, zumal dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Akteninhalts insoweit ohnehin verwehrt ist.
Man hätte auch schreiben können: Schreibt nicht so viel. Und wenn ihr schreibt: Bitte nur das Wichtige.
Ist übrigens alles nicht neu, sondern das hat der BGH schon häufiger „bemerkt“. Liest aber wohl keiner.
Vermutlich sagen die StrK-Vorsitzenden, das interessiere sie einen feuchten Kehricht – lieber 10x folgenlos wegen Überlänge „gerüffelt“ als 1x aufgehoben, weil der BGH irgendwas nicht hinreichend begründet findet. Sind die Revisionsgerichte also selber schuld, wenn sie soviel lesen müssen.
Jedes Ding hat eben zwei Seiten,das Problem ist nur: Auch wenn man zu viel schreibt, kann das zu einer Aufhebung führen. Und solche Entscheidungen wie diese hier, sind für mich immer ein Anzeichen, dass es „knapp war.“
Was wäre denn konkrete negative Konsequenzen für einen StrK-Vorsitzenden im Falle eine Aufhebung? Muss dieser wirklich so viel Angst davor haben?
Wer bekommt schon gern gesagt, dass er etwas falsch gemacht hat :-). „Konkrete negative Konsequenzen für einen StrK-Vorsitzenden“ wird es nicht geben, außer, dass die Kollegen, die die Sache neu machen müssen, vielleicht „not amused“ sind.
Mir ist aufgefallen, dass die „ergänzenden Bemerkungen“ zur Abfassung von Urteilsgründen vor allem aus dem 3. BGH-Senat kommen (Selbstzitate!). Weiteres aktuell veröffentlichtes Beispiel: Beschluss vom 30.05.2018 – 3 StR 486/17 zu dem knapp 1300 Seiten langen Urteil des LG Köln 101 KLs 13/15 vom 30.01.2017. In der Sache ging es um Banden-Diebstähle aus Kirchen angeblich zur Unterstützung des sog. Dschihad im „Islamischen Staat“. Schon die Anklageschrift hatte laut Pressemitteilung des LG Köln über 600 Seiten. Es gab 90 Verhandlungstage. Die armen Schöffen!